Coffee-Shop-Modell für den Görlitzer Park?

In Berlin-Kreuzberg zeigen sich die Widersprüche der Drogenpolitik. Mutigere Schritte sind nötig

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In Berlin-Kreuzberg hat sich seit Längerem in und rund um den Görlitzer Park eine offene Dealer-Szene angesiedelt. Diese und der damit zusammenhängende Kundenverkehr werden von Polizei, Anwohnern und Gästen des Parks als Problem angesehen. Die Zahlen: Bis Ende Oktober 2014 führte die Polizei sage und schreibe 350 Razzien durch, es wurden über 2.200 Personen kontrolliert, rund 1.000 Platzverweise ausgesprochen, 200 Festnahmen durchgeführt, 800 Ermittlungsverfahren angestoßen - die Hälfte davon waren Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Hanfblatt. Bild: Bogdan/CC-BY-SA-3.0

Gehandelt werden vor allem Cannabisprodukte, insbesondere Marihuana, aber auch Kokain, "Crack"-Kokain, Crystal Meth, Ecstasy und LSD. Bei diesem als größten frei zugänglichen Betäubungsmittelmarkt Berlins geltenden Phänomen geht es um viel Geld. Dementsprechend gibt es bei Verteilungskämpfen und Streitereien immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen, die mitunter tödlich enden. Die Händler selbst haben meist migratorischen Hintergrund, ihre Waren beziehen sie vermutlich von Zwischenhändlern des organisierten Verbrechens. Von Gangstrukturen mit Hierarchien, unterschiedlichen Zuständigkeiten und Aufgaben ist auszugehen.

Ähnliche Märkte gibt es in vielen Städten. In Hamburg wurde zuletzt wieder der Cannabis- und Kokainhandel in Parks und auf Straßen des Schanzenviertels und St. Paulis problematisiert. Sie ergänzen die offenen Märkte, auf denen sich speziell die opiatabhängigen Drogenkonsumenten zum Austausch und Handel von überverordneten Opiaten (wie Methadon, Methadicct, Polamidon, Subutex, Fentanyl-Pflaster, Tramal, Tilidin), Benzodiazepinen (wie Rivotril und Diazepam), Psychopharmaka (wie Ritalin und Doxepin) sowie zum Erwerb von Kokainprodukten und anderen psychoaktiven Substanzen meist lokal im Umfeld von Fixerstuben und Drogenberatungsstellen oder Opiate als Substitut verschreibenden Arztpraxen und Drogenambulanzen treffen.

Massive Polizeipräsenz zeitigte in Berlin wie andernorts keine dauerhaften Erfolge bezüglich der Verdrängung oder gar Auflösung des Marktes. Bis zu 15 Gramm Cannabisprodukte gelten in Berlin als geringe Menge mit der Option für die Staatsanwaltschaft, ein Verfahren einzustellen. Hier ziehen CDU-Politiker jetzt eine Senkung der Menge auf sechs Gramm in Erwägung. Diese Menge wäre demnach auch als bundeseinheitliche Grenze für "Eigenbedarf" zu überlegen. Seit 20 Jahren drücken sich Berlin und die anderen Landesregierungen vor einer damals vom Bundesverfassungsgericht im Falle von psychoaktiven Cannabisprodukten angeregten bundeseinheitlichen Vorgehensweise.

Probleme des Coffee-Shop-Modells

Um einer Lösung näher zu kommen, wird bei diesen Gelegenheiten immer wieder das Coffeeshop-Modell aus den Schubladen gezogen. Dieses Mal schlagen Piratenpartei und Grüne vor, den Niederlanden zu folgen. Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), will legale Coffeeshops rund um den Görlitzer Park etablieren. Als ersten Schritt hat man einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestellt, der eine kontrollierte Abgabe von Cannabis erlauben soll.

Selbst wenn das BfArM einer Ausnahmeregelung zustimmen sollte, sieht man sich dieses Modell genauer an, treten die ganzen Widersprüche einer insulären Lösung zu Tage. Denn zum einen werden schon jetzt eben nicht nur Cannabisprodukte gehandelt. Für die Händler wäre eine schnelle Angebotsverlagerung kein Problem, sobald ein konkurrierender Anbieter ihnen in ihren Markt grätscht. Zum anderen ist der Park schon heute überwiegend ein Touristenmarkt. Die ortsansässigen Konsumenten versorgen sich meist über private Händler.

Nebenbei: Der unter Freunden und kaum profitorientierte organisierte Cannabis-Kleinhandel ist ein unterbelichtetes Phänomen. Ein Coffee-Shop-Modell, dass sich nun ausgerechnet an diese im öffentlichen Raum nicht als problematisch in Erscheinung tretende Klientel wenden und diese in den Park zum Cannabiskauf locken würde, wäre also ein Widerspruch an sich. Würde man sich aber explizit an Touristen auf der Suche nach Cannabisprodukten wenden, würde man den Park als fragwürdige Touristenattraktion institutionalisieren und damit ein internationales Signal senden.

Es stellen sich viele weitere Fragen: Wie soll Zwischenhandel unterbunden werden? Eine Konsumentenregistrierung unter den Bedingungen von Prohibition, drohender Strafverfolgung, Sanktionierung und Stigmatisierung kann sich niemand wünschen und dürfte nur einen Teil bereits resignierter Konsumenten erreichen. Wer soll die zu handelnden Cannabisprodukte unter wessen Aufsicht nach welchen Qualitätskriterien herstellen? Wer darf sie wo einkaufen? Und wer soll sie zu welchen Preisen verkaufen? Und wohin sollen eventuelle Gewinne fließen?

Immer wieder werden Sozialpädagogen aus der Suchtarbeit ins Feld geführt. Sie würden doch auch schon in Fixerstuben beim Konsum von Straßendrogen unbekannter Zusammensetzung assistieren und notfalls Erste Hilfe leisten oder die ärztliche Verschreibung von Opiaten psychosozial begleiten. Da könnten sie doch auch als kompetente Cannabis-Händler, die bei Bedarf aufklären oder Ermahnungen zur Mäßigung fallen lassen würden, auftreten, analog zum Gastwirt, der sich als Wirtschaftspsychologe versteht und mahnt: "Willy, einen Lütschen noch, das is aber dann auch dein Letzter für heute, dann geht's nach Haus zu Mutti!"

Anbau müsste lizenziert und staatlich kontrolliert werden

Der Prozess müsste bundes- und letztlich europaweit angegangen werden. Wie vorgehen? Man könnte sich schlicht und einfach am niederländischen Coffee-Shop-Modell orientieren, hier entsprechende Lizenzen an willige Coffeeshop-Betreiber vergeben und zusätzlich Steuern erheben zur Deckung von organisatorisch und für Präventionsarbeit anfallenden Kosten. Um nicht den Fehler, den die Niederlande gemacht haben, zu wiederholen und das organisierte Verbrechen möglichst weitgehend zumindest aus der Versorgung der Shops herauszuhalten, müsste der Anbau an lizenzierte und staatlich kontrollierte Grower vergeben werden. Es darf keine organisierte Kriminalität mehr im Rahmen von Zulieferung oder Schutzgelderpressung geben. Dabei könnte die legale Integration erfahrener, nicht durch Gewalt aufgefallener Underground-Grower und Händler berücksichtigt werden. Ein Import würde nicht mehr notwendig sein. Die Erlaubnis des Anbaus kleiner Mengen für den Eigenbedarf würde den Markt zusätzlich entspannen. Der Jugendschutz könnte wie beim Alkohol bestehen bleiben und ernsthafter betrieben werden.

In genau diese Richtung zielt der jüngst von den Grünen eingebrachte Entwurf für ein "Cannabiskontrollgesetz". Hanf soll auf staatlich kontrollierten Flächen angebaut, nach der Ernte sicher aufbewahrt und in Fachgeschäften von Fachpersonal verkauft werden. Führt das zum Dammbruch, wie so oft angenommen wird? Wahrscheinlich nicht. Nach einer kurzen Phase des Exzesses dürfte sich die Lage entspannen und der Cannabiskonsum den Reiz des Verbotenen, von dem gerade das Image dieser Substanz so lebt, verlieren. Problematischer Konsum könnte viel offener thematisiert und die Betroffenen effektiver erreicht und unterstützt werden. Natürlich wird der Gesetzentwurf der Grünen vom Bundestag verworfen, wieder einmal darf man aber darauf hoffen, dass erst jetzt die ernsthafte Debatte um eine rationale Drogenpolitik beginnt.