Corona-Impfstoffe: Wird Afrika abgehängt?

Auf dem Kontinent mangelt es an Geld, Logistik und Infrastruktur. Nun will Südafrika die geplanten Impfungen auch noch stoppen

Eigentlich wollte Südafrika Mitte Februar mit den Impfungen starten: AstraZeneca hatte in der vergangenen Woche die erste Million Impfdosen angeliefert. Doch weil die Wirksamkeit gegen die Mutation des Coronavirus offenbar begrenzt ist, sollen die Impfungen im südafrikanischen Gesundheitswesen nun ausgesetzt werden.

Laut einer Studie der südafrikanischen Universität Witwatersrand und der Universität Oxford, die gemeinsam mit AstraZeneca den Impfstoff entwickelten, bietet der Impfstoff bei einer Infektion mit der südafrikanischen Variante des Virus nur begrenzten Schutz. So fehlt es noch an ausreichenden Erkenntnissen darüber, ob der Impfstoff auch Schutz vor schweren Krankheitsverläufen bietet, weil es sich bei den Studienteilnehmern überwiegend um junge, gesunde Erwachsene gehandelt habe, heißt es.

Nach Angaben des südafrikanischen Gesundheitsministers Zweli Mkhize gehen mittlerweile mehr als 90 Prozent der Corona-Infektionen auf die Mutation zurück, die deutlich ansteckender sei als das ursprüngliche Virus Sars-CoV-2. Auch in Großbritannien und in Deutschland wurde die neue Mutation, wenn auch in weniger Fällen, nachgewiesen.

Die mutierte Corona-Variante B.1.351 war bereits Mitte Januar über Einreisende aus Südafrika nach Deutschland gekommen.

Außerdem kursieren aktuell zwei weitere Varianten, die zuerst in Großbritannien bzw. in Brasilien entdeckt wurden. Wie aus einer Studie der Universität Oxford hervorgeht, soll der Impfstoff "zweifach" schützen. Einerseits schütze er die Geimpften mit hoher Wahrscheinlichkeit vor einer Virus-Erkrankung, andererseits verringere er aber auch die Übertragungs-Wahrscheinlichkeit. Nach einer ersten Impfung bestehe durch das Vakzin von AstraZeneca eine Effizienz von 76 Prozent für drei Monate. Bei einer zweiten Dosis steige die Wirksamkeit auf 82 Prozent.

Zwar sei es denkbar, dass sich die Zahl der Neuinfektionen langfristig nicht so massiv reduzieren werde wie erhofft, erklärt die Wissenschaftlerin Sarah Gilbert, die maßgeblich an der Entwicklung des Impfstoffs beteiligt war, in einem BBC-Interview. Dennoch werde man mit der Impfung Todesfälle vermeiden und könne so den Druck auf Krankenhäuser erheblich verringern.

Die in Südafrika aufgetauchte Variante B.1.351 hatte sich auch in den Tests anderer Impfstoff-Hersteller als resistenter erwiesen als gedacht. Nun arbeiten die Impstoff-Entwickler wie AstraZeneca und die Uni Oxford bereits fieberhaft daran, die Vakzine an die kursierenden Virus-Varianten anzupassen. Immerhin soll der Impfstoff gegen die in Großbritannien entdeckte Variante B.1.1.7 eine gute Schutzwirkung bieten.

Zwar wurden in Südafrika größere klinische Versuche an vier Impfstoffen durchgeführt. Das südafrikanische Pharmaunternehmen Aspen Pharmacare war bereit, den Impfstoff von Johnson & Johnson zu produzieren. Doch bevor die Impfstoffe im eigenen Land eingesetzt werden, werden wohl Millionen Dosen in Europa verteilt. Ein kleiner Teil der Bevölkerung, der am härtesten betroffen ist, dürfte wohl erst ab Mitte des Jahres Zugang zu einer Impfung erhalten.

Bei Biontech/Pfizer zeigten gegen Ende 2020 erste Impfergebnisse, dass der Impfstoff mit 90 Prozent in Afrika effektiv wirkt. Um die genaue Effektivität bestimmen zu können, müssten noch sehr viel mehr Menschen beobachtet werden. Zu untersuchen wäre auch, wie lange die Immunität überhaupt anhält.

Ungerechte Impfstoffverteilung

Wie können Impfstoffe weltweit gerecht verteilt werden? Werden die ärmeren Länder benachteiligt? Aktuell sieht es ganz danach aus: Die reichsten Länder, die gerade mal 13 Prozent der Weltbevölkerung stellen, haben sich bereits mehr als die Hälfte des gesamten Impfstoffes gesichert, rechnet eine Studie der amerikanischen Duke Universität vor.

Allen voran Kanada: Das Land beansprucht bisher die meisten Impfdosen pro Kopf. Wegen Engpässen und Hürden bei der Verteilung könnte es noch Jahre dauern, bis die gesamte Weltbevölkerung geimpft sei, befürchten die Autoren. Der "Impfstoffnationalismus", vor dem von allen Seiten gewarnt wird, ist längst Realität.

Man könne nicht davon ausgehen, dass ein Impfstoff, der in Europa eingesetzt wird, auch in Südafrika wirkt, erklärt Prof. Shabir Madhi. Der Mediziner leitete die Impfstudie, die im vergangenen Jahr an der Wits University in Johannesburg mit dem an der Universität Oxford entwickelten Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19 durchgeführt wurde.

Shabi findet es ungerecht, wenn 80 Prozent der Deutschen geimpft würden, während Hochrisikopatienten in Südafrika und Mitarbeiter des Gesundheitswesens keinen Zugang zu den Impfstoffen erhielten. Außerdem können diverse Faktoren wie zum Beispiel andere genetische Voraussetzungen die Immunreaktion der Menschen unterschiedlich beeinflussen.

Die globale Verteilung der Impfstoffe wird eine Herausforderung: 15 Millionen Kühlboxen müssen in schätzungsweise 15.000 Flügen innerhalb von zwei Jahren um die Welt geflogen werden. Dann stehen die Kisten erst in den Flughäfen. Verteilt sind sie dann noch lange nicht. Es fehlt nicht nur an Geld, es mangelt auch an Kühlgeräten, an Logistik und Infrastruktur. So müssen die Impfstoffe von Moderna bei minus 20° gelagert werden, die von Biontech/Pfizer sogar bei minus 70°.

In Kenia gibt es immerhin technische Möglichkeiten, die Impfstoffe entlang der Lieferkette bis auf minus 8° bzw bis minus 20°C herunterzukühlen. Damit gehört das Land zu dem knappen Drittel afrikanischer Länder, die mit ihren Impfvorbereitungen einigermaßen gut vorangekommen sind. Sollte ein Impfstoff allerdings noch kältere Lagertemperaturen benötigen, könnte es Probleme geben.

So konnte ein Impfstoff, der auf minus 80°C gekühlt werden musste, bisher nur in drei Ländern eingesetzt werden. Nicht ohne Grund setzen zum Beispiel Kenia und Südafrika auf AstraZeneca. Der Impfstoff ist zwar nicht so effektiv wie die anderen am Markt, doch ist er vergleichsweise billig und kann im Kühlschrank gelagert werden. Für die Kenianer soll die Impfung immerhin kostenlos sein.

Als einer der ersten Staaten begann Guinea mit den Impfungen. Hier bestellte die Regierung zwei Millionen Dosen des Impfstoffs Sputnik V aus Russland. Auch in China wurden Bestellungen aufgegeben. In Mali und Ruanda steht die Logistik zur Verteilung der Impfstoffe ebenfalls bereit. Nun fehlt nur noch der Impfstoff.

In Mali wird parallel dazu durch die WHO eine Impfkampagne gegen Polio durchgeführt: Fünf Millionen Kinder sollen die Schluckimpfung bekommen. Dan Owalla von der Nichtregierungsorganisation People's Health Movement befürchtet, dass Afrika im Rennen um den Impfstoff abgehängt wird. Wegen des Geldmangels rechnet er erst Ende 2022 mit größeren Impfkampagnen auf dem Kontinent.

Warum gab es in Afrika anfangs weniger Infizierte?

Experten nennen eine Reihe von Gründen: Zum einen hat die Bevölkerung einen geringeren Altersdurchschnitt als in Europa. Dies würde auch die tendenziell milderen Infektionsverläufe erklären. Zum anderen verbringen die Menschen mehr Zeit im Freien. Sie reisen insgesamt weniger.

Relativ früh wurden Reisebeschränkungen, Ausgangssperren und Schulschließungen durchgesetzt - sogar oft noch bevor ein Coronafall überhaupt aufgetreten war, heißt es in einer wissenschaftlichen Analyse, die im August veröffentlicht wurde. Schließlich hat man bereits Erfahrungen im Umgang mit Virenkrankheiten wie Ebola und dem Lassa-Fieber. Die schnellen Reaktionen haben insgesamt dazu geführt, dass sich die Infektion langsamer ausbreiten konnte.

Maria Yazdanbakhsh, Parasitologin an der Universität Leiden in Niederlanden, argumentiert, einigen Menschen sei durch Masern, Durchfallviren, Malaria oder Parasiten ein besseres Immunsystem antrainiert worden. Dies wirke sich mildernd auf eine Covid-19-Erkrankung aus.

Als das Virus im März/April 2020 nach Afrika eingeschleppt wurde, waren vor allem Algerien, Marokko, Tunesien und Ägypten betroffen. Drei Viertel aller Todesfälle waren in diesen Ländern zu beklagen. Weniger Tote, aber mit 1.400 die meisten Infizierten, wurden in Südafrika gezählt - zu einer Zeit, in der in den anderen Ländern der Region die Krankheit noch ganz am Anfang stand.

Südafrikanisches Gesundheitssystem am Limit

Am 8. Februar 2021 zählte man für ganz Afrika 3.682.000 Infizierte, wobei die Zahl der täglichen Neuinfektionen seit Ende Januar kontinuierlich gesunken ist. In den nordafrikanischen Ländern liegt die Zahl der aktiven Corona-Fälle jeweils zwischen 12.000 und 28.000, wobei Tunesien mit rund 35.000 mehr aktive Fälle verzeichnet als seine Nachbarländer. Der Hot Spot ist in Südafrika, wo sich inzwischen bis 1,48 Millionen Menschen mit Covid-19 infizierten. Bis Dienstag waren 46.500 Menschen daran gestorben. Aktuell gibt immer noch 67.000 aktive Fälle.

Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, warnen Fachleute. Wegen geringer Testkapazitäten müsse man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen.

Unterdessen spitzt sich die Versorgungslage zu. Die Wartezimmer im Krankenhaus in Khayelitsha, dem größten Armenviertel in Kapstadt, sind überfüllt. Es fehlt an Sauerstoffgeräten und Intensivbetten. Vor allem fehlt es an Fachpersonal. Unklar ist, wie eine effiziente Impfstrategie aussehen soll. Wie Präsident Cyril Ramaphosa ankündigte, sollen erst Mitte des Jahres die ersten Impflieferungen eintreffen. Und die reichen gerade für rund zehn Prozent der Bevölkerung.

Zwar könnten in Khayelitsha bis zu 40 Prozent der Bewohner, die sich in der ersten Welle infiziert hatten, möglicherweise immun sein, wie Studien zeigen. Doch darauf wollen sich die Ärzte lieber nicht verlassen.

Schnellere Impfungen mit Covax?

Die EU, die USA und andere Industrieländer haben sich bereits Hunderte Millionen Dosen gesichert. Für ganz Afrika sollen 220 Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen. Das reicht nur für ein Fünftel der afrikanischen Bevölkerung. Wann genau das sein wird, ist noch offen. In den meisten Ländern soll Mitte des Jahres mit dem Impfen begonnen werden.

Für viele Länder ist die internationale Impf-Initiative Covax - ein Zusammenschluss von knapp 190 Ländern - die einzige Chance, einen Zugang zu Impfstoffen zu erhalten. Die ärmeren Länder sollen die Impfstoffe zu günstigeren Konditionen erhalten.

Die WHO geht davon aus, dass zunächst nur gefährdete Gruppen - Mitarbeiter des Gesundheitswesens und alte Menschen - geimpft werden. Das sind etwa drei Prozent der Bevölkerung. Bis Ende dieses Jahres sollen bis zu 20 Prozent der Bevölkerung geimpft sein.

Schon jetzt ist der wirtschaftliche Schaden in Afrika aufgrund der Corona-Maßnahmen katastrophal. Am meisten leiden Menschen, die schon vorher an der Armutsgrenze lebten. Ihnen droht nun Hunger und der weitere Abstieg ins Elend. Und auch wenn irgendwann mal viele Menschen geimpft sein werden - ein Zurück zur Normalität wird es so schnell nicht geben.