Comic gegen PiS: "Paneuropa gegen die Dämonen der Vergangenheit"
Wie Polens Regierungspartei mit deutlichen Anspielungen, Sprechblasen und EU-Logos aufs Korn genommen wird: Superhelden, Waldgeister und Flüchtlinge spielen mit. Die reale Paneuropa-Union tickt etwas anders.
"Lest die Comics, das ist Literatur, das ist Kunst!" sagte Hanna Zdanowska, die Oberbürgermeisterin von Lodz, den Besuchern des 33. Internationalen Comic- und Spielefestivals am vergangenen Wochenende in der Atlas-Arena der polnischen Stadt.
Der zweiteilige Superhelden-Comic "Paneuropa gegen die Dämonen der Vergangenheit", welcher dort von der liberalen Politikerin vorgestellt wurde, ist jedoch weit mehr, er ist politisch und fast ausschließlich von der EU-Kommission finanziert.
"Die Helden sind von der europäischen Mythologie inspiriert und gleichzeitig teils Personen des LGBT, bei Gegner finden sich Anleihen an die sowjetischen Totalitarismus" so Sebastian Rysz, Mitglied der Europäischen Kommission in Polen, der auf dem Festival vor Ort war.
Der Comic, der auch von der Stadt Lodz getragen wird, nehme Bezug auf die Situation, welche Belarus im Sommer 2021 durch den Transfer von Asylsuchenden an die grüne Grenze von Polen, Litauen und Lettland verursacht habe, sowie auf Diskriminierung. der Folgecomic würde sich mit dem Ukraine-Krieg auseinandersetzen.
"Große Herausforderung": die Darstellung "europäischer Werte"
Rober Sluzaly, einer der Zeichner auf dem Podium, erklärte: "Was uns verbindet, sind die europäischen Werte" – dies darzustellen, sei "eine große Herausforderung" gewesen.
Die Story, die auf Englisch und Polnisch erscheint, handelt von Superhelden, die diese Werte wie Solidarität, Gleichheit und Demokratie angeblich verkörpern und gegen einen zombifizierten Herrscher mit Sowjet-Militärmütze und Reißzähnen vorgehen, welcher Paneuropa vernichten will.
Mit dabei sind ein Waldgeist, der slawischen Mythologie entlehnt, die Göttin Athene, sowie hundert schwule Hopliten, die "heilige Sippe", welche bereits "Sparta besiegt hatte", wie die Einführung in dem Album verrät. Hinzu kommen ein Supergott der Bergleute, ein sprechender Drache sowie ein homosexueller Afghane, der für polnische Truppen in seinem Land gedient hat.
Die Geschichte beginnt mit der dramatischen Situation an der belarussisch-polnischen Grenze im Herbst 2021, als der Waldgeist aus seinem jahrhundertelangen Tiefschlaf erwacht und die Flüchtlinge aus Afghanistan gegen Schleuser verteidigt, die ebenfalls über übermenschliche Kräfte verfügen.
Der Waldgeist sammelt darauf Gefährten, um dem Schurken beizukommen. Dieser wird seinen glatzköpfigen und deformierten Untergebenen als "König der Ungerechtigkeit" angesprochen und weilt in einem futuristischen Palast "weit im Osten", wo er Kampagnen steuert – LGBT-Menschen würden Kinder verderben und Flüchtlinge Krankheiten mitbringen.
Das sind Aussagen aus dem Lager der polnischen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), der Comic wendet sich mit seinem Thema Akzeptanz von Minderheiten somit recht explizit gegen die Führung in Warschau. Auch findet sich mittels "Pravda TV" eine Persiflage auf den polnischen Staatssender TVP Info. Ein Reporter wird vorgestellt, der als Nationalist "dauernd beleidigt" ist und Fake News produziert.
Explizit wird in den Sprechblasengeschichten auch das Logo des Hauptsponsors gezeigt, "Fonds der EU", etwa beim Bau eines Eisenbahntunnels.
Frontex auf Seiten der Retter
Der finstere Herrscher hingegen arbeitet mit einem "Hetze"-Elixier, das die Menschen verdirbt und Paneuropa zerstören soll. Nach verschiedenen Abenteuern kommen die Hopliten sowie Romulus und Remus der Grenzschutzagentur Frontex (!) zu Hilfe, um ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer zu retten und Schleuser abzuwehren, wird der finstere Herrscher in seinem Verlies aufgespürt und mittels Speerwurf seines Körpers beraubt (siehe Sauron in "Herr der Ringe").
Denn das Böse ist weiterhin in "Paneuropa" unterwegs, der Schluss, an dem ein Krieg beginnt, lässt sich als Anspielung auf die russische Invasion in der Ukraine lesen.
Wenn auch der Stand der EU-Comics der größte in der Arena war, so verhielt sich das Interesse der Besucher des Festivals, das am vergangenen Wochenende mehrere hunderttausend Menschen anzog, in Grenzen.
Tomasz Kontny, auf die politische Mission des Comics angesprochen, schien die Frage unangenehm. Er sieht die Geschichte als "Vorschlag" und betont: "Comics sind eher zur Entspannung da".
Neben der EU-Kommission treten auch die Städte Lodz sowie Chorzow und die US-Botschaft in Warschau als "Partner des Projekts" auf, dessen erzieherischer Wille penetrant erscheint. Das Konzept scheint klar – der aktuelle Boom der Superhelden-Erzählungen vor allem durch den Film, soll als Träger für die simplifizierte Geschichte über "Gut und Böse" bei einer jungen Leserschaft fungieren. Den Kritisierten, etwa der PiS, wird dabei ein gutes Argument liefert, demzufolge die EU sich billiger Einflussnahme in Polen bedient.
Ansonsten war das Thema Ukraine auf dem Festival nicht an Ständen mit Comics, Brett- oder Videospielen präsent. Vertreten waren jedoch ukrainische Manga-Zeichner ohne politische Message. "Wir haben die Ukraine im Herzen", so der Gründer und Direktor Adam Radon gegenüber dem Autor, politisch ausgerichtet sei das Festival nicht.
Comics, oft fantastisch gehalten oder mit historischen Themen, sind in Polen beliebt; es gibt sechs Festivals pro Jahr, wovon das in Lodz als das größte in Osteuropa gilt. Jährlich werden mehrere hundert Alben polnischer Zeichner und Texter herausgebracht.
Auch das staatliche "Nationale Institut für Gedenken" (IPN), das kommunistische und nationalsozialistische Verbrechen dokumentiert und mit staatsanwaltlicher Vollmacht verfolgt, hat einen Stand in der Atlas-Arena, sie vertreiben Comics zur Geschichte Polens im 20. Jahrhundert.
Der Titel des Comics ist nicht aus der Luft gegriffen – die "Paneuropäische Bewegung" feiert dieses Jahr ihren 100. Geburtstag, wurde in Wien von dem Philosophen Richard N. C. Kalergi gegründet, um mittels einer europäischen Einigung einen weiteren Weltkrieg zu verhindern.
Der Bewegung gehörten damals Albert Einstein, Konrad Adenauer und Thomas Mann an, später wurde sie vom Naziregime, aber ebenso in realsozialistischen Staaten verboten. Heute hat die Paneuropa-Union im deutschsprachigen Raum allerdings eine stark konservative Ausrichtung, nachdem sie unter der Leitung von Otto von Habsburg wesentlich vom ehemaligen österreichischen Adel, der CSU und dem "Bund der Vertriebenen" geprägt wurde.
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