Corona-Maßnahmen: Fehlende inhaltliche Auseinandersetzung
Seite 2: Die Gunst der Stunde
Um die Frage zu beantworten, ob die Pandemie für ganz andere Zwecke genutzt wird, als das Leben der Menschen zu schützen, muss man in keine Glaskugel schauen. Es reicht schon aus, sich historisch vergleichbare Ereignisse vor Augen zu führen. Dazu zählt ganz sicher "9/11", also all das, was auf die Terroranschläge 2001 in den USA folgte. "9/11" leitete einen Paradigmenwechsel in der Feindversinnbildlichung ein.
Bis dahin galt im Westen der Kommunismus als die größte (rote) Gefahr, mit der man innere und äußere Aufrüstung und Militarisierung begründete. Nach der Implosion des Ostblockes brach der (äußere) Feind weg. "9/11" bot sich als ideale Möglichkeit an, den fehlenden Feind zu ersetzen. Seitdem wird vieles mit dem Kampf gegen den "Islamismus" begründet. Dass dieser "Kampf" auch fast alle westlichen Gesellschaften verändert, zu einer wesentlichen Erosion demokratischer Errungenschaften beigetragen hat, ist sicherlich unbestritten.
Man hat eben nicht nur den "Islamismus" bekämpft, sondern auch elementare Grundrechte ausgehöhlt und eine Vandalisierung des internationalen Rechts forciert. Dazu zählt zum Beispiel der de facto permanente Kriegszustand der NATO (mithilfe ständiger Verlängerungen des Beistandfalles), bei gleichzeitiger Ausweitung von Kriegshandlungen, die keinen Verteidigungsfall zur Grundlage haben (wie zum Beispiel der Einsatz von Killer-Drohnen).
Das damals neuartige Virus des "Islamismus" musste für vieles herhalten, auch in Deutschland. Die Rechtsanwältin Jessica Hamed führte dazu in einem Interview aus:
Deutschland hat mit den sogenannten Anti-Terror-Gesetzen auf den Terroranschlag 2001 reagiert. Damit sicherte sich der Staat weitgehende Eingriffsgrundlagen, mit denen die Überwachungsmöglichkeiten des Staats verstärkt wurden. Eine besonders kritische Maßnahme war hierbei die der Vorratsdatenspeicherung. Kritik hiergegen gab und gibt es zahlreich, z.B. von der ehemaligen Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberg.
Aktuell steht die endgültige Klärung der Rechtmäßigkeit durch den Europäischen Gerichtshofs aus. Der Prozessbevollmächtigte Professor Matthias Bäcker erklärte hierzu am 27. September 2019: "Eine nationale Regelung, die eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung vorsieht, ist unzulässig. Aus der Gesamtheit der gespeicherten Daten könnten nämlich sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben von Personen gezogen werden." Die o.g. Gesetze sind befristet, wurden aber größtenteils immer wieder verlängert. Das zeigt, dass der Staat Eingriffsmöglichkeiten, die er sich schafft, höchst ungern wieder zurücknimmt.
In besagtem Interview fügte Rechtsanwalt Professor David Jungbluth hinzu:
Ein lernwilliger Blick auf die Historie zeigt jedenfalls, wie sich die Rechtslage in ähnlichen "Notstandssituationen" entwickelt hat. Erinnert sei hier an die Gesetzgebungsmaßnahmen nach dem 11. September 2001, die sich auf ein latentes terroristisches Angriffsszenario berufen haben, das Anlass nicht nur für den bis heute andauernden Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan war, sondern auch für Schilys "Otto-Katalog", in den erhebliche grundrechtliche Einschränkungen Eingang gefunden haben. Auch wenn das Schreckensszenario eines alles überrollenden islamistisch-terroristischen Angriffs auf die westliche Welt bis heute realitätsfremd geblieben ist, haben die einmal beschlossenen Gesetze und die auf ihnen fußenden Maßnahmen weiterhin Bestand, wurden sie zuletzt doch bis 2021 umstandslos verlängert."
Der Dauerzustand eines Ausnahmezustandes
Als man die zahlreichen, über 30 Gesetzesverschärfungen im deutschen Bundestag 2001/2002 verabschiedete, tat man dies angesichts einer außergewöhnlichen Situation. Bereits damals wusste kaum jemand, was alles mit den Gesetzesverschärfungen zum Tragen kommt und ob sie im Detail tatsächlich den "Islamismus" bekämpfen helfen. Zu den Verschärfungen in Gesetzespaket I und II gehören unter anderem:
- Die Verschärfung des Vereinsrechtes
- Die Ausweitung des § 129, mit dem Ziel, den Straftatbestand der Bildung/Unterstützung einer terroristischen Vereinigung auch auf ausländische Organisationen auszuweiten (§ 129b)
- Der erweiterte Zugriff auf Bank- und Flugdaten von Verdächtigen
- Die Vorratsdatenspeicherung, die es den Verfolgungsorganen erlaubt, auf Handydaten bei den Providern zuzugreifen
- Die Schaffung einer "Antiterrordatei", die Polizei und Geheimdienst gemeinsam nutzen
- Die Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses
- Die Verschärfung des Ausländerrechts
Unter dem Eindruck, dass die Welt ins Wanken gerät, hat man im deutschen Bundesstag zugestimmt und den wenigen mahnenden Stimmen insoweit Rechnung getragen, dass man diese Verschärfungen befristet hat. Nach fünf Jahren sollte geprüft werden, ob die Gesetzesänderungen tatsächlich ihren Zweck erfüllen, um sie gegebenenfalls rückgängig zu machen. Was ist also im Überprüfungsjahr 2007 passiert? Nichts - oder doch: "Durch die Einführung des 'Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes' im Januar 2007 wurden sie dann jedoch verlängert und inhaltlich erweitert." (Historische Debatten: Kampf gegen den Terror, sas/14.08.2017/Dokumente des Bundestages)
Was ist mit all den Gesetzesverschärfungen im Jahr 2020? Man hat sie nicht nur stillschweigend fortgeführt und mit Mehrheit im deutschen Bundestag durchgewunken. Man hat auf ihnen aufgebaut und noch etwas draufgesetzt, wie zum Beispiel das "Gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin" oder die Erweiterung der Zugriffsrechte, wie Hans-Christian Ströbele 2011ausführte:
Bei der Abfrage der Daten von Banken sind die Bedingungen, unter denen das angewandt werden kann, also der Verfassungsschutz Konten abfragen kann bei den Banken, die sind immer weiter gelockert worden. Das hat dann die Große Koalition gemacht, sodass es immer leichter möglich ist, und jetzt ist ja sogar geplant, dass die sich über eine Datenverbandsstelle über alle Banken informieren können.
Der Vorwurf, man nutze nur einen "Notstand", um die Einschränkung von Grundrechten zum Normalzustand zu machen, ist also mehr als berechtigt.