Corona-Todesfälle: Die Mär von den zehn verlorenen Lebensjahren
Seite 3: Mögliche Erklärungen der fehlenden Übersterblichkeit
- Corona-Todesfälle: Die Mär von den zehn verlorenen Lebensjahren
- Das Gegenargument der fehlenden Übersterblichkeit
- Mögliche Erklärungen der fehlenden Übersterblichkeit
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Wie könnte man erklären, dass im Jahr 2020 trotz der relativ hohen Anzahl an laut Diagnose an Covid-19 verstorbenen Personen keine Übersterblichkeit zu beobachten ist? Eine erste Möglichkeit wäre, dass die Todesursache Covid-19 an die Stelle anderer Todesursachen getreten ist.
So weiß man aus früheren Studien, dass verschiedene Viren miteinander um den Wirt "Mensch" konkurrieren und die Infektion mit einem bestimmten Virus das Risiko der Infektion mit anderen Viren reduziert. In der Tat werden seit Beginn der Corona-Pandemie beispielsweise praktisch keine Grippeinfektionen mehr gemeldet.
Laut Berichten lag bis Februar diesen Jahres die Zahl der Grippeinfektionen in der gesamten Saison um den Faktor 100 niedriger, als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Sollte die Erklärung zutreffen, dass die Todesursache Covid-19 nur an die Stelle anderer Todesursachen getreten ist, hätte Covid-19 aber keine zusätzlichen Lebensjahre gekostet, da ohne Covid-19 die Personen ja stattdessen trotzdem an den anderen Todesursachen verstorben wären.
Es gibt eine einzige denkbare Möglichkeit, wie die Corona-Pandemie mit einem hohen zusätzlichen Verlust an Lebensjahren einhergegangen sein kann, ohne dass man diesen Effekt in der Übersterblichkeit sehen würde: Das neue Coronavirus könnte zwar in der Tat zu zahlreichen zusätzlichen Todesfällen geführt haben mit einem entsprechenden Verlust an Lebensjahren.
Dieser Effekt könnte aber dadurch ausgeglichen worden sein, dass die gegen das Coronavirus ergriffenen Maßnahmen zwar nicht die Todesursache Covid-19 in größerem Umfang reduziert haben, dafür aber andere Todesursachen, welche ähnlich viele Lebensjahre kosten.
Das ist allerdings sehr unwahrscheinlich. So gibt es Grund zur Annahme, dass in Bezug auf die häufigsten Todesursachen die ergriffenen Maßnahmen eher verstärkend wirkten, während der Anteil an Todesursachen, auf welche die Maßnahmen reduzierend gewirkt haben könnten, eher klein ist. Das kann anhand folgender Graphik zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland verdeutlicht werden (Quelle: Statista, Stand 2018):
Demnach gehen in etwa 70 Prozent der Todesfälle auf Herz-Kreislauferkrankungen, Krebserkrankungen, psychische Störungen und Krankheiten des Nervensystems zurück. In Bezug auf all diese Todesursachen gibt es empirische Hinweise, dass daran aufgrund der Nebenwirkungen der Pandemie und der Maßnahmen mehr Menschen verstorben sind als in den Vorjahren.
Der Grund ist zum einen, dass viele Menschen mit akuten Gesundheitsproblemen durch die angstschürende Berichterstattung in den Medien und die soziale Isolation im Rahmen von Lockdowns davon abgehalten wurden, ihr Zuhause zu verlassen und medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Eine Studie aus Großbritannien zeigt beispielsweise, dass dort die Anzahl der Todesfälle aufgrund von Herzkrankheiten zur Zeit des Lockdowns im Vergleich zu den Vorjahren um in etwa 50-70 Fälle pro Tag erhöht war, von denen viele zu Hause verstarben anstatt in einer Klinik. Zum anderen haben aufgrund der Belastungserfahrungen psychische Belastungen extrem zugenommen.
So erhöhte sich laut einer weiteren Studie aus Großbritannien während der Zeit des Lockdowns verglichen mit der Zeit vor dem Lockdown die Sterbewahrscheinlichkeit von Demenzpatienten um 53 Prozent und von Patienten mit schwereren psychischen Störungen um 123 Prozent.
In Bezug auf den größeren Teil der Todesursachen ist also eher davon auszugehen, dass die Maßnahmen diese nicht reduziert, sondern sogar verstärkt haben. Auch das manchmal gehörte Argument, dass sich aufgrund des Lockdowns die Todesursache des Versterbens durch Unfälle reduziert haben könnte, trifft vermutlich nicht zu.
Zwar hat sich nach ersten Auswertungen in der Tat die Anzahl der Verkehrstoten reduziert. Weitaus mehr Menschen versterben aber in Folge von Haushaltsunfällen (2019: Verkehrsunfälle 3.161 Todesfälle, Haushaltsunfälle 12.436 Todesfälle). Da aufgrund der Maßnahmen weitaus mehr Zeit zu Hause verbracht wurde, ist zu vermuten, dass sich die Anzahl der aufgrund von Unfällen verstorbenen Personen nicht reduziert oder sogar erhöht hat.
Die einzigen Todesursachen, welche durch die Maßnahmen abgeschwächt hätten werden können, scheinen Infektionskrankheiten zu sein. So wird beispielsweise oft behauptet, dass das oben erwähnte Verschwinden der Grippeinfektionen auf das Wirken der Maßnahmen zurückgehe.
Allerdings machen Infektionskrankheiten nur einen vergleichsweise kleinen Teil der Todesursachen aus, so dass an sich fraglich ist, ob hier ein möglicher positiver Effekt der Maßnahmen die negativen Effekte der Maßnahmen auf die weitaus häufigeren Todesursachen wettmachen kann. Weiterhin gibt es auch hier Grund zur Annahme, dass die Maßnahmen nicht wirklich eine Reduktion bewirkt haben.
So stellt sich in Bezug auf das Verschwinden der Grippeinfektionen die Frage, wie es sein kann, dass die Maßnahmen zwar nicht Coronavirus-Infektionen in größerem Umfang reduziert haben, dafür aber Grippeinfektionen praktisch vollständig eingedämmt haben sollen.
Corona- und Influenzaviren im Vergleich
Da die Größe und die Übertragungswege des Virus SARS-CoV-2 relativ ähnlich zu Influenzaviren sind, wären solche unterschiedlichen Wirkungen von Maßnahmen sehr überraschend. Hinzu kommt, dass in Bezug auf das Grippevirus zahlreiche randomisierte kontrollierte Studien zum Effekt von Maßnahmen existieren, welche keine größere Wirksamkeit nachweisen.
So heißt es in einer Überblicksstudie der Cochrane-Organisation vom November 2020 (Übersetzung durch den Autor):
Die zusammengefassten Ergebnisse randomisierter Studien zeigten keine deutliche Verringerung der Virusinfektion der Atemwege bei Verwendung medizinischer oder chirurgischer Masken während der saisonalen Influenza. Es gab keine klaren Unterschiede zwischen der Verwendung von medizinischen/chirurgischen Masken im Vergleich zu N95/FP2-Atemschutzmasken bei Mitarbeitern des Gesundheitswesens, wenn diese in der Routinebehandlung zur Verringerung der Virusinfektion der Atemwege eingesetzt wurden. Durch die Händehygiene wird die Belastung durch Atemwegserkrankungen wahrscheinlich geringfügig verringert.
Gegen die Annahme, dass das Verschwinden von Grippeinfektionen auf die Maßnahmen zurückgehen könnte, spricht weiterhin die Tatsache, dass auch in Ländern wie Schweden, wo insbesondere anfänglich weitaus weniger Maßnahmen ergriffen wurden (keine Maskenpflicht, Schulen, Restaurants und Geschäfte geöffnet, kein Lockdown) Grippeinfektionen mit Beginn der Corona-Pandemie verschwunden sind.
Zusammengenommen erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass die trotz der hohen Anzahl an mit der Diagnose Covid-19 verstorbenen Personen fehlende Übersterblichkeit im Jahr 2020 darauf zurückgeht, dass die gegen das Coronavirus ergriffenen Maßnahmen zwar nicht die Todesursache Covid-19 in größerem Umfang reduziert haben, dafür aber andere Todesursachen, welche ähnlich viele Lebensjahre kosten. Damit scheint als einzige Erklärungsmöglichkeit der fehlenden Übersterblichkeit die eingangs erwähnte Erklärung möglich zu sein:
Die Todesursache Covid-19 ist nur an die Stelle anderer Todesursachen getreten und hat damit keine zusätzlichen Lebensjahre gekostet, da ohne Covid-19 die Personen stattdessen an den Todesursachen verstorben wären, an deren Stelle die Todesursache Covid-19 getreten ist.
Eine Anmerkung ist hier wieder wichtig: Da bisher noch keine genaueren Daten zu den konkreten Todesursachen der im Jahr 2020 in Deutschland verstorbenen Personen vorliegen, sind die aufgeworfenen Fragen und angestellten Überlegungen noch nicht abschließend empirisch zu klären. Allerdings sprechen die bisher verfügbaren Daten und Studien sehr stark dafür, dass die vom RKI veröffentlichte Schätzung, dass jedes Covid-19-Todesopfer im Schnitt noch 9,6 Jahre zu leben gehabt hätte und demnach durch Covid-19-Todesfälle im Jahr 2020 in Deutschland 303.608 Lebensjahre verloren gegangen seien, eine deutliche Überschätzung darstellt. Vielmehr spricht vieles dafür, dass Covid-19 andere Todesursachen ersetzt und damit nur wenig Lebensjahre verloren gegangen sind.
Es ist wirklich überraschend, warum zum einen von einer Fachinstitution wie dem RKI solche potentiell irreführenden Zahlen überhaupt veröffentlicht werden und vom Deutschen Ärzteblatt ein solche inhaltlich fragwürdige Studie überhaupt veröffentlicht wird. Wie die eingangs erwähnten Medienberichte demonstrieren, werden solche irreführenden Zahlen von großen Medien wie der Süddeutschen Zeitung oder der Welt unkritisch übernommen, was die Bevölkerung in die Irre führt.
Eine abschließende Bemerkung
Mit diesem Artikel soll in keiner Weise das Leid von vom Coronavirus betroffenen Personen in Frage gestellt werden. Hinter jedem einzelnen Todesfall – ob an Covid-19 oder an anderen Todesursachen verstorben – stehen individuelle Schicksalsschläge und hier ist es wichtig, allen Trauernden ein aufrichtiges Beileid zu bekunden.
Das Ziel des Artikels besteht darin, die Todesursache Covid-19 vor dem Hintergrund anderer Todesursachen realistisch und statistisch solide zu bewerten und diesbezüglich auf mögliche irrtümliche Darstellungen und Analysen hinzuweisen.
Irreführende Darstellungen wie die fragwürdige Schätzung der Restlebenserwartung von mit der Diagnose Covid-19 Verstorbenen durch das RKI bergen die Gefahr in sich, dass einer bedenklichen Entwicklung in unserer Gesellschaft weiter Vorschub geleistet wird: Dass Situationen einseitig wahrgenommen und mit einem eingeschränkten Maßstab bewertet werden, nämlich nur noch aus der Perspektive der Bekämpfung einer einzelnen Krankheit.
Das ist wichtig, keine Frage. Aber gleichzeitig ist es genauso wichtig, auch andere Krankheiten und insbesondere auch – in Anlehnung an die eigentliche Definition von "Gesundheit" der WHO – das geistige und soziale Wohlbefinden der Menschen nicht aus den Augen zu verlieren.
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