Corona-Pandemie: Als die Medien in den Lockdown gingen
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Fallanalyse eines Medienversagens (Teil 1)
Während die Wissenschaft weiter diskutiert, wo genau der Ursprung des Sars-Cov2 Virus liegt und die Ursprungssequenzen sucht, suchen Medien nach einem Ausweg ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten, denn viele hatten sich 2020 bereits festgelegt, dass die These einer natürlichen Übertragung vom Tier auf den Menschen (Zoonose) richtig, die Laborthese hingegen falsch sei.
Wir werden diese Frage nicht klären, weil sie auch die Wissenschaft nach wie vor nicht geklärt hat, aber wir werden der Frage nachgehen, wie es sein kann, dass Medien – die sich als Inbegriff der vierten Gewalt, also in einer machtkritischen Wächterfunktion sehen – sich für eine der beiden Theorien entschieden haben und diese lange als absolute Wahrheit verkündeten?
Aus medienanalytischem Interesse werden wir anhand einschlägiger Artikel des Nachrichtenmagazins Der Spiegel aufzeigen, wie (un-)seriös wir teilweise informiert wurde und gleichzeitig vermitteln, was die Framinganalyse in diesem Kontext leisten kann.
Es geht uns dabei ums Exemplarische, um die Einladung zum Anwenden der gleichen Methodik auf weitere Medienprodukte, und nicht um ein Einstimmen in den Reigen der Schuldzuweisungen, die – zumeist personalisiert – das strukturelle Problem von Faktizierungstendenzen in der Medienberichterstattung verfehlen.
Twitterzugänge zur wiederkehrenden Debatte um Corona-Ursprung
Personalisiert wird erneut auf Twitter die Debatte um den Ursprung von Sars-Cov2 und die Schuldfrage hochgekocht. Einen langen Thread postet der Journalist und Publizist Philipp Mattheis am 25. Januar 2022 zum Buch "Viral" von Alina Chan und Matt Ridley.
Darin zeigt er die wesentlichen Stationen der virologischen Ursprungssuche und der Debatte darüber auf: die Hypothesen und Unklarheiten. Der 21-teilige Thread, der die Stationen vom Corona-Virenfund in einer Mine 2021 bis zur Forschung im Wuhan Institute of Virology (WIV) nachzeichnet, endet in einem Spotify-Podcast von The Realignment zum Thema.
Das Ganze stellt im Wesentlichen eine Art Online-Rezension des Buches zur Suche nach dem Ursprung des Corona-Virus dar und bindet im Post Nr. 12 eine Kritik an den Chefvirologen der Berliner Charité, Christian Drosten, mit ein.
Drosten postet ebenfalls auf Twitter zum Thema. Am 3. Februar kritisiert er in einem Thread das Magazin Cicero und die Schweizer Tageszeitung NZZ, die ihn einhellig diskreditieren würden. Tatsächlich haben sich beide auffällig und explizit aufseiten der Laborthese positioniert, während Drosten die Zoonose favorisiert, und allein in einem Tweet vom 2. Februar führt Cicero einen personalisierten Angriff auf Drosten.
"Aus gegebenem Anlass" postet Drosten am 4. Februar eine alte Veröffentlichung aus The Lancet mit dem Verwehren gegen Spekulationen und Aufruf zur wissenschaftlichen Prüfung der Ursprungsfrage vom 19. Februar 2020.
Am 8. Februar 2022 verlinkt Drosten sein Interview mit der Süddeutschen Zeitung dazu und am 9. Februar dann empfiehlt er die Lektüre eines am selben Tag auf The Technology Review erschienen Artikels über die offenen Fragen zum Thema.
Es handelt sich auch um einen stark personalisierenden, aber dennoch detailreichen und lesenswerten Artikel von Jane Quiu, der viel um die sogenannte "Bat-Woman" kreist – also Dr. Shi Zhengli –, die seit der Entdeckung der Viren aus Fledermäusen 2012 als Laborleiterin in Wuhan sowohl für die erste Sequenzierung des neuartigen Coronavirus verantwortlich zeichnet, wie auch für den Verdacht eines Ursprungs durch ein Entweichen aus genau ihrem Labor, das bereits langjährig zu solch gefährlich Viren forscht.
In dem Text zieht sie am Ende ein enttäuschtes Fazit über die Debatte und die westlichen Medien, wie sie sie wahrnimmt:
"Gegenwärtig bin ich der Auffassung, wenn man Chinese ist, spielt es keine Rolle, wie gut man in seinem Job ist, denn man wird nach seiner Nationalität beurteilt", sagte sie. "Ich habe jetzt erkannt, dass die westliche Demokratie heuchlerisch ist und dass ein Großteil der Medien von Lügen, Vorurteilen und Politik gesteuert wird."
Shi Zhengli
Auch westliche Medien sind getrieben von Lügen, Vorurteilen und Politik?
Bevor wir dieser Behauptung genauer nachgehen, hier noch ein weiterer wichtiger Thread zum Themenkomplex auf Twitter, wo sich ja nicht wenige Journalisten und Nachrichtenagenturen tummeln. Der Philosoph und Publizist Adriano Mannino zeichnet in einem Thread vom 12. Februar 2022 eine Art Virologenstreit nach, wo – grob gesagt – auf der einen Seite eine Gruppe um Marc Lipstich von der Harvard School of Public Health und auf der anderen Seite die, die sich hinter Christian Drosten versammeln, gegenüberstünden.
Der 10-teilige Thread Manninos endet nach etlichen Verlinkungen mit Belegen über die Stationen der wissenschaftlichen Debatte in den zwei letzten Tweets mit folgenden Fragen bzw. Forderungen:
Die Medien sind leider kaum in der Lage, Drosten kritische Fragen zu stellen. Zwei Jahre hält die Pandemie an und wir haben keinen Diskurs über die Ursachen des Pandemierisikos – also darüber, wie wir verhindern, dass in den kommenden Dekaden hunderte Mio. Menschen dahingerafft 9/
werden und der Globus im Chaos versinkt. Wir diskutieren weder über Zoonosen (z. B.: Schließung von Wildtier- & Pelzmärkten/Tierzucht/Massentierhaltung im Rahmen internationaler Abkommen) noch über Laborunfälle & Bioterrorismus (z. B.: Stopp der GOF mit Pandemiepotenzial). 10/10
Adriano Mannino
Ob man das so pauschal schließen kann, sei dahingestellt. Aber – bei natürlich stets vorhandenen Möglichkeiten von Missbrauch im Sinne biologischer Kriegsführung (vgl. Seveso, Recherche von Ekkehard Sieker für den WDR) – man könnte hier vielleicht auf einem etwas bescheideneren Niveau ansetzen, um den relevanten Fragen nachzugehen.
Denn, auch wenn die Pandemiebekämpfung das Grundsätzliche verständlicherweise leicht aus dem Auge verlieren lässt, müssen wir feststellen, dass sowohl die mediale Debatte im Vergleich zur wissenschaftlichen auseinanderklafft, wie auch die politischen Entscheidungen sich nicht zwangsläufig am Wissenschaftsstand orientieren.
Letzteres hat der Journalist Andreas von Westphalen hier auf Telepolis bereits für die kuriosen Entscheidungen rund um den Genesenenstatus aufgeklärt.
Wir konzentrieren uns im Folgenden auf die Diskrepanz zwischen der Wissenschaftsdebatte rund um den Sars-CoV-2-Ursprung und der Medienleistung, hier exemplarisch – und vermutlich stellvertretend – am Beispiel einschlägiger Artikel des Leitmediums Der Spiegel. Konkret beschränken wir uns auf die Artikel von 2020 und 2021, die unter Beteiligung des China-Korrespondenten des Spiegel, Georg Fahrion, zu diesem Thema publiziert wurden.
Dabei möchten wir betonen, dass es uns nicht um die Person des Korrespondenten geht - also auf keinen Fall um die Personalisierung struktureller Probleme wie beispielsweise die Politiknähe der Hauptstadtreaktionen etc. -, aber, um die Fülle an Material einzugrenzen, das hier untersucht werden kann, dient er uns quasi als Auswahlkriterium; und möge uns das verzeihen.