Coronavirus: Nach der Notbremsung
Die Regierung muss die Maßnahmen bald nachjustieren, um auf dem Boden der Verfassung zu bleiben. Und als nächstes braucht man vor allem gute Daten
Auch unter Berücksichtigung des Meldeverzugs am Wochenende wächst die Zahl der Infizierten in Deutschland nicht mehr so schnell wie in der Zeit davor. Seit 21.3. stieg die Zahl der Infizierten im Mittel täglich um 13,5 Prozent (3. Wurzel aus 29056/19848=1,135). Weil es Berichte über fehlende Testkits gibt und möglicherweise weniger getestet wird, ist es zu früh für Entwarnung, jedoch gibt es Anzeichen dafür, dass die seit 12.3. ernstere Wahrnehmung der Bundesregierung und die folgenden Maßnahmen Wirkungen zeigen und ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems vermieden werden kann.
Alles dafür zu tun, war und ist weiterhin richtig. Sollte es gelingen, wird dies natürlich von jenen, die COVID-19 für völlig harmlos halten, als Beweis angeführt werden, dass alles eine Hysterie war. Man hat den Fallschirm gerade noch öffnen können (keineswegs zu früh), daher kann der freie Fall nicht so schlimm gewesen sein. Pensionierte Experten wir Dr. Wodarg oder Prof. Bhakdi, die zu YouTube-Stars wurden, ohne dass sie selbst YouTube anklicken (z.B. hier und hier), werden weiterhin ihr faktenresistentes Weltbild pflegen, damit muss man leben.
Unerträglich wäre dagegen gewesen, wenn der Staat durch Untätigkeit die höchsten Rechtsgüter des Grundgesetzes, Leben und Gesundheit, leichtfertig auf Spiel gesetzt hätte. Wer darauf pocht, die Toten müssten erst in der Statistik sichtbar werden, rechtfertigt tausendfache fahrlässige Tötung. Viele scheinen auch zu vergessen, dass ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems mit der Konsequenz, dass Ärzte eine Auswahl von Patienten treffen, die man sterben lassen muss, der Menschenwürde widerspricht.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Art. 1 GG
Zu Recht hat man solche Zustände mit Krieg verglichen, und es ist mir unverständlich, dass nicht wenige alternative Medien, die in den letzten Jahren wertvolle Aufklärungsarbeit gegen Krieg und Kriegshetze geleistet haben, nun protestieren, dass man einen ähnlichen Kollaps der Werte unserer Zivilisation verhindert. Dazu gibt es natürlich wie immer interessante Hintergründe, die ich ausdrücklich nicht als "Verschwörungstheorien" bezeichne (die manchmal wahr sind), es fehlt ihnen schlicht an Logik und Evidenz. Vielen Menschen entgleitet die Wahrnehmung der Realität, weil das, was jetzt erstmals passiert, nicht in ihr Erfahrungsschema passt.
Fehlanzeige bei "Cui bono?"
Welches gemeinsame Interesse soll denn China, die USA, Japan, Russland und alle westlichen Länder inklusive ihrer "deep states" und Geheimdienste verbinden, dass sie der Welt ein derartiges konzertiertes Corona-Schmierentheater vorspielen? Stürzt - eine bestimmt gewissenlose - Pharmalobby die Welt ins Chaos, um einen Impfstoff zu verkaufen, von dem unklar ist, wo, wie, wann und von wem er entwickelt wird, wenn überhaupt? Haben die Superreichen ein Interesse daran, den für sie einträglichen Status quo kollabieren zu lassen, der ihre Besitztümer in unvorhersehbarer Weise gefährdet? Wozu so eine Inszenierung in einer Welt, in der China seine Bürger schon bis zum Anschlag kontrolliert und der Rest von der NSA überwacht wird?
Nebenbei, ich habe an anderer Stelle über schleichende Zensur, Lückenpresse und einen sich verengenden Meinungskorridor geschrieben. Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit speziell durch "Corona", die heute größtenteils im digitalen Raum stattfindet, sehe ich bisher nicht. [update: Angeblich hat Innenstaatssekretär Markus Kerber derzeit nichts noch Dümmeres zu tun, als sich um "Infodemien" zu sorgen, s.a. China lockert Maßnahmen unten). Solche unsäglichen Versuche gibt es jedoch bei vielen Krisen der letzten Jahre.].
Viel zu tun bei der Abwägung von Grundrechten
Damit soll nicht gesagt sein, dass die zur Infektionseindämmung getroffenen Maßnahmen nicht eine heftige Grundrechtseinschränkung darstellen. Schon das Infektionsschutzgesetz ist dafür nur eine dünne Rechtsgrundlage, die angesichts der Neuartigkeit von COVID-19 wohl ein zeitnahes Update benötigt. Man muss aber kein Experte im Verfassungsrecht sein, um zu erkennen, dass alle Maßnahmen jedenfalls geeignet und verhältnismäßig sein müssen, den Schutz des Rechtsguts - hier Leben und Gesundheit - zu erwirken.
Die schnell erlassenen Verbote benötigen daher sicher eine Reihe von Ausnahmeregelungen und Anpassungen, am besten bevor sie von Gerichten gekippt werden. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit (das Forum ist sicher dabei behilflich) gibt es folgendes zu bedenken:
1. Die Abstandsregeln müssen nicht nur im Freien, sondern überall eingehalten werden, insbesondere am Arbeitsplatz und im öffentlichen Verkehr. Umgekehrt könnten bei einem zusätzlichen Schutz durch Masken diese Regeln gelockert werden. (Absurderweise scheint Deutschland ein Lieferangebot aus China ignoriert zu haben).
2. Es ist auch nicht einzusehen, dass Geschäfte dauerhaft schließen müssen, wenn sie durch Masken, Abstandsregeln, Frischluftzufuhr und Desinfektion eine Ansteckung praktisch ausschließen können. Zum Beispiel wird durch das Schließen von Baumärkten und oft wenig frequentiertem Fachhandel gerade der Wirtschaftszweig Bau und Handwerk blockiert wird, der Arbeitsbedingungen ohne großes Ansteckungsrisiko hat.
3. Es ist - nur beispielsweise - einem jungen Paar, das sich sorgfältig vor Infektion schützt, nicht zuzumuten, auf gegenseitigen Kontakt zu verzichten.
Entscheidungsgrundlagen schaffen
Diese Liste lässt sich natürlich noch verlängern. Generell ist sogar eine allgemeine Mobilitätseinschränkung kaum verhältnismäßig, wenn keinerlei Ansteckungsgefahr durch Individualkontakt besteht. Abstand ist noch wichtiger, als zu Hause bleiben. Mobilität spielt zwar anfangs oft eine entscheidende Rolle (sehr schön veranschaulicht in einem Modell), die jedoch abnimmt, je gleichmäßiger die Infektionen verteilt sind. Allerdings gibt es im Moment noch sehr große Unterschiede (am Beispiel von Bayern).
Für das weitere Vorgehen wird vor allem eines benötigt: zuverlässige Daten. Hier nur ein Versuch, das Wichtigste zu erfassen:
- Inwieweit gibt die Anzahl der positiv Getesteten die Anzahl der Infizierten wieder, d.h. wie groß ist die Dunkelziffer? Dazu gibt es jetzt in Deutschland (endlich) Zahlen, Italien leider nur hier. Die lange Testdauer verzerrt aber das Ergebnis noch. Unabhängig von der medizinischen Indikation müssten hier Studien den Anteil der asymptomatisch Infizierten bestimmen.
- Wie hoch ist die Letalität? Bei der Diamond Princess ist sie mindestens 1,4% (bisher 10 von 712, kleine Gruppe), andere Studien berichten von über 5 Prozent in Wuhan (wo allerdings die Versorgung zusammenbrach). Die Todesfälle in Italien sind wohl überschätzt, weil es oft schwere Vorerkrankungen gab. Andererseits wird in Deutschland die Zahl wegen der oft unrichtigen Totenscheine unterschätzt. Ganz entscheidend für Abschätzungen ist die Dauer der Krankheit bis zum Tod.
- Eine relativ zuverlässige Größe zur Beurteilung der Gefährlichkeit ist die Anzahl der Intensivpatienten, z.B. Italien. Deutschland liefert hier offenbar nur unbrauchbare Daten.
Schließlich ist die klinische Erforschung noch im Gange, die Spätfolgen sind noch unbekannt. Alle diese Parameter müssen dringend besser bestimmt werden, um eine effiziente Strategie der Bekämpfung zu entwickeln.
Vertrauliche Informationen an den Autor unter coronavertraulich@protonmail.com. Meinungen sind im Forum besser aufgehoben.
Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch "Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur - Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten" erschien 2019 im Westend-Verlag.
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