Corona: Politik verschärfte Fehlentwicklung der Konzertbranche
Seite 2: Abzocke beim Vorverkauf
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Wie funktioniert das eigentlich genau mit dem Vorverkauf (VVK)? "Früher" gab es sogenannte Vorverkaufsstellen, die Konzertkarten verkauften und dafür eine geringe Gebühr vereinnahmten, die sogenannte Vorverkaufsgebühr.
Die Kartenverkaufsstellen hatten Kosten für Miete, Ausstattung und Personal, später noch für Computer, und diese Kosten bestritten sie von den Vorverkaufsgebühren – das waren in den frühen 1980er Jahren etwas mehr als fünf Prozent (bei den Rolling Stones 1982 haben die Karten zum Beispiel 40 D-Mark gekostet, "38 DM zzgl. DM 2.- Vorverkaufsgebühr" stand auf den Tickets, also gerade einmal 5,26 Prozent für den VVK).
Später pendelte sich die VVK-Gebühr auf zehn Prozent des eigentlichen Ticketpreises ein. Tempi passati! Längst haben die Ticketanbieter mit allerlei Zusatzgebühren aus dem Ticketverkauf ein extrem profitables Geschäft gemacht, sei es die drastisch erhöhte VVK-Gebühr (mittlerweile gerne auch mal 15 oder sogar über 20 Prozent), sei es die sogenannte "Ticketgebühr", die "Zahlungsgebühr" oder die geradezu unverschämten Versand- oder "Print at home"-Gebühren – für den Versand in einem gewöhnlichen Brief, Porto 85 Cent, verlangt Eventim "Standard-Versandkosten" in Höhe von 5,90 Euro, während "Print at home"-Gebühren von Ticketdienstleistern dafür erhoben werden, dass die Kunden ihre Tickets am eigenen Computer kaufen und auf ihren Druckern mit dem von ihnen finanzierten Toner selbst ausdrucken – eine besonders dreiste Art und Weise, den Fans in die Tasche zu greifen.
So kann eine Konzertkarte mit einem Preis von 80 Euro am Ende auch mal bis zu 130 Euro kosten, wie im Fall der AC/DC-Tournee 2015 – ein Aufschlag von 62,71 Prozent zugunsten von CTS Eventim für das risiko- und weitgehend leistungsloses Provisionsgeschäft.
Und die Profite sind dank der Digitalisierung nochmal explodiert: Für im Internet verkaufte Konzertkarten fallen ja kaum mehr Kosten an, "die Wertschöpfung im Online-Ticketing ist pro Karte sechsmal höher als beim herkömmlichen Verkauf", erklärte der CTS Eventim-Vorstandsvorsitzende Klaus-Peter Schulenberg, der durchs Ticketing zum Milliardär geworden ist.
Das eigentliche Geld in der Konzertbranche wird heute mit dem Ticketing verdient. Man kann das an den veröffentlichten Kennzahlen in den Geschäftsberichten von CTS Eventim ablesen, das laut des soeben veröffentlichten "International Ticketing Report 2022" nach der vom deutschen Kartellamt trotz Bedenken angesichts "unfairen Wettbewerbs" und "Herstellung eines Monopols" vor einigen Jahren genehmigten Übernahme des größten Konkurrenten Ticket Online "rund 90 Prozent des gesamten Ticketmarkts" in Deutschland bestreitet (diese Zahl dürfte etwas zu hoch gegriffen sein):
Lag die Bruttomarge im Bereich "Live-Entertainment" bis zur Corona-Pandemie in der Regel bei um die 10 Prozent, häufig auch darunter (2018: 8,4 Prozent, 2019: 11,1 Prozent "aufgrund einer Vielzahl von margenstarken Veranstaltungen"), wuchs die Bruttomarge im Ticketing dagegen kontinuierlich auf über 60 Prozent (2018: 61,2 Prozent; 2019: 60,5 Prozent).
Besonders pikant: Im zweiten Corona-Jahr 2021, als die Clubs, Venues und unabhängigen Veranstalter übel gebeutelt wurden und um ihre Existenz kämpften und auch viele Musiker:innen und Crews kaum mehr Einnahmen verzeichnen konnten, stieg die "normalisierte Ebitda-Marge" (die der Konzern seit 2020 statt der "Bruttomarge" ausweist) bei CTS Eventim im Ticketing sogar auf sage und schreibe 79,0 Prozent! Der Anstieg "resultiert im Wesentlichen aus Erträgen für Corona-Wirtschaftshilfen im In- und Ausland in Höhe von TEUR 112.181", vermerkt der Konzern lapidar.
Gleichzeitig hat der CTS Eventim-Konzern den Fans, die in gutem Glauben Konzertkarten gekauft hatten für Konzerte, die dann abgesagt werden mussten, die Rückerstattung des Vorverkaufsgebühren-Anteils an den Tickets schlicht verweigert. Juristisch wohl korrekt – der Ticketingkonzern hatte ja seinen Vertrag erfüllt und seine Tickets an die Fans verkauft; dass die Konzerte letztlich nicht stattfanden und die Karten erstattet werden mussten, war das Pech der Fans und nicht das Problem von CTS Eventim.
Verbraucherschutz-Verbände haben gegen diese kundenfeindliche Praxis protestiert, aber "helfen" würden wohl nur Klagen, und ob die Aussicht auf Erfolg hätten, ist zumindest fraglich. Die Fans, die sich auf die Seriosität von Konzertveranstaltern und Tickethändlern verlassen hatten, wurden zum Ping-Pong-Ball zwischen den Parteien und gehen am Ende leer aus.
Wenn ein Konzert wegen Corona abgesagt werden muss, zahlen alle drauf: Die Konzert- und Tourveranstalter, die ihre Arbeit getan haben und nicht nur auf ihre Einkünfte verzichten müssen, sondern auch auf ihren bereits getätigten Kosten sitzen bleiben; die Musiker:innen, denn ohne Konzerte keine Gagen; all die Kulturarbeiter:innen und Crews, von Stagehands über Tontechniker:innen bis hin zum Securitypersonal: ohne Konzerte keine Honorare; die Fans, die nicht nur aufs Konzert, sondern auch noch auf mindestens 15 Prozent des Ticketpreises verzichten müssen. Es gibt nur einen, der immer profitiert, und das ist der Ticketing-Konzern.
Diese schlechten Erfahrungen mit den Tickethändlern dürften ein wesentlicher Grund sein, warum viele Fans keine Tickets mehr im Vorverkauf erwerben – wer ein- oder zweimal in die Falle der Tickethändler getappt ist, der verzichtet künftig auf den Vorverkauf, es sei denn für Konzerte, die ausverkauft sein werden und bei denen es keinen anderen Weg gibt, dabei zu sein.
Der Vorverkauf bringt ansonsten für die Fans ohnedies nur noch geringe Vorteile: Waren früher die Ticketpreise im VVK gegenüber der Abendkasse noch deutlich billiger, um einen Anreiz zu schaffen, dass Fans rechtzeitig Tickets kauften und die Veranstalter ihre Konzerte sicher kalkulieren konnten, so ist der VVK-Preis durch all die Aufschläge und Zusatzgebühren mittlerweile derart explodiert, dass er nicht selten sogar noch über dem Abendkassen-Preis liegt.
Kein Wunder also, dass viele Fans auf den Vorverkauf jedenfalls für all die kleineren und mittleren Konzerte verzichten, bei denen sie nicht erwarten, dass es an der Abendkasse keine Karten mehr geben wird.
Eigentlich könnte dieses gewandelte Kaufverhalten sogar ein Vorteil für die Veranstalter und für die Musiker:innen sein. Denn der Abendkassen-Preis kommt ja komplett den Veranstaltern zugute (und falls der Break-Even eines Konzertes übertroffen wird auch den Musiker:innen, die sich den etwaigen Gewinn ja mit den Veranstaltern teilen) – lediglich die Tickethändler, die ja sowieso nur "Mitesser" sind und letztlich jenseits der Organisation des Ticketverkaufs keinerlei Leistung erbringen, gehen bei an der Abendkasse erworbenen Karten leer aus. Eigentlich prima, oder?
Das Problem besteht nur darin, dass der Großteil der Konzertbewerbung heute an den Veröffentlichungstermin von Konzerten und Tourneen gekoppelt ist. In den ersten Tagen und Wochen der Bewerbung wird für die meisten Konzerte das Gros der Tickets verkauft.
Wenn aber die Fans vorab nur noch zögerlich Tickets kaufen, müsste man die Konzertpromotion in Zeiten verminderter Aufmerksamkeitsspannen komplett umstellen und in mindestens zwei, wenn nicht drei oder mehr große Wellen aufteilen – einmal wie bisher zu Beginn der Kampagne, zum anderen aber u.a. auch in den 10 bis 14 Tagen vor dem Konzert, um die Fans an das Konzert zu erinnern und Unentschlossene zum Konzertbesuch zu animieren, was gerade bei kleineren Konzerten zu erhöhten Kosten führen würde, die im Grunde nicht zu stemmen sind.
Berthold Seliger ist Publizist ("Das Geschäft mit der Musik", "Klassikkampf", "Vom Imperiengeschäft") und seit über 34 Jahren Konzertagent und Tourneeveranstalter. Er vertritt unter anderem Patti Smith, Tortoise, The Residents, Bonnie 'Prince' Billy und Rufus Wainwright.