Corona-Aufarbeitung: Das sagt ein Experte über Maskenpflicht und Einsamkeit
Anhörung im Landtag von Rheinland-Pfalz: Schutzmaßnahmen als Pflichtübung teilweise ineffektiv. Sowohl Infektionen als auch Gegenmaßnahmen haben Langzeitfolgen.
Vor rund vier Jahren wurden die Maßnahmen des ersten Corona-Lockdowns gelockert. Die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" war damit noch lange nicht beendet.
Verschobene Operationen, Schulschließungen, gesperrte Kinderspielplätze und Kontaktbeschränkungen – die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Infektionswellen haben sowohl bei einzelnen Menschen als auch in der Gesellschaft Spuren hinterlassen.
Der Ruf nach Aufarbeitung wurde seit der Veröffentlichung der Protokolle des Krisenstabs im Robert-Koch-Institut im März dieses Jahres lauter.
Corona-Politik soll von 22 Fachleuten bewertet werden
Im rheinland-pfälzischen Landtag hat an diesem Mittwoch eine Expertenanhörung begonnen, bei der insgesamt 22 Fachleute aus ganz Deutschland, darunter sind Virologen, Epidemiologen sowie Pflegefachkräfte und Psychotherapeuten, die Maßnahmen bewerten sollen.
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Zur Anhörung geladen war unter anderem der Epidemiologe Philipp Wild, der bereits 2022 die Kommunikation zum Thema Covid-Impfungen kritisiert hatte. Er selbst hält die Impfung für sinnvoll, weil Infektionen danach milder verliefen und das Risiko von Langzeitfolgen geringer sei.
Die Impfung hätte aber seiner Meinung nach nicht als "Rettung vor dem Virus" verkauft werden sollen: Dass das Virus wegen seiner Mutationen nicht gänzlich verschwinden werde, hätten Immunologen von Anfang an gewusst, hatte Wild im Herbst 2022 betont.
Wenige Monate zuvor waren Initiativen zur allgemeinen Impfpflicht im Bundestag durchgefallen, das Thema an sich und der Umgang mit Ungeimpften, die zeitweise von vielen Freizeitaktivitäten ausgeschlossen waren, spaltet aber bis heute.
Corona-Maßnahmen: Nutzen und Kollateralschäden
Bei der Anhörung an diesem Mittwoch ging Wild auf Nutzen und Kollateralschäden verschiedener Corona-Maßnahmen ein – auch auf verschobene Arztbesuche, Operationen und medizinische Behandlungen, die nicht stattgefunden hatten, als die Krankenhäuser Kapazitäten für Corona-Patienten freihalten wollten.
Schwere Erkrankungen wie Herzinsuffizienz seien in dieser Zeit "ausgesessen" worden, sicher zum Nachteil der Betroffenen, betonte Wild. Auch Untersuchungen zur Krebsvorsorge seien ausgefallen.
Das Coronavirus selbst und mögliche Langzeitfolgen wollte Wild aber in diesem Zusammenhang nicht verharmlosen: In den ersten ein bis zwei Jahren nach einer Covid-Infektion sei das Risiko für viele Erkrankungen – darunter auch Herz-Kreislauf-Probleme – deutlich erhöht, sagte er und verwies dabei auf eine Studie, die 2022 im Magazin Nature veröffentlicht worden war.
Sowohl die Versorgung von Post-Covid-Erkrankten als auch weitere Forschungen zu ihrem Krankheitsbild müssten ausgebaut werden, empfahl er.
Maskentragen als Pflichtübung oft unhygienisch und ineffektiv
Beim Thema Maskenpflicht sagte Wild zunächst: "Die Maske ist in der Tat eine sehr komplexe Intervention." Viele haben aus seiner Sicht die Masken falsch genutzt, beispielsweise bedenkenlos angefasst oder unhygienisch verstaut, bevor sie sie wieder aufsetzten.
Das gilt aus seiner Sicht vor allem für diejenigen, die das Tragen der Masken nur als Pflichterfüllung sahen – insofern sei die Verpflichtung in der Bevölkerung nicht effektiv gewesen. "Die Menschen, die das sorgfältig tragen" würden aus seiner Sicht auch einer reinen Empfehlung folgen.
Die psychischen Folgen sind aus der Sicht von Wild nicht zu unterschätzen. Die Depressivität habe zugenommen; die Einsamkeit durch Kontaktbeschränkungen habe "nachhaltige Schäden" in der Bevölkerung hinterlassen. "Da ist etwas geblieben", sagte Wild.
Medizinethiker verteidigt Lockdown
Der Medizinethiker Norbert W. Paul betonte in der Anhörung, dass zumindest zu Beginn der Pandemie nicht klar gewesen sei, "was uns mit Corona erwarten würde". Für politisch Verantwortliche sei daher die Schutzpflicht des Staates in der Anfangsphase maßgeblich gewesen.
Daher sei auch der Lockdown zu Beginn gerechtfertigt und "zeitlich adäquat" gewesen. Meistens hätten die Verantwortlichen "unter Unsicherheit richtig gehandelt" – die Rücknahme der Einschränkungen sei aber mitunter zu langsam erfolgt.
Kritisch äußerte sich Paul zur Verschiebung von Operationen, durch die beispielsweise ein Patient mit diabetischem Fuß "eben nicht die Zehen verliert", sondern größere Teile des Fußes. Gerade junge Ärztinnen und Ärzte, die mit solchen Problemen konfrontiert waren, seien oft an ihre Belastungsgrenze gekommen.
Die Anhörung im rheinland-pfälzischen Landtag soll am morgigen Donnerstag fortgesetzt und am 12. Juli im Gesundheitsausschuss aufgewertet werden. Beantragt wurde sie von den drei Regierungs-Parteien SPD, Grüne und FDP sowie den Oppositionsparteien CDU und Freie Wähler, nicht aber von der AfD.
Sie wird im Livestream auf der Homepage des Landtags übertragen.