Computerindustrie verlangt ausländische Arbeitskräfte
Doch eine Modernisierung der Einwanderungspolitik ist für die Politik tabu.
Da haben wir nun den Schlamassel: Mehr als zehn Jahre lang wurde von allen Seiten behauptet, Deutschland können nun beim besten Willen keine zusätzlichen Einwanderer mehr aufnehmen, das Boot sei voll, und die Schmerzgrenze endültig erreicht. Wer widersprach, war Gutmensch oder zumindest hoffnungslos realitätsfern. Da platzt auf einmal eine Meldung von der CEBIT herein, dass führende Repräsentanten der Computer-Branche ernsthaft vorhaben, mit dem völkischen Konsens der 90er Jahre zu brechen: Wenn nicht in den nächsten beiden Jahren zumindest eine Viertelmillion Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben werden würden, sei es um die Chancen auf den vielbesungenen Zukunftsmärkten schlecht bestellt. Der Deutschland-Chef von Hewlett-Packard, Jörg Menno Harms, forderte laut c't gar die Bundesregierung auf, so schnell wie möglich 30.000 Visa auszustellen.
Nein, wir haben uns nicht verhört: Einem Heer von vier Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen steht ein mittlerweile dramatischer und sich wohl weiter verschärfender Mangel an Fachkräften für die Informations- und Kommunikations-Technologien gegenüber. Die Branche boomt und ausgerechnet dort ist die Zahl der Studienabgänger gemessen an der Nachfrage lächerlich. Wer einigermaßen Erfahrung in Netzwerkadministration oder Kenntnisse im Programmieren vorweisen kann, scheint heute praktisch in der Lage zu sein, sein Gehalt selbst festlegen zu können. Eine entscheidende Sache aber muss hinzukommen: der deutsche Pass oder der Besitz einer gültigen Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis.
Mit dem Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer nach der Ölkrise der 70er Jahre haben die gesetzlichen Bestimmungen Neubeschäftigungen von nicht in Deutschland ansässigen Arbeitskräften tendenziell zu einem Ding der Unmöglichkeit gemacht. Während sich die Parteienvertreter an Wahlsonntagen scheinheilig vor der Demagogie der rechtsradikalen Parteien ekeln oder mit dem Finger auf eine kleine Alpenrepublik zeigen, haben Gesetzgeber von Schily bis Stoiber die hässliche Parole der Neonazis längst wahr gemacht: "Arbeitsplätze nur für Deutsche!"
So muss auch die Reaktion des Arbeitsministeriums verstanden werden, das auf die konkreten Forderungen der Industrie mit dem vagen Hinweis auf das "Inland" kontert. So müssen auch die Gewerkschaften verstanden werden, die dem Hilferuf der Arbeitgeber - wohl wissend um die verschobene Mentalität eines Großteils ihrer Mitgliederschaft - ziemlich unterkühlt begegnen. Die Gesetzeslage jedenfalls spricht eine unmissverständliche Sprache: Die "Anwerbestoppausnahmeverordnung" sieht kaum Ausnahmen vor und wird derart restriktiv gehandhabt, dass Arbeitgeber aller Wachstumsbranchen bereits seit Jahren still vor sich hin jammern.
Für Arbeitsverhältnisse mit Ausländern, die keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis haben, gilt die "Arbeitserlaubnispflicht", die einen Vermittlungsauftrag an das Arbeitsamt voraussetzt und Arbeitgeber wie Arbeitnehmer zur Mitwirkung bei den Bemühungen des Arbeitsamtes verpflichtet, innerhalb von mindestens vier Wochen vielleicht nicht doch noch einen bevorrechtigten "deutschen" Arbeitssuchenden ausfindig zu machen. Zuvor aber muss eine Aufenthaltserlaubnis her, welche wiederum nur in Verbindung mit einer Arbeitserlaubnis erteilt wird. Ein Teufelskreis also, zumal es um die Fachkenntnis der meisten Sachbearbeiter weit weniger gut bestellt ist als um deren ideologische Festigkeit, wenn es gilt, das Vaterland vor der Ausländerschwemme zu schützen. Personalchefs von international operierenden Großkonzernen kriegen da schon mal zu hören, den fernöstlichen Markt für Mobilfunknetze zu erobern, könne im Prinzip auch von deutschen Sinologie-Studenten erledigt werden, schließlich bedürfe es in erster Linie der richtigen Sprachkenntnisse. Oder ein dunkelhäutiger Videotechniker, der offiziell als Barkeeper eingestellt wird, weil die Behörden offenbar lediglich mit einschlägigen Klischees keine Probleme haben.
Vorrang hat eben das deutsche Blut, und angesichts solcher - nennen wir es mal - Provinzialität ist es nachvollziehbar, dass nun ausgerechnet diejenige Branche nicht länger mit der Hand vor dem Mund halten will, welche dem internationalen Wettbewerb am stärksten ausgesetzt ist und für die nationalstaatliche Grenzen nun wirklich keine ernstzunehmende Rolle mehr spielen, sobald es ums Geschäft geht. Man muss nicht viel vom Kapitalismus begriffen haben, um zu verstehen, dass Unternehmer schärfsten Wert legen auf gewisse Wahlmöglichkeiten bezüglich ihrer Mitarbeiterschaft (muss ja nicht gleich Reservearmee genannt werden) und sich schon gar nicht gern vorschreiben lassen wollen, wen sie zu beschäftigen haben und wen nicht. Es sei denn, die inländische Arbeitskraft ist an anderen Fronten beschäftigt und fremdländische wird ihnen gratis angeboten - doch so weit sind wir nun wirklich noch nicht wieder.
Einstweilen dürfen Ideologen und Demagogen aller Couleur weiterhin jeden Gedanken tabuisieren und mit Denkverbot belegen, der eine Humanisierung und Modernisierung der Einwanderungspolitik durch die eigentlich überfällige Angleichung der Arbeitnehmerrechte an die schrankenlose Freizügigkeit des Kapitals auch nur andeutet. Dass an derlei Träumereien vielleicht mehr dran sein könnte als am kaum verhohlenem, rassistischem Populismus, dürfte spätestens mit der Dingfestmachung mafioser Praktiken zwischen Bad Homburg und Oggersheim aufgefallen sein. Oder es handelt es sich beim Klagelied der Computermanager wiederum nur um einen kleinen Teil der berüchtigten Internet-Verschwörung, die die österreichische Regierung zur Zeit so gerne für den sie ereilenden Mangel an internationalem Zuspruch verantwortlich macht? Wundern würde es nicht mehr...