Corona-Pandemie: Als die Medien in den Lockdown gingen
Seite 2: Die Wissenschaft und die Medien
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Kurz auf den Punkt gebracht und es ist auch nicht neu: Die Wissenschaft debattiert um den Ursprung des Sars-CoV-2 und hofft immer noch auf das Auffinden der Ursprungssequenzen – eventuell aus Virendatenbanken, die endgültige Gewissheit geben könnten.
Immer wieder – und das ist der Gang der Wissenschaft – mussten wegen neuerer Studien zu Covid-19 alte Modelle überdacht und angepasst werden. So auch im langjährigen Podcast von NDR-info mit Christian Drosten und Sandra Ciesek, Leiterin der Virologie an der Universitätsklinik Frankfurt.
Bereits bei der medialen Verarbeitung der teilweise zweistündigen Gespräche, die von Wissenschaftsredakteurinnen geführt werden, fiel auf, wie die Tendenz zur Zuspitzung und gleichzeitig Faktizierung in vielen Medien die sehr differenzierten und abwägenden Aussagen der Wissenschaftler veränderten – ein Dilemma, das vielleicht auch einen Teil des Hasses auf Drosten erklärt, der manchmal kaum auf seine Originalaussagen zurückführbar scheint.
In einem ausführlichen Gespräch zu genau dieser Problematik in der Bundespressekonferenz vom 13. November 2020 wird deutlich, dass die zuspitzenden Gegenüberstellungen durch Medien – etwa in Talkshows – gerade nicht erkenntnisfördernd, sondern unsachlich polarisierend wirken können.
Betrachtet man relevante Wissenschaftsartikel zum Herkunftsthema, die peer-reviewed in angesehenen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, dann lässt sich für die Zeit von Anfang/Mitte Februar 2020 bis in den Juli 2021 und eigentlich bis heute Folgendes festhalten: Die wissenschaftliche Debatte zu den verschiedenen Ursprungsthesen entwickelte und entwickelt sich weiterhin sehr dynamisch.
Dominant bleibt die Vermutung, dass das Virus aus Fledermäusen stammt (Zhou, P. et al. 2020 A pneumonia outbreak associated with a new coronavirus of probable bat origin). Endgültige Beweise gibt es dafür aber nach wie vor nicht.
Wie sich von der Fledermaus aus Menschen mit dem Virus infizierten, bleibt bis heute ebenfalls unklar (Frutos, R., Pliez, O., Gavotte, L., Devaux, C. 2021 There is no origin to SARS-CoV-2).
Zunächst bestimmte insbesondere die Wildtiermarktthese die wissenschaftliche Debatte (ProMED Undiagnosed pneumonia – China (HU): RFI). Nachdem relativ schnell auffiel, dass einige wissenschaftliche Indizien gegen sie sprachen (Huang, C. et al. 2020 Clinical features of patients infected with 2019 novel coronavirus in Wuhan, China), tauchten im April 2021 Publikationen auf, die diese These widerlegten (Pekar, J., et al. 2021 Timing the SARS-CoV-2 index case in Hubei province).
Da in der Vergangenheit einige Pandemien durch sog. Spillover-Events ausgelöst wurden, hält sich diese Vermutung auch bei Sars-CoV-2 bis heute. Jedoch konnte bisher weder endgültig ein Reservoir Tier noch ein möglicher Zwischenwirt ausgemacht werden (Frutos, R., Pliez, O., Gavotte, L., Devaux, C. 2021 There is no origin to SARS-CoV-2).
Daher ist die Übertragung des Virus durch eine Spillover-Zoonose auf den Menschen bis jetzt weiterhin nur eine Vermutung. Dadurch, dass bis heute keine Beweise für eine Zoonose gefunden werden konnten, bleibt auch die Laborthese weiterhin relevant in der Debatte (ebd.). Es gibt sogar einige Indizien, die diese stützen; so etwa die nun folgenden Erkenntnisse zur sog. Gain of Function-Forschung am WIV in Wuhan.
Gain-of-Function bedeutet: Experimentieren mit Krankheitserregern, um deren Übertragbarkeit und/oder Virulenz zu erhöhen. Die Veränderung von einzelnen oder mehreren Genen eines Virus kann dabei zu einer Verstärkung der Genaktivität führen oder sogar die Genfunktion verändern, so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Übersicht zur globalen Gain-of-Funktion Forschung (GOF) vom 23. September 2021.
Dabei können gefährlichere Varianten eines Virus entstehen als in der Natur, die der Präventionsforschung dienen sollen. GoF an verschiedenen Coronaviren wurde bereits vor dieser Pandemie auch am WIV durchgeführt (Wiesendanger, R. 2021 Studie zum Ursprung der Coronavirus-Pandemie).
In dem Kontext ist die Rolle der EcoHealth Alliance aus den USA wichtig, weil deren Kooperation mit dem WIV die Gegenüberstellung von seriöser Forschung in den USA und unseriöser in China obsolet macht.
Über die von dem Zoologen und Epidemiologen Peter Daszak geleitete Alliance fließen US-amerikanische Steuergelder in die Gain-of-Funktion-Forschung auf chinesischen Boden, auch nach Wuhan. Und das, obwohl in den USA 2014 ein vorübergehendes Moratorium gegen GoF-Forschung verhängt wurde.
Durch diese an Gelder gebundene Zusammenarbeit von Daszak und dem WIV (teils vertreten durch Shi Zhengli) sind die finanziellen Abhängigkeiten von Daszak und dem WIV nicht von der Hand zu weisen, welche man ihm als Delegationsmitglied der WHO, die den Ursprung des Virus in China erkunden sollte, schließlich vorwarf. Insofern wird aber verständlich, warum er stets bestrebt war, die Laborthese im Keim zu ersticken.
Eine Art der Gain-of-Function Forschung am WIV war folgende: Es gelang den Forschern die Zacken der Coronavirus-Krone an menschliche Zellrezeptoren anzupassen und diese somit miteinander zu verbinden. Dadurch wäre kein Zwischenwirt mehr nötig, so die Studie Wiesendangers (ebd.).
Jedoch wurde, laut Aussage von Shi Zhengli am WIV, keine Gain-of-Function-Forschung mit Sars-CoV2 betrieben, so die New York Times vom 21. Juni 2021. Jedoch räumt sie ein, dass ihr Labor (WIV) Sequenzen von Sars-CoV2 besaß.
Deshalb fehlen weiterhin Beweise für die These eines Laborunfalls. Solange man nicht die Ursprungssequenzen des Virus gefunden hat, bleiben alle Theorien unbewiesen. Insgesamt lässt sich feststellen: Den Vorläufigkeitscharakter von forschender Wissenschaft bilden Medien nicht oder nur unzureichend ab.
Zum Umgang mit unsicherem Wissen exemplarisch im Nachrichtenmagazin Der Spiegel gibt es im Teil 2, der morgen erscheint
Sabine Schiffer leitet das unabhängige Institut für Medienverantwortung (IMV) in Berlin. In ihrem Lehrbuch "Medienanalyse" stellt sie das notwendige Handwerkszeug für die Analyse von Medienbeiträgen zusammen. Das IMV richtet sich an Medienschaffende und Mediennutzende gleichermaßen und klärt über Darstellungsmechanismen, Medieninhalte und Produktionsbedingungen auf und bietet Medienbildung in Seminaren, Publikationen und Konzepten.
Michael Hartmann hat als Student der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Frankfurt/Main im Rahmen seiner Bachelorarbeit den Umgang des Nachrichtenmagazins Der Spiegel mit der Frage zum Ursprung von Sars-Cov2 untersucht.