Corona-Pandemie: Die Menschen wollen keine falsche Gewissheit
Skeptiker lassen sich leichter von der Übernahme von Vorsichtsmaßnahmen überzeugen, wenn Politiker und Wissenschaftler Ungewissheiten bei ihren Entscheidungen und Studien hervorheben
Politiker umgeben sich mit Wissenschaftlern, um ihre Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu legitimieren - durch anscheinend objektive Zahlen. Für die Wissenschaft selbst ist neu, dass sie direkt und praktisch in Echtzeit Regierungspolitik nicht nur beraten, sondern auch mit der Hilfe von wissenschaftlich begründeten Prognosen bestimmt, auch wenn sie selbst keineswegs mit empirisch gesichertem Wissen operieren kann, sondern mit punktuellen Studien und vielen Vermutungen, die durch die Beobachtung des Infektionsgeschehens mehr oder weniger in Echtzeit einer dauernden Revision unterliegen.
Was weder von den Regierenden noch von den Wissenschaftlern, die von den Regierungen und staatstragenden Medien herbeigezogen werden, ausreichend vermittelt wird, ist die prinzipielle Ungewissheit der wissenschaftlichen Erkenntnisse über Entwicklungen von komplexen Systemen mit vielen interagierenden Variablen, wie dies bei einer Pandemie der Fall ist.
Politiker scheinen zu glauben, dass sie mit Autorität auftreten müssen, um die Menschen zu überzeugen, ein bestimmtes Verhalten zu übernehmen. Man spricht damit von oben herab zu den dummen Bürgern, denen man nicht mit Wahrscheinlichkeiten und Ungewissheiten kommen kann, sondern denen man zeigen muss, dass man weiß, wo es lang geht. Zweifel oder Skepsis darf es nicht geben, auch wenn sie eigentlich für Wissenschaft maßgeblich sind, die nicht Wahrheiten verkündet, sondern Erkenntnisse auf der falliblen Basis von verfügbaren Daten und Versuchsanordnungen.
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Charité haben eine Umfrage in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wie die Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse bei den Menschen ankommt. Dabei stellte sich heraus, dass die Menschen eher überzeugend finden, wenn nicht eine falsche Gewissheit behauptet wird, sondern Handeln aufgrund von Erkenntnissen mit eingeräumten Ungewissheiten geschieht.
Den Teilnehmenden wurden vier verschiedene Versionen des künftigen Verlaufs der Pandemie präsentiert. Dabei wurde bei den Versionen unterschiedlich stark auf die Unsicherheiten der Vorhersage hingewiesen. Bei der Version, die am stärksten die Unsicherheit der wissenschaftlichen Prognose betonte, beschränkte sich die Kommunikation auf die Angabe von Spannen (von und bis-Werte) zu beispielsweise aktuell Infizierten, Todesfällen oder dem R-Wert und verzichtete auf die Angabe von festen Größen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass "nicht mit Sicherheit gesagt werden [kann], ob es sich bei den beobachteten Unterschieden um eine zufällige Fluktuation handelt, oder um erste Anzeichen einer zweite Corona-Infektionswelle.
Was die Umfrage herausbrachte, ist die Erkenntnis, dass die Menschen nicht als dumm behandelt werden wollen. Die meisten, wenn auch nicht die Mehrheit bevorzugte mit 32 Prozent die Version, die die Unsicherheiten am deutlichsten herausstellte. Die Mehrheit zog die Versionen vor, die Unsicherheiten thematisierten. Nur 21 Prozent überzeugte die Version, die wissenschaftliche Unsicherheit ausblendete. Und gerade diejenigen, die die einschränkenden Maßnahmen kritisch sehen, waren eher bereit, sie zu akzeptieren, wenn Unsicherheiten von Politikern und Wissenschaftlern "klar" benannt werden.
Die Studie macht vor allem deutlich, welches Verständnis viele Politiker und Wissenschaftler von der Bevölkerung haben, wenn sie meinen, sie müssten mit Autorität auftreten und Gewissheiten verkünden. Die Menschen ertragen Unsicherheit und Ungewissheit, weil sie unter diesen Bedingungen leben und sie diese deswegen als realistischer einschätzen.
Wer zweifelsfreien Gewissheiten verkündet, ist hingegen dumm und trifft daher auch auf Skepsis und verstärkt die Neigung zu Verschwörungstheorien. Schließlich ist es eine Art Verschwörung der Mächtigen und ihrer Ratgeber, wenn sie meinen, Gewissheiten verkünden zu müssen, um das Volk steuern zu können. Aber in einer Demokratie sind Regierungen keine autoritären Befehlshaber, sondern Vertreter des Volkes, die bestenfalls nach bestem Gewissen und Wissen entscheiden, während die Wissenschaftler selbst hervorheben sollten, mit welchen Ungewissheiten ihre Ergebnisse und Prognosen zustande kommen. Dass wissenschaftliche Überprüfungen von wissenschaftlichen Ergebnissen kaum einen Platz haben in wissenschaftlichen Veröffentlichungen, ist kein gutes Zeichen für den Zustand der Wissenschaften.
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