Ausgangssperre: "Irreführende Kommunikation"
Die Gefahren lauern in den Innenräumen, warnen führende Aerosolforscherinnen und -forscher
Gehen die Pläne für eine Ausgangssperre in die Irre? Die Gesellschaft für Aeorosolforschung hat sich zu Wochenbeginn in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, an die Gesundheitsminister von Bund und Ländern sowie an die Regierungschefs in den Ländern gewandt. Darin heißt es unter Berufung auf "vielfältige Erkenntnisse zur Übertragung der SARS-CoV-2 Viren über den Luftweg":
"Die Übertragung der Sars-CoV-2 Viren findet fast ausnahmslos in Innenräumen statt. Übertragungen im Freien sind äußerst selten und führen nie zu 'Clusterinfektionen', wie das in Innenräumen zu beobachten ist. Zu diesen Gruppeninfektionen gehören bevorzugt Altenheime, Wohnheime, Schulen,Veranstaltungen, Chorproben oder Busfahrten."
Offener Brief der Gesellschaft für Aerosolforschung
Schon im Dezember hatten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einem umfangreichen Positionspapier an die "Medien, Behörden, Verwaltung und Politik, sowie an die interessierte Öffentlichkeit" gewandt, in dem sie den Kenntnisstand zu Ausbreitung und Schutzmaßnahmen darstellten.
Man habe aber den Eindruck gehabt, dass die Botschaften nicht ausreichend angekommen sind und habe daher nun den offenen Brief nachgelegt, heißt es gegenüber Telepolis.
Die Bürgerinnen und Bürger bekämen durch die Diskussion in den Medien und die beschlossenen Maßnahmen den Eindruck, draußen sei es gefährlich. Öffentliche Treffen im Freien werden verboten und Ausflugsziel für den Publikumsverkehr abgesperrt, so der offene Brief. "Auch die aktuell diskutierten Ausgangssperren müssen in diese Aufzählung irreführender Kommunikation aufgenommen werden."
Man teile das Ziel, problematische Kontakte zu reduzieren. Die Ausgangssperren würden jedoch mehr versprechen, als sie halten können, und zudem bei den Bürgerinnen und Bürgern eher den Wunsch verstärken, sich der staatlichen Kontrolle zu entziehen.
Statt alle Kontakte mit anderen Personen als gefährlich darzustellen, komme es darauf an, die Menschen für die tatsächlichen Übertragungswege zu sensibilisieren. Je kleiner der Raum und desto länger die Menschen sich dort aufhalten, desto größer werde die Infektionsgefahr.
Insbesondere, wenn nicht ausreichend gelüftet wird. Daher wird einmal mehr gefordert:
"5.) Raumluftreiniger und Filter sind überall dort zu installieren, wo Menschen sich länger in geschlossenen Räumen aufhalten müssen (Wohnheime, Schulen, Alten-und Pflegeheime, Betreuungseinrichtungen, Büros und andere Arbeitsplätze).
6.) In großen Hallen und Räumen ist die Ansteckungsgefahr viel geringer als in kleinen Versammlungsräumen. Wenn man also wieder Theater, Konzerte und Gottesdienste stattfinden lassen will, sollte das in großen gut gelüfteten Hallen stattfinden oder wenn möglich ins Freie ausgewichen werden."
Offener Brief der Gesellschaft für Aerosolforschung
Neben dem offenen Brief ist auch das oben erwähnte Positionspapier interessant, wenn man sich mit den Details von Ausbreitung, Stoßlüften, der Wirksamkeit verschiedener Maskentypen und ähnlichem näher beschäftigen möchte.
Die Leitautorinnen und -autoren des Positionspapieres sind in der Schweiz, Österreich und Deutschland führend in der Forschung tätig. Daneben haben mehrere Dutzend Autorinnen aus dem In- und hauptsächlich europäischen Ausland mitgeschrieben.
Eine noch größere Zahl von Aerosolforschern und -forscherinnen vom russischen Kasan über das polnische Warschau bis zu spanischen Leon unterstützt die Stellungnahme, die auch auf Englisch veröffentlicht wurde. In der Stellungnahme werden diverse wissenschaftliche Studien zitiert, auf denen die getroffenen Aussagen basieren.
Schon in diesem Positionspapier hieß es im Dezember:
"Im Freien finden so gut wie keine Infektionen durch Aerosolpartikel statt. Allerdings können Tröpfcheninfektionen auftreten, insbesondere in Menschenansammlungen, wenn Mindestabstände nicht eingehalten und/oder keine Masken getragen werden. In geschlossenen Räumen ist Lüften unerlässlich, um die ausgeatmete Luft in einem Raum durch frische Luft von draußen zu ersetzen."
Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung
Für Tröpfcheninfektion ist wichtig, dass ein Mindestabstand eigehalten wird, denn anders als die kleineren Partikel fallen die Tröpfchen je nachdem, ob gesprochen, gehustet oder genießt wird, bei Windstille meist im Umkreis von etwas unter einem bis unter zwei Meter zu Boden.
Die meisten Ansteckungen erfolgen jedoch durch kleinere Partikel. Jeder Mensch gibt allein schon durch das Atmen winzige Flüssigkeitstropfen ab, die den Viren als Taxi dienen. Besonders hoch ist die Viruskonzentration beim Nießen, Singen und Sprechen.
Aerosol wird ein Gemisch aus Luft und kleinen festen oder flüssigen Partikeln genannt. Aufgrund ihrer geringen Größe können die kleineren unter ihnen viele Stunden oder gar Tage in der Luft schweben und mit Strömungen weit verteilt werden.
Die Durchmesser der Partikel reichen von 0,001 bis zu mehreren 100 Mikrometern, heißt es in dem Papier. Nur die größeren unter ihnen sinken zu Boden ab.
Die Sars-CoV-2-Viren haben nach Angaben des Papiers eine Größe von 0,06 bis 0,14 Mikrometer und können auf den Partikeln sitzen, die Infizierte wie jeder Mensch beim Atmen, Sprechen, Rufen, Lachen, Singen usw. ausstößt.
Diese Virentransporter sind entsprechend größer als die Viren selbst. Können ihre Größe aber auch durch Verdunstung verändern.
Für die Ansteckungsgefahr ist die Konzentration der Virus-beladenen Partikel in der Luft wichtig. Diese nimmt mit Abstand von der Quelle ab, weshalb ebenfalls Abstandhalten wichtig ist.
Allerdings können die Viren je nach Temperatur und Tageslicht mehrere Stunden aktiv bleiben. Daher ist auch eine Infektion ohne direkten Kontakt möglich.
Es reicht unter Umständen, sich in einem schlecht belüfteten Raum wie einem Treppenhaus aufzuhalten, den zuvor eine Infizierte Person genutzt hat.
In dem Papier wird ein Fall aus Slowenien erwähnt, wo sich in einer Squash-Halle Spieler infiziert haben nach dem dort zuvor ein Virusträger Sport betrieben hatte.
Der Bundestag debattiert diese Woche eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes, mit der ab einem bestimmten Inzidenzwert eine Ausgangssperre von 21 bis fünf Uhr vorgeschrieben würde. Bleibt abzuwarten, ob das auch im Bundesrat Zustimmung findet.