Corona und Knastgeschichten

"Lebenslänglich": Titelbild der neuen Cartoon-Serie bei Telepolis. Gezeichnet von Arkás und übersetzt von Ingrid Behrmann.

Der Telepolis-Wochenrückblick mit Ausblick

Liebe Leserinnen und Leser,

zum vierten Mal wird der Deutsche Bundestag in dieser Woche über ein Gesetz zum Schutz der Bevölkerung debattieren. Vor der parlamentarischen Aussprache zum entsprechenden Regelwerk wird eine Frage lauter als bisher gestellt: Wer schützt die Bevölkerung vor dem Gesetzgeber? Dieses Thema hat uns bei Telepolis in der vergangenen Woche beschäftigt und wird auch in dieser Woche eine zentrale Rolle spielen.

Denn das "Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" ist erstmals bis weit ins bürgerliche Lager umstritten. Kritik kam vor allem aus den Ländern – von der FDP in Rheinland-Pfalz bis hin zu den Grünen in Sachsen –, weil die Bundesregierung Kompetenzen übernehmen und den Föderalismus aushebeln will. Nun kann man natürlich hinterfragen, ob die Länder es besser machen würden.

Dort aber dreht man die Argumentationslinie nicht ganz zu Unrecht um und verweist darauf, dass, wer Kompetenzen an sich ziehen will, Kompetenz bewiesen haben muss. Und, nun ja, das mag bei dem wieder eskalierenden Pandemiegeschehen, immer deutlicheren Kollateralschäden und einer Durchimpfung von zuletzt gerade einmal 6,5 Prozent der Bevölkerung infrage gestellt werden.

Das Scheitern in der Pandemie kann bei manch einem hierzulande das westliche Selbstbild ins Wanken bringen. Denn im Ursprungsland des trump‘schen "China-Virus" hat man die Seuchenbekämpfung offenbar hervorragend gemeistert. Und während sich hierzulande die Pleitewelle im Mittelstand in leeren Schaufenstern geräumter Ladengeschäfte zeigt, rechnet das Reich der Mitte mit einem Wirtschaftswachstum von gut 18 Prozent.

Ohnehin, so schrieb unser Autor Uwe Kerkow, sind die Zeiten vorbei, in denen man die chinesischen Fortschritte mehr oder weniger als eigenen Erfolg vereinnahmen konnte: "Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Die aktuelle Zunahme der Armut und alle Konsequenzen daraus sind ab sofort einzig und allein uns und unserer eigenen, angeblich so effizienten Wirtschaftsweise zur Last zu legen."

Der Aufstieg Chinas ist zugleich eine der Triebkräfte neuer geopolitischer Konflikte ebenso wie der Disput zwischen der Nato und Russland. Davon wird wieder einmal Deutschland betroffen sein, wo die USA ihre Truppen um 500 Soldaten aufstocken. Das kündigte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin nach einem Treffen mit seiner Amtskollegin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin an, schrieb Peter Nowak in Telepolis. Die Soldaten sollen im Raum Wiesbaden stationiert werden.

Wenn in die eine Region mehr Soldaten entsandt werden sollen, müssen andernorts Truppen reduziert werden. So sollen bis zum 20. Jahrestag von 9/11 alle US-Soldaten aus Afghanistan abgezogen werden, so Telepolis-Redakteur Thomas Pany. Ab Mai soll mit dem ordentlichen Abzug begonnen werden. Schon jetzt ist damit klar, dass ein weiterer Afghanistan-Krieg gescheitert ist.

Die globale Neuordnung der US-Truppen indes lässt ebenso wenig Gutes erahnen - ebenso wie auch die Aufrüstung der Bundeswehr mit waffenfähigen Drohnen.

Popcorn-Momente, Intensivpatienten und gezeichnete Philosophie

Erneut werden wir uns bei Telepolis in dieser Woche mit der Luca-App zur Kontaktnachverfolgung beschäftigen und die Frage diskutieren, wie seriös diese Anwendung ist. Die Luca-App stand, so schreibt unser Autor Markus Feilner, in den letzten Wochen stark in der Kritik, weil Tester wie der Chaos Computer Club zahlreiche weitere Lücken, Schwachstellen und Datenlecks fanden, viele davon technischer Natur, viele aber auch systemisch-organisatorische Fehler.

"Mehr und mehr Hoteliers, Gastronomen, Datenschützer und Behörden stiegen ein und kauften Jahreslizenzen. Doch viele, die zunächst ankündigten, die Luca-App zu verwenden, ruderten zurück und warten ab", so Feilner. Dennoch hätten die Betreiber bereits bis zu 25 Millionen Euro aus Steuergeldern eingenommen, ohne dass abschließende Tests von Datenschützern oder Ausschreibungen vorgenommen wurden und obwohl zahlreiche Alternativen auf dem Markt vorhanden waren. Auch das gehört zur Bilanz einer kopflos wirkenden Pandemie-Politik.

Nicht mehr kopflos wird die Union Ende dieser Woche sein. Dafür wird das Duell der Dickköpfe Markus Söder (CSU) und Armin Laschet (CDU) beendet sein. "Popcorn-Momente" habe es gegeben, als die beiden alten, weißen Männer zu Beginn der letzten parlamentarischen Sitzungswoche aufeinandertrafen, schrieb Telepolis-Redakteurin Claudia Wangerin.

Laschet habe sich offenbar durch die Arroganz des beliebteren bayerischen Amtskollegen provozieren lassen Söder ganz offen madig gemacht: "Söder gab sich dagegen gelassen und sprach hinterher über die Angelegenheit, als sei er gar nicht beteiligt, sondern ein erwachsener Dritter, der einem bockigen, frühvergreisten Kind schonend beibringen muss, dass ein anderes Kind einfach begabter, hübscher und klüger ist - und deshalb ganz sicher die Hauptrolle im Schultheaterstück bekommt."

Stellen Sie also schon einmal das Popcorn bereit für das Finale der Tragikomödie in dieser Woche. Bei Telepolis sitzen Sie mit in der ersten Reihe.

Wie in der vergangenen Wochenkolumne angekündigt, finden Sie in dieser Reihe ab heute zwei neue Elemente. Zum einen ist das eine Antwort auf eine im Leserforum aufgeworfene Frage. Heute geht es dabei um die Kriterien bei der Zählung von Corona-Patienten auf den Intensivstationen. Die entsprechenden Angaben wurden in der Debatte über einen Telepolis-Artikel zum Thema infrage gestellt. Wir haben daraufhin nachgehakt: Wie seriös ist die Angaben des Intensivregisters?

Eine besondere Freude ist dem Autor dieser Zeilen eine andere Premiere: Telepolis startet ab heute eine Serie des griechischen politischen Cartoonisten Arkás. Das Titelbild der Reihe O isobítis – auf Englisch The Lifer und bei uns Lebenslänglich – sehen Sie als Aufmacherbild dieser Kolumne.

Die Serie spielt auf engstem Raum, meist in der Zelle eines zu 622 Jahren verurteilten Mannes. Sein Schicksal und die oft geradezu philosophischen Gedanken werden uns von nun an in Übersetzung von Ingrid Behrmann wöchentlich begleiten.

Bis dahin, bleiben Sie uns gewogen, Ihr

Harald Neuber

Eine Antwort an das Forum: Corona-Patienten auf Intensivstationen

Das Thema

Telepolis hatte über die Lage auf Intensivstationen berichtet und die Zahl des Intensivregisters (Divi) zu Corona-Patienten wiedergegeben:

Dass die Entwicklung bei den Intensivbetten nicht gut aussieht, wird wohl keiner der politischen Verantwortlichen bestreiten. Der Trend ist eindeutig: "Die Zahl der Covid-19-Patienten in Deutschland, die intensivmedizinisch behandelt werden, steigt den 25. Tag in Folge – auf nun 4422. Der Zuwachs gegenüber der Vorwoche beträgt 20,8%."

Merkel für "kurzen, einheitlichen Lockdown", 07. April 2021, Thomas Pany

User "adiosamigos" zog diese Angaben daraufhin in mehreren Kommentaren in Zweifel, etwa hier und hier:

Hier wird absichtlich der Eindruck hinterlassen, das alle 4422 Patienten Corona-Patienten sind. Das ist falsch. Das einzige, was sie alle verbindet, ist der positive PCR-Test. Ein seriöser und guter Journalist würde hier anfangen Fragen zu stellen. Z.B. wieviele von den 4422 Patienten wegen Corona behandelt werden.

(...)

Das ist die Zahl der Patienten die intensiv behandelt werden mit positiven Corona-Test. Sie sagt gar nichts darüber aus, ob die Leute wegen Corona dort sind. Sie können auch einen Verkehrsunfall gehabt haben. Da wir nicht differenziert. (Schreibweise wie im Original.)

Der Kurzcheck:

Auf Telepolis-Nachfrage antwortet Nina Meckel, Sprecherin der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V., Divi:

Ja, wir zählen alle Patienten auf der ITS (Intensivstation) mit positivem PCR als Covid-Patient. Und die allermeisten kommen auch absolut und unwiderruflich, weil sie sehr schwer an Coviderkrankt sind.

Die Vorstellung „nur Verkehrsunfall mit positivem PCR“ ist aber absolut falsch: Wenn Sie dummerweise einen so schweren Verkehrsunfall im Zusammenhang mit einer gerade aufkommenden, noch nicht schwer verlaufenden Covid-Erkrankung haben, also „nur positiven PCR-Test“ haben, ja, leider wird dann der Körper höchstwahrscheinlich absolut überfordert sein und das Risiko am Verkehrsunfall mit Covid-19 oder eben deshalb wegen Covid-19 zu versterben, ist sehr hoch, es liegt etwa bei 80 Prozent!

Unsere Nachfrage, ob ein Unterschied zwischen Patienten mit einer tatsächlichen Covid-19-Erkrankung und einem einfachen positiven PCR-Test auf den neuartigen Corona-Virus gemacht wird, verneinte Meckel:

Wie in den FAQ dargestellt, bitten wir die Kliniken, die Covid-19-Fälle wie folgt zu melden:

"Aktuelle COVID-19-Fälle: Anzahl aller aktuell in intensivmedizinischer Behandlung (beatmet und nicht beatmet) befindlichen COVID-19-Patient*innen (in allen Intensivbereichen: Low-Care, High-Care, ECMO). Dabei nur nachgewiesene Infektionen mit SARS-CoV-2 und KEINE Verdachtsfälle."

Das bedeutet: Covid-19-Fälle werden im Intensivregister als solche gezählt, sobald ein positiver Test vorliegt, sofern die meldenden Ärzte das FAQ gelesen haben und tatsächlich so melden.

Aber wie gesagt, dass jemand "nur" einen schweren Unfall hatte und zufällig auch positiv ist und keinerlei Symptome zeigt, so haben mir alle Intensivmediziner ausnahmslos bestätigt, ist ihnen noch nicht untergekommen. Wenn der Körper mit Covid und einem anderen schweren Vorfall zu kämpfen hat, kommt meist schnell das Multiorganversagen.

Die Debatte war schon einmal aufgebrandet, nachdem die Wochenzeitung Die Zeit im Februar berichtet hatte, 20 bis 30 Prozent der Corona-Patienten auf Intensivstationen seien dort nicht wegen einer Covid-19-Erkrankung in Behandlung, sondern nur "zufällig positiv getestet" worden.

Gegenüber dem Portal In Franken hatte Meckel ausgeführt, ein positiver PCR-Test bedeute neben einem höheren Risiko für die Intensivpatienten zudem, dass sie mehr Platz benötigten. Denn Corona-Patienten müssen isoliert werden. "Das führt dazu, dass insgesamt weniger Betten verfügbar sind. Ehemalige Zweibettzimmer werden so teilweise zu Einzelzimmern. Die Folge: Die Zahl der betreibbaren Betten sinkt", hieß es in dem Bericht.

Arkás: Lebenslänglich (1)

Mit der heutigen Wochenkolumne präsentiert Telepolis in deutscher Übersetzung erstmals Comicstrips des gesellschaftskritischen Cartoonisten Arkás aus Griechenland. Gemeinsam mit seiner Übersetzerin Ingrid Behrmann haben wir uns für die Geschichten von O Isobítis entschieden, dem "Lebenslänglichen", der, wie wir zu Beginn erfahren, zu einer Gefängnisstrafe von 622 Jahren verurteilt worden ist und – wie sollte es anders sein? – mit seinem Schicksal hadert.

Mit den gezeichneten Kurzgeschichten über den namenlosen Häftling gelang Arkás nach 1989 endgültig der Durchbruch. Die Gesellschaftskritik traf in ihrer zeitlosen Hintergründigkeit einen Nerv.

Arkás, dessen bürgerlicher Name nicht bekannt ist, hat Anfang 1981 mit seiner Arbeit als Cartoonist begonnen. Der Humor seiner Comicstrips ist immer wieder von tiefgreifenden philosophischen Gedanken durchzogen. Der Mensch, seine Freiheit, das Verhältnis zur Religion, die Rolle der Kirche, die Demokratie – kein Thema ist Arkás zu komplex, um es nicht in kurzen Geschichten auf einer Seite, oft nur mit einer Figur im Monolog zu behandeln.

Arkás steht trotz seines sehr eigenen Zeichenstils in einer Tradition mit Größen des politischen Cartoons wie dem im vergangenen Jahr verstorbenen Argentiniers Joaquín Salvador Lavado Tejón alias Quino, der mit seinen Kurzgeschichten der kleinen Malfalda Generationen bewegte (und die Militärjunta in dem südamerikanischen Land erzürnte).

Erst vor wenigen Jahren war Arkás selbst zum Politikum geworden. Nach einem offenbar konzertierten Angriff von Sympathisanten der damaligen linksgerichteten Syriza-Regierung musste er vorübergehend seine Facebook-Seite offline nehmen. Stein des Anstoßes war eine zunächst harmlos erscheinende Karikatur: ein Nachrichtensprecher, der sagt: "Ich habe volles Vertrauen in die Regierung. Sie steht mit ihren Füßen fest in den Wolken."

Im damals (und heute) polarisierten Griechenland löste die Zeichnung eine Flut feindseliger Nachrichten aus. "Das wird auf Dich zurückfallen, Du wirst schon sehen", hieß es in einer der Zuschriften. Da half es zunächst auch wenig, dass sich die später abgewählte Syriza-Regierung von den Angriffen distanzierte.

Selbst angesichts dieses Skandals verweigerte sich der zurückgezogene Cartoonist Anfragen der Presse. Er sei "schmerzlich überrascht", eine so hitzige Reaktion provoziert zu haben, schrieb er lediglich. Schließlich habe er sich jahrelang ohne weitere Probleme sogar über die drei Säulen der konservativen Rechten lustig gemacht: Religion, Familie und Land.

Nun aber: O Isobítis, oder: Lebenslänglich:

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