Corona: WTO berät über Aussetzung von Patenten
Indien stellt mehr Impfstoff in Aussicht, wenn dem Antrag stattgegeben wird
Heute berät die Welthandelsorganisation WTO über eine zeitweise Aussetzung von Patenten wegen der Coronakrise. Den Antrag auf diese Aussetzung haben Indien und Südafrika gestellt. Er wird von Pakistan, Indonesien und einer Reihe weiterer asiatischer, lateinamerikanischer und afrikanischer Ländern unterstützt. Den Ausführungen des indischen Vertreters im TRIPS-Immaterialgüterrechtsrat der WTO zufolge könnte nach so einer Aufhebung mehr Impfstoff produziert werden. Dabei verweisen er und die NGO Ärzte ohne Grenzen unter anderem auf die Verbesserung bei der Versorgung mit HIV-Medikamenten, die Ausnahmen vom TRIPS-Abkommen seit 20 Jahren erlauben.
Patentexzesse
Damals wurde Produktion von HIV-Medikamenten von teilweise fragwürdigen Patenten behindert: Das von Glaxo-Welcome patentierte Anti-Aids-Medikament AZT wurde beispielsweise bereits 1964 von einem Forscher mit einem Stipendium der staatlichen National Institutes of Health synthetisiert. Eine Glaxo-Tochter kaufte ihm die Formel ab, um sie als Medikament für Katzen einzusetzen. 1984 wurde der HI-Virus in einem Labor der National Institutes of Health entdeckt. Das staatliche Labor startete einen Rundruf an alle Pharmafirmen, damit diese Proben ihrer Anti-Retrovirus-Medikamente abgeben sollten und investierte einige Millionen in Tests mit diesen Medikamenten. Nachdem erste Tests vielversprechende Ergebnisse mit AZT ergeben hatten, forderte das National Institute of Health Glaxo auf, das Medikament weiter zu testen - doch der Pharmakonzern weigerte sich.
Jetzt führte Hiroaki Mitsuyama am National Institute of Health mit einer Menge öffentlicher Gelder die Tests zuende. Als das National Institute of Health schließlich Glaxo die Wirksamkeit des Medikaments bei Aids mitteilte, reagierte der Konzern und meldete ein Patent auf das Medikament an - ohne die Arbeit der Regierungsstellen überhaupt nur zu erwähnen. Anfang des 21. Jahrhunderts verkaufte Glaxo das Medikament für das Zwölffache der Herstellungskosten. Nach öffentlichen Protesten ließ sich der Konzern dazu herab, das Medikament in Afrika "nur" für das dreifache der Herstellungskosten zu verkaufen - der gleiche Preis zu dem auch brasilianische Generika-Hersteller das Medikament anboten.
Genom nicht geschützt
Die Entwicklung von Sars-CoV-2-Impfstoffen wird allerdings in deutlich geringerem Ausmaß von Patenten behindert als die von Medikamenten oder gar von Software (vgl. Sind Patente ein Patentrezept?). Auf die Grundlage ihrer Entwicklung - das Genom des Virus - erhebt kein Unternehmen einen Monopolanspruch. Ein Immaterialgüterrechtsschutz gilt dort lediglich für Fertigungsverfahren und für die konkrete Gestaltung der Vakzine.
Deshalb konnte die indische Staatsführung auch ohne internationale Patentrechtslockerung die heimische Firma Bharat Biotech einen eigenen Sars-CoV-2-Impfstoff entwickeln lassen: BBV152. Obwohl zu ihm noch keine Daten zur Wirksamkeit vorliegen, will die indische Regierung damit nicht nur den 1,35-Milliarden-Einwohner-Riesen, sondern auch dessen Nachbarn versorgen. Damit die ihn auch sicher nehmen, hat sie ihn den Regierungen von Bangladesch, Birma, Sri Lanka, Nepal, Bhutan, Afghanistan, Mauritius der Malediven, und der Seychellen kostenlos angeboten (vgl. Corona: Auch China und Indien bieten Impfstoffe an).
Anreiz zur Geheimhaltung würde zu- und Anreiz zur Kooperation abnehmen
BBV152 ist ein Vektorvirenimpstoff. So wie der von AstraZeneca, der ebenfalls teils in Indien produziert wird. Er könnte gegen Mutationen weniger gut wirken als die mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna. BNT162b2, das Serum von BioNTech, nutzt dem Firmengründer Uğur Şahin zufolge 1270 Aminosäuren und hat damit "so viele Andockstellen, dass [eine Mutation] schwer entkommen kann". Sollte das doch geschehen, kann man seinen Angaben nach den Impfstoff aufgrund seiner Konstruktionsweise schnell daran anpassen (vgl. BioNTech-Chef "zuversichtlich", dass sein Serum auch gegen britische Corona-Mutation hilft).
Würden Patente ausgesetzt, dann könnten indische Pharmahersteller theoretisch ohne Lizenzgebühren auf solche Entwicklungen zurückgreifen. Praktisch können sie das aber nur dann, wenn Firmen wie BioNTech ihr Know-How nicht als Geheimnis hüten. Dass sie das könnten, ist der Grund, warum es Patente gibt: Sie sollen Anreize dafür schaffen, dass Firmen ihre Erfindungen veröffentlichen, damit nach dem Ablauf der Schutzfrist die ganze Welt davon profitieren kann. Werden Patente ausgesetzt, sinkt potenziell der Anreiz, das zu tun - während der Anreiz, etwas geheim zu halten, steigt. Und mit ihm sinkt potenziell die Bereitschaft von Firmen wie BioNTech, bei der Produktion ihrer Impfstoffe mit anderen Firmen wie beispielsweise Sanofi zusammenzuarbeiten. Deshalb steht die WTO heute vor keiner ganz simplen Fragestellung.
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