Compact-Verbot: Faesers Wut und Weidels Bikini
Kontroverse um Zensur und Meinungsfreiheit. Wird die Razzia beim Compact-Magazin eine neue Spiegel-Affäre?
Ferdinand Lassalle, der Gründer des SPD-Vorläufers Allgemeiner Deutscher Arbeiter Verein, wurde des Hochverrats angeklagt, weil er die Verfassung stürzen wollte. Bereits im Juli 1849 war Lassalle wegen des Aufrufs zur Steuerverweigerung und zur Bewaffnung der Bürger im Organ "Bauernführer" strafrechtlich verurteilt worden.
Lassalles staatsfeindliche Aktivitäten waren also deutlich handfester als bloße Mediendelikte und definitiv weiter gediehen als das, was die SPD-geführte Bundesregierung heute unscharf und ohne gesetzliche Grundlage als "Delegitimierung des Staates" bezeichnet.
Würde der für sein Temperament bekannte Lassalle heute noch leben, würde er vermutlich höchstpersönlich Bundesinnenministerin Nancy Faeser … Nein, das schreiben wir jetzt besser nicht, sonst wird womöglich auch noch der Heise-Verlag verboten.
Verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit
Das Grundgesetz verbrieft uns in Artikel 5 die Meinungs- und Pressefreiheit. "Eine Zensur findet nicht statt", steht dort in Absatz 1 Satz 3. Meinungen müssen nicht intelligent, "richtig" oder geschmackvoll sein. Ganz besonders wirre Meinungen sind sogar zusätzlich von der Religionsfreiheit in Artikel 4 geschützt.
Die Meinungs- und Pressefreiheiten finden ihre Grenzen lediglich in den allgemeinen Gesetzen (vorwiegend dem Strafrecht) sowie bei Kollision mit anderen Grundrechten (Persönlichkeitsrecht). Sofern einzelne Äußerungen nicht rechtskonform sind, können sie – nachdem sie einmal geäußert wurden – durch Gerichte nachträglich untersagt werden.
Inhalte gedruckter Medien werden vom Staat nicht besonders kontrolliert. Neuerdings weist man Landesmedienanstalten eine Aufsicht über Online-Medien zu, die hiervon allerdings selten Gebrauch machen (weil sonst Gerichten die Verfassungswidrigkeit der vagen Rechtsgrundlage auffallen könnte).
Zur Verhinderung einer gleichgeschalteten Medienlandschaft wie im Naziregime hatte man das Presserecht dezentralisiert und zur Ländersache bestimmt. In den Pressegesetzen der Bundesländer sind zwar Strafbestimmungen und teilweise auch Rechte zur Beschlagnahme und Verbote einzelner Druckwerke vorgesehen, nicht aber das Verbot einer Publikation als solcher – das wäre Zensur.
Im Gegenteil formulieren alle Pressegesetze, dass die Presse zulassungsfrei ist. Kritik an der Obrigkeit ist seit der Französischen Revolution ein Menschenrecht und hat hierzulande seit 1949 Verfassungsrang.
Vereinsverbote
Da jedes System zum Selbsterhalt strebt, muss sich natürlich auch ein Staat neuer SPD-Gründer wie Lassalle erwehren. Daher werden zwar Vereine in Artikel 9 ebenfalls als erlaubnisfrei garantiert, sie dürfen aber verboten werden, wenn deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten.
Damit dieses Verbot nicht durch Wahl anderer Rechtsformen unterlaufen werden kann, wird dieses auf Personen-Organisationen zugeschnittene Verbot im Vereinsgesetz auf andere juristische Personen wie eine GmbH ausgeweitet. Die Rechtsform Partei dürfte nur das Bundesverfassungsgericht verbieten (Art. 21 GG).
Frau Faeser hat nunmehr die GmbHs verboten, welche das geschäftliche Risiko des Compact-Magazins tragen – und mit diesem Trick auch sämtliche Aktivitäten dieser Organisationen. Folgerichtig twitterte sie stolz, sie habe "das Compact Magazin" verboten.
Das mag im Ergebnis richtig sein, ist medienrechtlich aber grottenfalsch, weil der Staat das direkt nicht kann, da dieses unverhohlene Ziel Zensur wäre. Eine mögliche Verwirkung der Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere der Pressefreiheit, könnte nicht Faeser aussprechen, sondern nur das Bundesverfassungsgericht (Art. 18 GG).
Das Vereinsverbot ist als juristischer Kunstgriff nur dann tragfähig, wenn das Magazin ein wirksames Instrument im Kampf der Organisationen gegen die verfassungsmäßige Ordnung wäre. Doch will die GmbH wirklich die verfassungsmäßige Ordnung beseitigen?
Soweit bekannt, wirbt das Magazin vielmehr im Gegenteil für die Teilnahme an demokratischen Wahlen, wenn auch nicht im Interesse von Frau Faesers Partei – die bei den Landtagswahlen am 1. September in Thüringen und Sachsen dort derzeit bei jeweils sieben Prozent gesehen wird.
Rechtspopulistisches Magazin mit AfD-Covergirl
Dem Autor diese Zeilen ist bislang nur ein einziger Beitrag des Compact-Magazins bekannt. Aus diesem hatte er in seiner Eigenschaft als Medienanwalt für einen Mandanten schwachsinnige Äußerungen verbieten lassen.
In diesem Kontext hatte er 2018 die Domain des Magazins gepfändet. (Eigentlich war die Pfändung für den ebenfalls verklagten Kopp-Verlag vorbereitet worden, aber der hatte dann doch noch in letzter Sekunde eine überfällige Zahlung geleistet. Man kann nicht alles haben …)
Herausgeber Herr Elsässer verhielt sich im Gerichtssaal zivilisiert, dem Vernehmen nach wurden er und sein Verlag bislang nie strafrechtlich belangt. Herr Elsässer ist allerdings trotz seiner Höflichkeit ein anstrengender Zeitgenosse, der zunächst mit anderen Verwirrten die sogenannten "Antideutschen" gegründet hatte – eine linksextreme Denkschule für anstrengende Gemüter, die vornehmlich mit anderen Linksextremisten um die Ausgrenzung Andersdenkender wetteifern. Vermutlich hat Herr Elsässer damit ausgerechnet die ideologisch ähnlich gefestigte Frau Bundesinnenminister beeinflusst.
Als Herrn Elsässer die Antideutschen dann selbst zu anstrengend wurden, wandte sich der flexible Publizist den dankbaren Wirrköpfen im rechtsextremen Lager zu, die ohne den Schriftgelehrten keine eigene Fachzeitschrift für Gleichverwirrte gebacken bekamen.
Den Covern nach zu urteilen scheint es sich, um eine unfreiwillige Satirezeitschrift zu handeln, die ihre Leser etwa mit Bikini-Bildern von Alice Weidel bedient. Der Verfassungsschutz konnte für den Honeypott dankbar sein, dessen Abonnentenliste die Suche nach Wirrköpfen vereinfachte.
Laut Verfassungsschutzbericht soll das Magazin "gesichert rechtsextrem" sein, was hinkommen könnte. In der wohl auslaufenden Ära Faeser / Haldenwang ist man allerdings gut beraten, solche Bewertungen des politischen Geheimdienstes nicht ungeprüft durchzureichen.
Dieses Stigma wäre auch irrelevant, denn selbst extreme politische Meinungen und sogar die Ablehnung des Staates sind laut Bundesverfassungsgericht zulässig, solange sie etwa die Grenze zur Volksverhetzung nicht überschreiten.
Es ist auch unklar, inwiefern dieses Magazin mit überschaubarem Verbreitungskreis tatsächlich ein Volk von 80 Millionen zum nächsten Reichstagssturm ermuntert. Wenn das Bundesverfassungsgericht die NPD nicht verbietet, weil sie die geschrumpfte Partei für inzwischen zu unbedeutend hält, dürften ähnliche Maßstäbe für ein derartiges Vereinsverbot gelten – jedenfalls dann, wenn keine Straftaten vorliegen und sich die Tätigkeit der Organisation auf die Herausgabe eines Mediums zum Zweck der freien Meinungsäußerung beschränkt.
Räuberpistole
In der Verbotsverfügung ist von einem sogenannten "Hausmeister" die Rede, der in einem abgehörten Telefonat mit Elsässer geäußert haben soll, er könne Robert Habeck mal ein Auge herausschießen. Elsässer und der "Hausmeister" bestreiten diese Äußerung. Ein gegen diesen angestrengtes Verfahren soll im April 2023 im Sande verlaufen sein.
Nun mag es salonfähigere Wege geben, seine Ablehnung für einen Spitzenpolitiker zu artikulieren, aber wenn jede deftige Äußerung unter vermeintlich vier Ohren als ernsthafte Vorbereitung terroristischer Anschläge gewertet würde, dürften demnächst etliche Vereine, GmbHs und AGs das Zeitliche segnen.
Besonders seltsam ist jedoch, dass dieser als "Hausmeister" bezeichnete ältere Herr als offenbar unbezahlter Unterstützer nicht einmal "Mitglied" des "Vereins" ist. Damit erscheint eine Gefährdung durch die GmbHs als Terrororganisation als konstruiert.
Dammbruch?
In einem Zeitalter, in dem sich die meisten Leser primär aus Social Media informieren und im Internet auf Medienangebote aus der ganzen Welt zurückgreifen können, erscheint das Verbot von gedruckten Zeitschriften mit überschaubarer Reichweite als seltsam überholt.
Mit Faesers Logik könnte man auch linksextreme Stiftungen verbieten, die in Social Media agitieren. Aktuell prüft die EU ein Verbot von X (ehemals Twitter) – eine folgerichtige Idee, insbesondere dann, wenn die EU von einer SMS-Verliererin geführt wird. Mit dem Digital Services Act sind wir auf dem besten Wege in einen Zensurstaat.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass Faesers Verbot in erster Linie die Gemüter der an Symbolpolitik interessierten Wählerschaft der in Hessen gescheiterten Ministerpräsidentinnenkandidatin bedienen soll, die 2023 für die SPD ein schlechteres Ergebnis als die AfD einfuhr.
Kritiker wittern auch eine Behinderung der vom Compact-Magazin gefeierten Partei, die in Sachsen und Thüringen bei 30 Prozent auf Resonanz stößt. Es liegt auf der Hand, dass dieses Verbot eines parteinahen Organs Rechtsextremisten in ihrer Opferrolle bestätigen und zu Trotzreaktionen führen wird.
Faesers Verbot könnte sich daher propagandistisch als ähnlich kontraproduktiv erweisen wie der Mordversuch an Donald Trump, den ihm zufolge Gott gerettet hat.
Staatliche Presse?
Problematisch jedenfalls ist der Pressetext des Bundesinnenministeriums, der sich nicht nüchtern auf den Vorgang beschränkt, sondern Frau Faesers Manöver bereits in der Überschrift abfeierte: "Harter Schlag gegen die rechtsextremistische Szene: Bundesinnenministerin Nancy Faeser verbietet die 'Compact-Magazin GmbH'".
Denn die Bewertung, ob eine Maßnahme wirklich ein "harter Schlag" ist, steht eigentlich der Presse zu, die der Staat aber gar nicht selbst betreiben darf.
Seriös kann derzeit auch niemand beurteilen, ob der Schlag denn wirklich so hart ist, und es stellt sich verfassungsrechtlich die Frage, ob solche "Schläge" eher politische Handlungen als solche eines rechtsstaatlich geführten Ministeriums für Inneres sind.
Denn die Bildung des politischen Willens und entsprechender Szenen soll vom Volk ausgehen, nicht umgekehrt. Deutschland ist neben Österreich das einzige Land der westlichen Welt, in dem der Geheimdienst zur Beobachtung politischer Parteien befugt ist. Eine Befugnis zu autoritären Eingriffen in die Meinungsbildung dürfte auch das Vereinsrecht nicht hergeben.
Kurzsichtigkeit
Selbst, wenn die Bundesinnenministerin zuständig wäre, so wäre ihre Macht auf Deutschland begrenzt. Niemand hindert Elsässer daran, sein Heft künftig im Ausland zu produzieren oder von dort aus das Internet zu beschicken.
Postkontrollen gegen Propagandamaterial, wie es die Kommunisten in der 1950er-Jahren aus der DDR versandten, sind klar unzulässig. Internetsperrgesetze können unterlaufen werden. Ob Faesers PR-Stunt wohl wirklich ein harter Schlag war? Geschlagen wurde in erster Linie der Rechtsstaat.
Der Gegenschlag ließ nicht lange auf sich warten: Inzwischen gibt es juristischen Ärger, weil bei der eigentlich geheimen Razzia auch Vertreter konkurrierender Medien anwesend waren, die den im Bademantel überfallenen Herrn Elsässer in demütigender Weise medienwirksam ablichteten.
Auch für Wirrköpfe gelten Persönlichkeitsrechte und Unschuldsvermutung, und für die Behörden gelten Schweigepflicht und Datenschutz.
Verhältnismäßigkeit
Nicht einmal einen Bikini trug Elsässers nackt schlafende Ehefrau, als diese zeitgleich um 6.30 Uhr in ihrem Wohnbüro in Hessen von einem Polizeikommando geweckt wurde. Sie durfte sich im Beisein der Beamten ankleiden. Anders als bei Elsässer waren hier keine Paparazzi zur Stelle.
Ihren Angaben zufolge wurden etliche Pkw als instrumenta sceleris einkassiert, auch solche von Dienstleistern, obwohl es sich insoweit kaum um Vereinsvermögen handeln dürfte. Ob man in einem Staat leben möchte, in dem politisch unerwünschte Autoren und deren Umfeld wie Terroristen behandelt werden, mag ein jeder selbst entscheiden. Assange und Nawalny lassen grüßen.
Schlechte Presse für schlechte Presse
Irritierend ist, dass das Vereinsverbotsverfahren unter Geheimhaltung eingestielt wurde. Verstörend ist, dass man aus Elsässers Haus solche seltsamen Asservate wie Schreibtische und Stühle heraustrug. Enttäuschend ist, dass auch Journalistenvereine in vorauseilendem Gehorsam dem Verbot applaudierten, nur weil der Gegner politisch passte.
Die politisch intendierte Razzia in einem Medienunternehmen erinnert nämlich an jenen Missbrauch staatlicher Macht, der 1962 als Spiegel-Affäre den Mythos einer liberalen Presselandschaft begründete, die gegenüber dem Staat resilient sei. Statt den 1960er-Jahren erleben wir in diesem Jahrzehnt wohl eher eine Renaissance der 1930er-Jahre.
Duell
Ferdinand Lassalle jedenfalls war deutlich gefährlicher als Elsässer, denn der Mann hantierte mit Pistolen und pflegte sich standesgemäß zu duellieren. Lassalles letztes Duell verlor der SPD-Gründer kläglich.
SPD-Politikerin Faeser riskiert mit ihrer Aktion zwar wohl nicht ihr tatsächliches Leben, aber ihr öffentliches: Das Amt als Bundesinnenministerin verlangt parteipolitische Neutralität und Weitsicht. Auch die Spiegel-Affäre endete mit dem Rücktritt eines aggressiven Ministers, der seine Kompetenzen überschritt.
Eine Regierung, für die der Zweck die Mittel heiligt, entfernt sich vom Ideal des Rechtsstaats. Eine Regierung sollte die Medien und die Bürger fürchten, nicht aber die Medien und Bürger eine Regierung.