Corona zündet Modernisierungslunte im Filmgeschäft
Universal hat mit der seuchenbegründeten Online-Veröffentlichung von Trolls World Tour zum Kinostart so viel Geld verdient, dass das Unternehmen plant, das auch nach der Wiedereröffnung von Kinos mit anderen Filmen so zu machen
Nachdem die amerikanischen Kinoeinnahmen im März wegen der Anti-Corona-Maßnahmen auf das Niveau der 1990er Jahren zurückgegangen waren, verkündete der Medienkonzern NBCUniversal eine "temporäre Anpassung der Verwertungskette". Zuerst betraf diese Anpassung die kurz davor in die Kinos gekommenen Universal-Filme Emma, The Hunt und The Invisible Man. Diese aktuellen Werke konnten sich Nutzer nun für 19,99 Dollar über das Internet nach Hause holen (vgl. Coronavirus: Universal bietet aktuelle Kinofilme über VoD-Dienste an). Damit hat NBCUniversal bis jetzt 48 Millionen Dollar eingenommen.
Trolls World Tour, eine Fortsetzung des Kinderspektakels Trolls (ab 5,63 €), die ab dem 10. April ebenfalls als Stream angeboten wurde, unterschied sich von den drei obengenannten Filmen: Sie lief nicht schon im Kino, sondern startete gleichzeitig im Internet und in 21 amerikanischen Autokinos, die noch offen hatten (vgl. Stream statt Kino: "Trolls World Tour" mit "größtem Digital-Debüt aller Zeiten").
"Tragfähigkeit von Premium Video on Demand demonstriert"
Drei Wochen später steht fest, dass dieser Kinderfilm nicht nur Spitzenplätze bei den großen Streamingdiensten Amazon, iTunes und Google Play einnahm, sondern NBCUniversal mit 76 Millionen US-Dollar auch mehr Einnahmen einbrachte als der erste Teil der Filmserie in fünf Monaten in amerikanischen Kinos. Von den 95 Millionen Dollar, die die Streamingdienste damit brutto einnahmen, kassierte das Studio nicht nur die Hälfte (wie bei von den Kinos), sondern 80 Prozent.
Dieses Ergebnis hat dem Universal-Chef Jeff Shell zufolge nicht nur die Erwartungen des Konzerns übertroffen, sondern auch "die Tragfähigkeit von Premium Video on Demand demonstriert". Er, so Shell zum Wall Street Journal, gehe deshalb davon aus, dass NBCUniversal auch nach der Wiedereröffnung der Kinos Filme "gleichzeitig auf beiden Wegen veröffentlichen" wird.
Vorsichtigere Vorstöße in diese Richtung hatte der Universal-Chef bereits vor der Coronakrise unternommen. Sie waren aber stets am Einspruch der Kinobetreiber gescheitert, die auf ein mindestens 75-tägiges alleiniges Erstverwertungsrecht bestanden hatten.
Dieses alleinige Erstverwertungsrecht fordert Adam Aron, der CEO des größten amerikanischen Kinokettenbesitzers AMC, auch für die Zeit nach der Coronakrise wieder ein. Er sagte der New York Times, Shells Ankündigung sei "inakzeptabel" - und alle Studios, die "den Status Quo ändern wollen" würden von AMC boykottiert. Das gelte nicht nur für die USA, sondern auch für Europa und den Nahen Osten.
Oscar-Nominierungen erstmals ohne Kinovorführung möglich
Bei Universal gab man sich auf diese Drohung hin "enttäuscht" und meinte, man werde mit den Kinoketten verhandeln, um "Filme gleichzeitig in Kinos und online zu zeigen, sobald dieser Ausspielweg sinnvoll ist". Das Unternehmen kann bei diesen Verhandlungen darauf zählen, dass es nicht das einzige große Studio ist, dass mehr auf die Online-Vermarktung von Filmen setzt (vgl. Konkurrenz für Netflix, Amazon und Disney: Warner kündigt Streamingdienst an und Streaming vs. Kinos: Erfolg von "Trolls World Tour" könnte Branche umkrempeln).
Auch die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die die Oscars verleiht, will zumindest im laufenden Jahr auf die Nominierbarkeitsvoraussetzung verzichten, dass ein Film mindestens eine Woche lang in einem Kino in Los Angeles gezeigt worden sein muss. Seit über einem Monat hat in der kalifornischen Metropole wegen der Coronaseuche nämlich kein einziges Kino mehr geöffnet. Welche Bedeutung Streaming für den Film hat, zeigte sich aber bereits bei der letzten Oscar-Runde, wo Netflix mit 24 Nominierungen erstmals präsenter war als die traditionsreicheren Studios (vgl. Streaming-Dienst: Netflix führt die Oscar-Nominierungen an).
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