Consume - der kollektive Verbrauch von Bandbreite
Freie drahtlose Bürgernetze, Teil 2: Interview mit James Stevens
Im ersten Teil dieser Artikelserie ging es um die Grundidee der drahtlosen freien Bürgernetze. Neben einigen Grundbegriffen wurde die international wachsende Szene der Graswurzel-Vernetzer, ihre Ziele und Einstellungen, beschrieben. In diesem zweiten Teil wird ein ausführliches Interview mit James Stevens, Gründer von Consume.net in London, zum Ausgangspunkt gemacht, die Ideen und Motivationen hinter Consume.net vorzustellen. (Freie drahtlose Bürgernetze, Teil 1)
Ende der neunziger Jahre war James Stevens treibende Kraft hinter Backspace. Dieser inzwischen schon beinahe legendäre Ort war eine Mischung aus Internetcafe, Produktionslabor für Netzkunst inklusive eines Streaming Servers und kleinen Videostudios, Treffpunkt für unabhängige Gruppen und Veranstaltungsort für künstlerische und politische Netzkulturevents. Ermöglicht wurden die Netzaktivitäten im Backspace durch die Webdesign-Firma Obsolete (später umbenannt in Lateral), die James Stevens mitbegründet hatte und die ihre Standleitung mit Backspace teilten, sowie durch Gerätespenden, Subskriptionsgebühren der Mitglieder und einer Menge freiwilliger unbezahlter Arbeit.
Ironischerweise war es der Umbau eines ehemaligen Kraftwerks zum Kunsttempel Tate Modern, welcher im Stadtteil Southwark, in dem sich Backspace befand, einen Immobilienboom auslöste. So musste das Zentrum kreativer Umtriebe in dem kleinen Lagerhaus in der Clink Street kunstnahen Luxus-Appartments weichen. James Stevens ließ sich davon nicht unterkriegen und betreibt inzwischen ein neues offenes Internetlabor, SPC, in Greenwich. Von hier aus lanciert er die Wireless-Initiative Consume.
"Consume hat seine Wurzeln in dieser Phase der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, als wir von Backspace aus in experimentellen Netzwerkpraktiken engagiert waren," erzählt James Stevens. Im Sommer 2000 setzten sich er und der Designer Julian Priest hin und verfassten eine Art Manifest der drahtlosen Breitbandkommunikation. Sie nannten es "Consume", denn es "handelt sich um eine kollektive Aktion, eine Form von Konsumation," so Stevens:
"Die Beteiligten waren möglicherweise an einem Punkt in ihrem Leben, an dem sie etwas Bleibenderes schaffen wollten als nur eine weitere Website. Julian Priest und ich haben ein Jahrzehnt im Multimedia-Bereich gearbeitet, und es war an der Zeit, sich stärker auf altruistische Arbeit zu konzentrieren. Wirtschaftlich gesehen sind wir in einer komischen Phase, in der absteigenden Kurve des Wellentals nach dem ganzen Dotcom-Scheiß. Sich da rauszuziehen, hat eine eigene Dynamik erzeugt."
Stevens und Priest formulierten das Programm von Consume als "kollaborative Strategie zur Selbstversorgung einer Breitband-Telekommunikations-Infrastruktur." (siehe Consume FAQ) Das entscheidende Stichwort dabei ist "Selbstversorgung". Consume war nie angetreten, als eine Art Firma, kommerziell oder nicht, ein drahtloses Netz aufzubauen. Die Vision bestand darin, Leuten die Tools und das Know-how in die Hand zu geben, selbst ihre eigenen WLAN-Knoten einzurichten und diese untereinander zu verbinden. Diese Idee, dass ein komplexes Netzwerk aus einer Praxis der Selbstorganisation unabhängiger einzelner Teilnehmer entsteht, ist zugleich die Stärke und Schwäche des Projekts. Kaum war die Idee für Consume formuliert, kam reger Zuspruch von verschiedensten Leuten, doch diese traten an Stevens mit einer kommerziellen Denkweise heran, "denn das ist die Denkweise, die das Environment, in dem wir leben, vorgibt," so Stevens. Consume wollte sich jedoch nie als ISP verstanden wissen:
"Consume besteht im Entwerfen von Ideen und in den Aktivitäten, die aus diesen Ideen resultieren. Es gibt den Leuten einen gemeinsamen Namen, eine gemeinsame Identität, die ihnen hilft, das zu illustrieren, was sie tun."
James Stevens ist ein charismatischer Denker und Aktivist, der die Ideen der Selbstorganisation und des organischen Wachstums von Bottom-up-Strukturen nicht in akademische Begrifflichkeiten kleidet, sondern praktisch vorlebt. Die Internetmythen der neunziger Jahre von den dezentralen, nicht-hierarchischen Organisationsformen sind die gelebte Wirklichkeit von Consume.net. 400 Knoten gibt es laut Stevens mittlerweile im Consume.net und er berichtet davon, dass er mit 200 Leuten im E-Mail-Kontakt sei, die noch keinen Knoten hätten, aber darüber nachdenken würden. Was allerdings größtenteils noch fehlt, sind die Verbindungen zwischen den Knoten, die Maschen im Netzwerk und die inhaltsbezogenen Anwendungen, die über Email, Web, Newsgroups und Twicki hinausgehen. Eine feste Organisation, die den weiteren Ausbau vorantreibt, das Netz straffer zusammenschließt und Kosten und Verantwortlichkeiten klärt, wäre dem sicher förderlich, wie Stevens selbst zugibt. Doch dem Vorschlag, Consume in eine juristische Person umzuwandeln, verweigerte er sich, "denn aus meiner Sicht würde das Consume nur zu einem verdammten Ziel machen."
James Stevens möchte weder die Idee auf Consume monopolisieren, noch finanziellen Vorteil daraus ziehen.Was treibt den großgewachsenen, meist lächelnden, 39-jährigen Vater zweier Kinder also an, den Großteil seiner Zeit und Energie in ein Projekt zu stecken, das im wahrsten Sinne des Wortes aus Luft besteht?
"Manchmal wache ich morgens auf und frage mich, was mache ich eigentlich? Nun, ich habe meine Hände in den Texturen dieses sich entwickelnden Medien-Environments, das außerhalb des kommerziellen Modells steht und offensichtlich nach seinen eigenen Begriffen funktioniert, das sich selbst erhält und insofern einzigartig ist."
Essentielle Infrastrukturen, so Stevens, werden entweder von großen Privatfirmen oder Staatsbetrieben errichtet. Ihm geht es darum zu zeigen, dass so etwas auch "aus dem Boden gezogen werden" kann:
"Ich denke es geht darum, die Zuversicht zu haben, dass es getan werden kann. Je mehr man gibt, umso mehr erhält man zurück. Man schafft einen Raum um sich, der es ermöglicht, dass neue Materialien zu einem kommen. Es ist, als ob man eine Zone des Tiefdrucks schafft, man zieht Dinge an, Leute, Geräte, was immer es ist, das man braucht. Man erzeugt diese Tiefdruckzone, indem man etwas weggibt, und die Dinge kommen zurück und die stärksten Sachen sind die Ideen und die Energie der Leute, auf die man zugegangen ist, aber in einer Art und Weise, die sie nicht gewohnt sind."
Während Consume weiter wächst und andere Player auf den drahtlosen Zug aufspringen und eigene Konzepte, Ideen und Aktivitäten einbringen, ist James Stevens bereits wieder einen Schritt weiter. Er spricht mit den Bezirksverwaltungen, Schulen, Universitäten in der näheren Umgebung.
"Ich denke, dass es mir auf eine gewisse zynische Art Spaß macht, auf einer möglichst hohen Ebene mit diesen Organisationen in Kontakt zu kommen und eine Veränderung zum Positiven zu initiieren. Ich habe eine großartige Möglichkeit, genau das im Augenblick in Lewisham zu tun. Das wiederum hilft, meine Existenz hier authentischer zu machen und das hilft wiederum, SPC voranzutreiben. Das hat eine tiefere Geschichte als Consume. Es geht um das Selbstmanagement sozialer Systeme, um den Weiterbestand sinnvoller Systeme oder Plattformen."