Corona-Krise: Vom Homeschooling zum Outdoorschooling
Kaum Infektionsrisiko im Freien: Nach einem Jahr Pandemie und Schulschließungen werden Forderungen nach Freiluftschulen lauter. Warum eigentlich erst jetzt und wird bis zur Umsetzung ein weiteres Jahr vergehen?
Frühling wird’s. Die Fenster werden aufgemacht. Letzte Woche tat dies der Kinderarzt Herbert Renz-Polster, er forderte ein Denken "outside the box": Unterricht im Freien. Schulen und Kindergärten sollten sich mit ihren Maßnahmen der Pandemie anpassen. Mit klugen Strategien könnte man die Schulen offenlassen, so der Buchautor, der sich viel von der Schule draußen verspricht:
Dass man zum Beispiel wirklich den Frühling nutzt und die Kinder rausschickt. Also draußen Unterricht, draußen spielen, draußen Kitas. Die Kinder werden dann in ihrem Leben auf diese Zeit als wirklich eine tolle Zeit zurückblicken.
Herbert Renz-Polster
Die Idee der Freiluftschule ist nicht neu; Konzepte der "Draußen-Schule" blühten auch auch schon vor der Corona-Pandemie auf. Es gibt längst Modellprojekte und wissenschaftliche Studien, Waldkindergärten und -kitas gehören schon länger zu den elterlichen Gespräche über "das Beste fürs Kind". Die ersten Freiluftschulen wurden in Deutschland gegründet. Da ging es hauptsächlich noch um die Erziehungsmission, die Kinder möglichst nah an die Natur zu bringen, um direkt vom Naturleben fürs eigene Leben zu lernen.
Am Wochenende haben sich nun auch Bundestagsabgeordnete aus verschiedenen Fraktionen für den Unterricht "outside the box" unter freiem Himmel, auf Schulhöfen, in Wäldern, Parks und Sportplätzen, ausgesprochen. So forderte der familienpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Marcus Weinberg, dass man diese Möglichkeiten durchdenken müsse, bevor man die Schulen wieder schließen müsse.
Auch vom Koalitionspartner SPD kommt Zustimmung für die Idee, zumal letzte Woche der Offene Brief der Gesellschaft für Aerosolforschung große Resonanz fand. Dort hieß es, dass die Übertragung der Sars-CoV-2 Viren fast ausnahmslos in Innenräumen stattfindet und Übertragungen im Freien äußerst selten seien und nie zu "Clusterinfektionen" führen, wie das in Innenräumen zu beobachten sei. "Daher klingt die Möglichkeit, Schulunterricht im Freien möglich zu machen, erstmal gut und wird von manchen Schulen bei gutem Wetter auch spontan genutzt", so die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Bärbel Bas gegenüber einer Boulevard-Zeitung.
Auch ein Vertreter der Grünen-Fraktion, Janosch Dahmen, denkt Gutes von der Schule im Freien. Bei sinkender Inzidenz, wie er vorsichtig einschränkt, wäre das ein Ausweg: "Unterricht im Freien oder Exkursionen in Parks und Wäldern sind bei sinkender Inzidenz dann ein sehr pragmatischer und sinnvoller Schritt von Öffnungen". Und selbst von der FDP, keine Partei der Naturschwärmer, gibt es Unterstützung, allerdings ausbalanciert.
"Ich unterstütze alle sinnvollen Maßnahmen, die Unterricht in Präsenz wieder möglich machen", so die stellvertretende FDP-Vorsitzende Katja Suding. Schule im Freien könnte sinnvoll sein, meint sie. "Luftfilter und Hygienekonzepte in geschlossenen Räumen jedoch auch."
Ob solche Äußerungen zu Ergebnissen führen? Unterricht im Freien in Deutschland hat mit anderen Wetterwechseln zu rechnen als etwa die spanische Stadt Murcia, aus der neulich Bilder von Kindern an Schultischen am Strand kursierten - trotz Abstand mit Maske, eine niedliche Geschichte, die vom Spiegel aufgenommen wurde, um das Leben in der deutschen Corona-Box etwas mit Neid und Idylle aufzumischen: "Hier lernen die Kinder wegen der Pandemie tageweise am Strand - und fürs Leben."
Der Nimbus des außerordentlichen Organisationstalents in Deutschland ist angeschlagen (wobei es noch die Hoffnung gibt, dass die Impfkampagnen-Maschinerie, wenn sie denn einmal richtig anläuft, dann auch aufhört zu rumpeln und gründlich "läuft und läuft und läuft"). Dem Improvisationspotential an den Schulen sind aufgrund der Anforderungen enge Grenzen gesetzt.
Sie müssen Corona-Tests durchführen, die schnell ablaufen müssen und dabei die Persönlichkeiten der Schülerinnen und Schüler schützen sollen, was eine ständige Gratwanderung bedeutet, dazu in vielen Fällen der Wechsel zwischen Präsenzunterricht und online-Unterricht und in leider viel zu seltenen Fällen die Mühen einer besonderen Förderung von Schülern, die sich mit dem Online-Unterricht schwertun.