Coronadebatte bei Attac: Der Spaltervirus
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Kontaktschuld im Kampf gegen rechts: Wie das globalisierungskritische Netzwerk Attac mit Positionen zur Coronakrise umgeht - und an sich selbst scheitert
Die Abgrenzung gegen rechts fällt ins Auge. Die Organisatorinnen der Hamburger Kundgebung "Wir wollen alle wieder tanzen gehen" haben es unten auf ihrem Online-Flyer vermerkt. "Mitglieder rechtsextremer Parteien und Organisationen sowie Menschen, die durch rechtsextremistische Äußerungen aufgefallen sind" würden von der Veranstaltung ausgeschlossen. "Wir sind bunt und nicht braun", heißt es dort.
Protestiert wurde demnach gegen 2-G-Ausgrenzung, Maßnahmen ohne Evidenz und für echte Verbesserungen in Pflegeberufen. Die Organisatorinnen arbeiten selbst im Krankenhaus. Sie sind nicht gegen Impfungen, aber gegen die Impfpflicht, steht auf ihrer Website. Die Kundgebung ist zwischen vielen Demonstrationen und Spaziergängen deutschlandweit eine vielleicht mittelgroße Veranstaltung.
Zum Politikum wird sie durch eine Stellungnahme von Attac Deutschland. Das globalisierungskritische Netzwerk grenzt sich ab. Von den eigenen Leuten. Eine der Rednerinnen ist Mitglied der AG Gesundheit der Hamburger Regionalgruppe von Attac. Sie sprach über das Leid, das Coronamaßnahmen verursacht hätten, über die Notwendigkeit der Aufarbeitung, gegen eine Impfpflicht und für eine Rekommunalisierung der Krankenhäuser.
Drei Tage später veröffentlicht Attac Deutschland eine Stellungnahme. Der Inhalt der Rede habe dabei keine Rolle gespielt, heißt es von Attac auf Nachfrage. Es gehe um die Teilnahme von Hamburger Attac-Mitgliedern an der Seite von Rechten.
Denn auf der Kundgebung seien Rechte gesichtet worden. Regionale AfD-Prominenz sei vor Ort gewesen. Gegenüber Telepolis konkretisiert Attac-Sprecherin Frauke Distelrath, dass unter anderem die AfD-Bezirksvorsitzende von Hamburg-Mitte die Veranstaltung teilweise auf Facebook übertragen habe und sie nennt weitere Namen.
"Die massive Präsenz und die hier beispielhaft erwähnten Aktivitäten stadtbekannter Rechter wurden während der gesamten Versammlung sowohl von der Anmelder:in als auch den Teilnehmer:innen unwidersprochen toleriert", heißt es in Distelraths Antwort auf Anfrage von Telepolis. Der Twitter-Kanal von Antira Info Hamburg hatte bereits am Tag der Kundgebung Namen genannt und später sowohl Attac Hamburg als auch die Gewerkschaftslinke auf die Seite von Querdenken gestellt.
Im Vorfeld der Kundgebung war Organisatorin Johanna Darmstadt ihr Videobeitrag für die Aktion "Dankeallesdichtmachen" vorgeworfen worden. Die Aktion habe auch AfD-Vertretern eine Bühne gegeben. Konkrete Inhalte spielten auch bei diesem Vorwurf keine Rolle. Das Problem heißt Kontaktschuld.
Attac Deutschland schreibt in der im Internet veröffentlichten Stellungnahme, wer mit Rechtsradikalen zusammenarbeitet, stelle sich außerhalb des Attac-Konsenses.
Mit Konsens bezeichnet Attac zwei Dinge. Zum einen das Konsensprinzip. Es ist in der Organisation konstitutiv, zu deren Mitgliedsorganisationen gehören wie die GEW, der Grünen Jugend oder verschiedenen Gruppen der Entwicklungszusammenarbeit. Entscheidungen werden möglichst im Konsens getroffen. Zum anderen bezeichnet "Konsens" die grundlegenden politischen Positionen des Netzwerks, insbesondere auch die Abgrenzung gegen Rechts.
"Die Stellungnahme von Attac hat mich ehrlich gesagt erschüttert", sagt Organisatorin Darmstadt gegenüber unserer Redaktion. "Unsere kleine Kundgebung mit 600 Teilnehmern wird von einer Organisation mit 29.000 Mitgliedern damit pauschal in die rechte Ecke gestellt."
Auf ihrer Website beschreibt sie gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen ihre Erfahrungen von der Kundgebung. Die Aussagen von Attac Deutschland könnten sich nur um ein Missverständnis handeln. Einige "Attacies", so die Selbstbezeichnung, springen den Organisatorinnen zur Seite. "Das widerspricht einem fairen Verfahren", heißt es auf der Website. Oder: "Ich distanziere mich von dem Shitstorm seitens Attac."
Politik der roten Linien
Dass Attac Deutschland sich gegen Attac-Aktivisten stellt, ist nichts Neues. Die Politik der roten Linien, wie es die Kritiker innerhalb der eigenen Organisation bezeichnen, hat vergangenes Jahr noch einmal Fahrt aufgenommen. Parallel zum Erneuerungsprozess, der "Globalisierungskritik fortschreiben und für Attac wirksam machen" will.
Die Organisation wolle sich unter Wahrung des Selbstverständnisses weiterentwickeln, heißt es in einem Entschluss des Herbstratschlags aus dem Oktober 2021. Heiß diskutiert wurde über Abgrenzungen. Am Ende stand eine Abstimmung mit Gegenstimmen.
Denn der Versuch einen Konsens zu finden scheiterte. Nun ist die Kontaktschuld de facto festgeschrieben: Der Erneuerungsprozess "erfordert eine klare Abgrenzung zu Gruppen wie 'Querdenken' oder der Partei 'Die Basis', denn sie sind wissenschaftsfeindlich, vertreten ein egoistisches Menschenbild und verbreiten antisemitische Verschwörungserzählungen. Sie arbeiten in Teilen direkt mit der Reichsbürgerbewegung und auch der extremen Rechten zusammen oder dulden diese in ihren Reihen."
Im gescheiterten Alternativvorschlag wurden keine Organisationen genannt, stattdessen sollte eine "Arbeitsgruppe zur emanzipativen Kritik an den Coronamaßnahmen und Restriktionen" gebildet werden. Eingebracht hat ihn die gleiche Aktivistin, die auch die Rede in Hamburg gehalten hat.
Nun richtet sich der Entschluss des Ratschlags gegen sie selbst und wird im Standpunkt von Attac Deutschland wörtlich zitiert. Genauso wie zuvor in einem Schreiben an den Verein Arbeiterfotografie, der bis zum 7. Februar 2022 zum Attac-Netzwerk gehört hat. Dem Verein wird vorgeworfen, maßgeblich am "Neuen Krefelder Appell" mitgewirkt und sich damit außerhalb des Attac-Konsenses gestellt zu haben.
Begründet wird dies unter anderem mit der vorgebrachten Kritik an den Lockdown-Folgen, an der weltweiten Impfkampagne und an einem "Great Reset" als,w ie es in dem Appell heißt, Plan eines gezielten Zusammenbruchs durch eine Elite. All dies kritisiert der Koordinierungskreis von Attac am Appell. Auch gilt wieder die Kontaktschuld. Denn auch prominente Vertreter von "Querdenken" und "Demokratischer Widerstand" seien unter den Unterzeichnern.
Die scharf formulierte Antwort des Vereins Arbeiterfotografie auf die Ausschlussdrohung verhallte ungehört:
Wollt Ihr wirklich die Kräfte, die sich gegen die Machenschaften des Großkapitals wenden, verunglimpfen? Wollt Ihr Euch wirklich einem breiten Protest in den Weg stellen und Euch damit zum Handlanger des Großkapitals machen? Das kann doch wohl nicht wahr sein!