Corona-Lockdown: Die Schönheit der Leere
- Corona-Lockdown: Die Schönheit der Leere
- Wenn die Kultur aufatmet
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Der wirtschaftlich schädliche und sozial zermürbende Ausnahmezustand hat einen bemerkenswerten, wenngleich unbeabsichtigten ästhetischen Nebeneffekt (Achtung: dieser Beitrag ist keine Verherrlichung von Corona!)
Dass Institutionen, Theater und Konzerthäuser geschlossen und viele Museen leer sind, noch lange leer bleiben und sich nur ganz langsam wieder füllen werden, ist schrecklich. Es ist eine wirtschaftliche Katastrophe, wenn der wichtige Kulturmotor schwächelt und auch auf Sicht kaum Touristen anziehen wird.
Die sogenannte Umwegrentabilität von Kultur wurde weltweit nicht nur längst erkannt, sie wird auch über alle Maßen gelebt, ja geradezu geheiligt. Was der Van Gogh auf Amsterdamer Einkaufstüten, sind die schonungslos verwirklichten Mozart-Devotionalien von Salzburg bis Wien; kaum eine Kugel oder Fläche, die vor Bedruckung sicher wäre.
Jetzt stöhnt die Wirtschaft, da sie menschliches Massenverhalten braucht wie einen Bissen Brot. Was wäre der Handel ohne die dazugehörige Massenpsychologie? Nicht mehr als eine durch fragwürdige Ästhetik bestimmte Begleiterscheinung alltäglicher Umtriebigkeit.
Ästhetische Nebenwirkung der Pandemie
Gegenwärtig erzeugt der realwirtschaftlich höchst bedenkliche Abschwung, ohne es zu beabsichtigen, ästhetische Vorteile:
Endlich wieder Gemälde und Zeichnungen in aller Ruhe betrachten können! Dürer, Schiele und Bacon endlich wieder ohne die in der Mehrzahl eher achtlos wirkende menschliche Überfülle und ohne störendes Gedränge bestaunen dürfen.
Nach abermaligen Lockdowns bei Bach, Mahler und Scelsi noch lange Zeit in halbvollen Konzertsälen sitzen, um Neue Musik konzentriert zu hören.
Thomas-Bernhard-Inszenierungen in halbleeren Theatersälen in sich aufzunehmen und sich zu freuen, dass die Leere im Parkett das törichte Missverständnis abmildert, dass Bernhard, von Berlin über München bis Wien, zunehmend als von Sarkasmus befreite Komödie inszeniert wird.
Die Aura des Originals
Zu viele Menschen begnügen sich in Zeiten von Corona mit kulturfernen digitalen Abtötungsstrategien. Gerade jetzt bleibt die gesellschaftliche Mehrheit der Kultur ferner denn je. Den Abstieg von der analogen "Leseratte" zum digitalen "Kurztextwurm" haben hunderte Millionen von Menschen weltweit in nur wenigen Jahrzehnten geschafft.
Auch aus diesem Grund ist es folgerichtig, dass Kommunen und Museen auf Digitalisierung setzen. Einmal verwirklicht, wälzen sich vielleicht nur noch die interessierten Teile der bisherigen Touristenmassen tatsächlich durch die Uffizien in Florenz oder den Louvre in Paris.
Die mäßig Interessierten können vieles auch virtuell erleben, ohne sich der Mühe unterziehen zu müssen, jeden Ort tatsächlich zu besuchen; sie können ihre Selfies in vorgefertigte VR-Masken jeder beliebigen Sehenswürdigkeit einbetten - mit zur Uhrzeit passendem Lichteinfall - und damit die Daheimgebliebenen digital informieren oder auch provozieren. Die Aura des Originals jedoch bleibt in solchen Fällen für den einsamen Betrachter störungsfrei erhalten.
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