Corona-Krise: Bereicherung der Reichsten
Armut nimmt stark zu. Wachsende Ungleichheit poltisch und sozial nicht mehr erträglich. Studien aus den USA und Frankreich fordern Hilfeprogramme
So kann es nicht weitergehen, meint Thomas Piketty. Die derzeitige Entwicklung der Geldpolitik sei sozial und politisch nicht haltbar. In seinem englisch-sprachigen Beitrag in Le Monde geht er der Frage nach, wie mit den Covid-Schulden umgegangen wird.
Laut dem Wirtschaftswissenschaftler, international als Spezialist für Ungleichheit bekannt, sind die enormen Schulden, die Zentralbanken verbuchen, um staatliche Hilfsmaßnahmen zu finanzieren, zwar technisch kein Problem. Aber diese Politik sorge woanders für Probleme, nämlich bei der Verteilung von Vermögenswerten. Die Ungleichheit vergrößere sich.
Die Orgie der Geldschöpfung und des Kaufs von Finanztiteln führt in der Tat zu einem Anstieg der Aktien- und Immobilienpreise, was zur Bereicherung der Reichsten beiträgt.
Thomas Piketty
Für die Kleinsparer sehe das anders aus, für sie seien Null- oder Negativzinsen "nicht unbedingt gute Nachrichten". Dagegen seien für diejenigen, die es sich leisten können, Kredite zu niedrigen Zinssätzen aufzunehmen, und die über das finanzielle, rechtliche und steuerliche Fachwissen verfügen, um die richtigen Investitionen zu finden, ausgezeichnete Renditen möglich.
Als Referenz erwähnt Piketty, dass die 500 größten Vermögen in Frankreich (siehe Challenges) im Zeitraum zwischen 2010 und 2020 in der Summe von 210 Milliarden Euro auf 730 Milliarden gestiegen seien. Machten sie zu Anfang der Zehn-Jahres-Periode 10 Prozent des BIP in Frankreich aus, so seien es am Ende 30 Prozent.
An "nicht unbedingt guten" Nachrichten zu Ungleichheiten, die sich während der Corona-Krise vergrößert haben, mangelt es nicht (Corona-Krise in den USA: Fast 40 Millionen Arbeitslose, aber Milliardäre gewinnen). Die New York Times weist heute auf zwei aktuelle Studien hin, die einen Abrutsch von sechs bis acht Millionen US-Bürgern in die Armut seit der Corona-Krise konstatieren.
USA: Die Armutsrate steigt
Die Studie des Center on Poverty & Social Policy, das zur Columbia University gehört, zählt acht Millionen mehr Amerikaner seit Mai, die sich unterhalb die Armutsgrenze befinden (etwa 1.000 US-Dollar im Monat für einen 1-Personen-Haushalt, Genaueres hier). Herausgehoben wird von der New York Times ein Wahlkampfargument gegen Trump, wonach es zwischenzeitlich viel besser aussah, als aus dem 2-Billionen-US-Dollar-Paket, dem Cares Act, mehr Geld an die Arbeitslosen verteilt wurde - über die 600 Dollar-Extra-Zahlungen, die die Trump-Regierung aber Ende Juli auslaufen ließ.
Im April und Mai gelang es mit dem Cares-Gesetz zwar, einen möglichen Anstieg der Armut auszugleichen, aber nicht, einen Anstieg der tiefen Armut zu verhindern, die definiert ist als ein monatliches Einkommen, das unter der Hälfte der monatlichen Armutsgrenze liegt. Darüber hinaus brachten die im Rahmen des Cares-Gesetzes durchgeführten Konjunkturüberprüfungen und die Arbeitslosenunterstützung im April mehr als 18 Millionen Menschen aus der Armut heraus, aber diese Zahl fiel im August und September nach dem Auslaufen der Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 600 Dollar pro Woche des Cares-Gesetzes auf etwa 4 Millionen Menschen.
Studie des Center on Poverty & Social Policy
So statuiert die Studie als derzeitiges Ergebnis, dass die monatliche Armutsrate im September höher ausfällt als im April oder im Mai und sowieso höher als vor der Corona-Krise.
Die zweite Studie, von Ökonomen der Universität von Chicago und der Universität von Notre Dame, ermittelt einen ähnlichen Verlauf. Die Armutsrate ging in den ersten "Corona-Krisen-Monaten" April, Mai und Juni von 10,9 Prozent im Januar und Februar auf 9,4 Prozent zurück, um dann aber im August und September wieder auf 10,8 Prozent zusteigen, womit der Rückgang der Armut zu Beginn der Pandemie zunichte gemacht wurde.
Die Zunahme der Armut in den letzten Monaten war für Schwarze, Kinder und Personen mit einer High-School-Ausbildung oder weniger auffällig. Die Schätzungen deuten auch darauf hin, dass die Armut in Staaten mit weniger wirksamen Arbeitslosenversicherungssystemen stärker zunahm. Der jüngste Gesamtanstieg gibt Anlass zur Besorgnis über eine mögliche künftige Zunahme der Armut, da das Pandemie-Arbeitslosengeld, die zusätzliche wöchentliche Zahlung von 600 Dollar an Arbeitslosenversicherungsempfänger, Ende Juli eingestellt wurde und der Kongress kein weiteres Hilfspaket verabschiedet hat.
Poverty Measurement
Hätte es die Arbeitslosen-Extrahilfe des Cares-Gesetzes nicht gegeben, so die Studienverfasser, dann wäre die Armut noch stärker gestiegen. Einer der Verfasser, Bruce D. Meyer, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von Chicago, wird von der New York Times damit zitiert, dass "uns die Zahlen sagen, dass die Menschen viel mehr Schwierigkeiten haben, ihre Rechnungen zu bezahlen, ihre Miete zu bezahlen, das Essen auf den Tisch zu bringen".
Frankreich: "20% der Haushalte haben 70% des Wachstums des Finanzvermögens gehortet"
In Frankreich veröffentlichte Le Monde Anfang dieser Woche Vorabergebnisse der Studie des regierungsnahen Conseil d’analyse économique (CAE, auf Deutsch: Rat für Wirtschaftsanalyse), der den Premierminister berät. Dessen Kernergebnis wird nach der Menge an ähnlichen Feststellungen der letzten Jahre niemanden mehr überraschen:
Die wohlhabendsten 20% der Haushalte haben 70% des Wachstums des Finanzvermögens gehortet, das sich zwischen März und August 2020 angesammelt hat. Umgekehrt konnten die ärmsten 20% der französischen Bevölkerung nicht nur nicht mehr als üblich sparen und auch keinen Notgroschen anlegen.
Le Monde
Ganz im Gegenteil: Sie verschuldeten sich. Die "erzwungenen" Einsparungen der schlechter gestellten Haushalte führte während des Lockdowns (französisch: Confinement) zu einem Konsumeinbruch von 6,3 Prozent. Der Konsum, so die Forscher der CAE, begann aber sofort nach den Lockerungsmaßnahmen wieder anzusteigen. Das machte sich aber vor allem bei langlebigen Gütern (Autos, Möbel, Haushaltsgeräte, Computer usw.) bemerkbar, deren Kauf verschoben wurde. Was Restaurantbesuche und Freizeitaktivitäten betrifft, so wurde der "nicht nachträglich kompensiert".
Die Forderung an die Politik, die der Rat für Wirtschaftsanalyse daraus zieht, geht einerseits dahin, die Notwendigkeit einer "sehr schnellen", sehr viel größere" Unterstützung der ärmsten Haushalte, die den wirtschaftlichen Folgen von Gesundheitsmaßnahmen stärker ausgesetzt sind, zu betonen. Anderseits wird ein politisch heikles Pflaster betreten, das Piketty als Alternative zum "Weiter so" als unumgänglich bezeichnet: eine andere Fiskalpolitik, höhere Besteuerung der Vermögenden.
Erst durch den Rückgriff auf außergewöhnliche Abgaben der Bessergestellten wurden die hohen Staatsschulden der Nachkriegszeit getilgt und der Sozial- und Produktivitätspakt der folgenden Jahrzehnte wieder aufgebaut. Wetten, dass dies auch in Zukunft so sein wird.
Thomas Piketty
Die Debatte darüber wird schwer zu vermeiden sein, heißt es aus dem Conseil d’analyse économique. Man habe es mit "einem enormen Volumen an flüssigen Ersparnissen zu tun, die derzeit weder angelegt noch konsumiert werden". Grundsätzlich stelle sich die Frage, wer für die zehn Punkte des Bruttoinlandsprodukts aufkommen wird, die während der Krise verloren gingen.