Coronavirus lässt Sorgen um schwächelnde Wirtschaft explodieren

Bild: Jochen Zick / action press/CC0

Die Ausbreitung des Coronavirus sorgt weltweit für Abstürze an den Börsen, nach einem "Schwarzen Montag" gingen die Börsen auch am Dienstag weiter in die Knie

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Zunächst sah es nach dem weltweiten Absturz an den Börsen am Montag, der wie in der schweren Finanzkrise ab 2007 nun ebenfalls "Schwarzer Montag" genannt wird, am Dienstag nach einer Erholung an den Finanzmärkten aus. Doch bald drehten die Indizes allesamt im Tagesverlauf wieder deutlich ins Minus. Der Frankfurter Leitindex DAX ging erneut 1,9% in die Knie. Nach den erheblichen Verlusten am Montag wurde der tiefste Stand seit Oktober 2018 verzeichnet.

Die Angst vor einer weiteren Ausbreitung des Covid-19 und den wirtschaftlichen Folgen einer Coronavirus-Epidemie hatten am Montag sogar mit mehr als 4% für den größten Tagesverlust seit dem 24. Juni 2016 gesorgt. Das war der Tag, nachdem die Briten beim Referendum mehrheitlich für den Austritt aus der EU gestimmt hatten.

Damals waren dafür zuvor absurde Horror-Szenarien entwickelt worden, die allerdings keine reale Basis hatten. Mit ihnen sollte vor allem Einfluss auf die Abstimmung genommen und verhindert werden, dass es zu einer Mehrheit für einen Brexit kommt. Tatsächlich wurde das damals an den Börsen auch schnell wieder abgehakt, weil die Szenarien jeder realen Basis entbehrten. Und so kam es kürzlich nicht einmal zu größeren Kursverlusten, als der Brexit am 31. Januar real vollzogen wurde.

An einigen Börsenplätzen sah es am Montag und Dienstag sogar noch dramatischer als in Frankfurt aus. Die Mailänder Börse war, weil Italien in Europa nun von besonders vielen Coronavirus-Ansteckungen betroffen ist, am Montag sogar um 5,4% abgestürzt. Am Dienstag ging sie erneut um 1,4% Prozent in die Knie. In Italien werden nun schon 11 Todesfälle und hunderte Ansteckungen gemeldet. Dort wird längst auch schon zu drastischen Maßnahmen gegriffen. Zwar stürzte auch die Madrider Börse wie in Frankfurt am Montag etwa um 4% ab, doch nun gehört der Leitindex Ibex 35 zu den stärksten Verlierern, da er mit 2,4% am Dienstag stärker als zum Beispiel Frankfurt oder Mailand nachgegeben hat. Das hat sicher auch damit zu tun, dass zwei neue Ansteckungen in Teneriffa und Barcelona registriert wurden, die direkt mit der Ausbreitung in Italien zusammenhängen.

Der spanische Staat ist auch schon direkt von ökonomischen Auswirkungen des Coronavirus betroffen, dessen Tourismusindustrie bei einer Ausbreitung schwer in Mitleidenschaft gezogen würde, ähnlich wie das Dauerkrisenland Italien. Die große Messe für mobile Geräte in der katalanischen Metropole Barcelona ist jetzt doch abgesagt worden. Der Mobile World Congress (MWC) sollte eigentlich in dieser Woche stattfinden. Es handelt sich um die weltweit größte Ausstellung der Mobile-Branche und eigentlich waren tausende Aussteller und etwa 100.000 Besucher aus aller Welt erwartet worden.

Bricht die Weltwirtschaft ein?

Inzwischen geht auch der Internationale Währungsfonds (IWF) davon aus, dass die Weltwirtschaft im laufenden Jahr um bis zu 0,2 Prozentpunkte weniger wachsen dürfte. Das kann aber als zurückhaltende Schätzung bezeichnet werden, mit der der IWF anders als bei seinem Horror-Szenario zum Brexit keine Panik schüren, sondern sie möglichst kleinreden will. Trotz allem schrieb die IWF-Chefin Kristalina Georgieva in einem Blogbeitrag, dass der Coronavirus die "drängendste Unsicherheit" für die Weltwirtschaft sei.

Sie geht aber optimistisch zwar von einer deutlichen Wachstumsdelle in China im ersten Quartal aus, doch für das gesamte Jahr rechnet sie damit, dass es nur geringe Auswirkungen geben wird. Sie erwartet, dass "die chinesische Wirtschaft bald wieder in Schwung kommt". Doch auch sie schränkt ein, dass die Prognose davon abhängt, ob man die Ausbreitung des Covid-19 schnell eindämmen kann. Doch danach sieht es wahrlich derzeit nicht aus.

Jede Aussage über mögliche wirtschaftliche Auswirkungen hängen davon ab, ob man die Ausbreitung verhindern kann. Und derzeit sprich viel dafür, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Deshalb werden Experten nun zunehmend skeptisch. Neben der Lage in China hält Nathalie MacDermott, Expertin für Infektionskrankheiten am renommierten King's College in London, die Lage in Italien, Südkorea und dem Iran inzwischen für "sehr besorgniserregend". "Das Zeitfenster für die Eindämmung des Ausbruchs schließt sich nun sehr schnell", erklärt auch Devi Sridhar. Sie leitet die Forschungen an der Universität Edinburgh zur weltweiten öffentlichen Gesundheit. Für Dr. Bharat Pankhania von der Universität Exeter ist klar, dass nun "alle wichtigen Bestandteile für eine Pandemie" vorhanden sind. "Es ist besser, ehrlich zu sein und es zu sagen."

Anders als der Brexit hätte der Covid-19 real das Zeug, um mit einer Epidemie, die sich weltweit ausbreitet, die Weltwirtschaft wieder einmal durcheinander zu wirbeln. So spricht ohnehin auch die IWF-Chefin nur von einer "zerbrechlichen Erholung", die "durch unvorhergesehene Ereignisse bedroht sein könnte". Sie benennt zudem auch die Gefahren der schwelenden Handelskriege und den Brexit als weitere Unsicherheitsfaktoren. Und auch Georgieva kommt nicht um eine Warnung herum. Demnach hätte auch ihrer Ansicht die Ausbreitung der Epidemie erhebliche Folgen für die Weltwirtschaft. Die globalen Auswirkungen würden durch deutliche Lieferkettenunterbrechungen und einen anhaltenden Vertrauensverlust der Investoren verstärkt, "insbesondere wenn sich die Epidemie über China hinaus ausbreitet". Das schrieb sie vergangene Woche zu einer Situation, die längst eingetreten ist.

Lieferkettenprobleme

Tatsächlich sind Lieferkettenprobleme allseits schon bekannt. Als wohl prominentestes Unternehmen musste Apple nun einräumen, dass es wegen der Probleme sein Umsatzziel nicht erreichen werde, das noch im Januar bestätigt worden war.

Auch an diesem Beispiel analysiert Daisuke Wakabayashi die globalen Auswirkungen in der New York Times. Er beschreibt, dass längst weltweit Fabriken ihre Produktion einstellen müssen, weil Komponenten nicht geliefert werden. Er verweist auf eine Prognose von Oxford Economics, wonach das weltweite Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr auf 2,3% sinken dürfte. Das wäre das schwächste Wachstum seit der globalen Finanzkrise ab 2008.

Oxford Economics rechnet sogar damit, dass die Weltwirtschaft im ersten Quartal 2020 schrumpfen wird, wenn es gelingen würde, die Ausbreitung der Epidemie auf China zu begrenzen. Auch hier zeigt sich die Parallele zur letzten Finanz- und Wirtschaftskrise, denn seither war eine schrumpfende Weltwirtschaft nicht mehr zu beobachten. Sollte sich das Virus zu einer weltweiten Pandemie ausweiten, so würde nach Prognose der Analysten die Euro-Zone in eine Rezession stürzen. Die ist ohnehin kaum noch zu vermeiden, nachdem das Wachstum im letzten Quartal bestenfalls knapp an einer Stagnation vorbeigeschrammt ist. Allerdings rechnet Oxford Economics auch damit, dass trotz des bisherigen robusten Wachstums (über massive Verschuldung erzeugt) auch die USA in eine Rezession abrutschen würden.

In Deutschland, das längst ohnehin eine Krise im Automobilbau durchlebt, das im vergangenen Jahr immer wieder auch offiziell nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt ist, geht der Deutschland-Chefvolkswirt der italienischen Großbank Unicredit von besonderen Risiken für die Autobranche aus. In einer globalisierten Wirtschaft sieht auch Andreas Rees in den Lieferketten die "Achillesferse". Er meint, dass niemand derzeit die Auswirkungen seriös beziffern kann, aber geht ebenso davon aus, dass die Risiken für stärkere Auswirkungen derzeit über die bisherigen eigenen Prognosen hinaus steigen dürften. Andere Beobachter sprechen zudem längst von einem "Schock" und der Tatsache, dass der Covid-19 zunehmend die "Weltwirtschaft infiziert".

Situation ist schlechter als vor der Finanzkrise

Ob es zu einem Lehman-Moment kommt, den Gabriel Felbermayr, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IFE), schon drohen sieht, ist derzeit noch nicht ausgemacht, allerdings könnte das Virus der Katalysator sein. Auszuschließen ist nicht, dass der Coronavirus und seine Ausbreitung ähnliche Schockwellen in die Weltwirtschaft senden könnte, wie der Zusammenbruch der US-Investmentbank zu Beginn der Finanzkrise.

Eines ist allerdings klar: Die Situation ist heute deutlich schlechter als damals, weil kaum Konsequenzen aus dem Desaster gezogen wurden. Obwohl uns immer wieder erklärt wurde, die Krise sei beendet, halten Bankenpleiten und Rettungen an. Zahlreiche Banken, die nun noch größer geworden sind, sind längst nur noch Zombie-Banken. Sie werden durch Notmaßnahmen künstlich am Leben gehalten und bergen ein gefährliches Potential. Und die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Krisenmodus nie verlassen und zuletzt, da die deutsche und die europäische Wirtschaft deutlich zu schwächeln begann, ihn sogar wieder verschärft.

So sollte auf den Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman gehört werden, der die Lage wieder einmal ziemlich treffend beschreibt: "Wir stehen heute schlechter da, um mit einer Krise umzugehen, als 2007." Er stellt gerade sein neues Buch "Arguing With Zombies" vor. Er hielt sich in den letzten Tagen in Spanien auf, wo er viele Interviews gab. Er sieht die Lage schlechter als damals, da wichtige Reformen im Finanzsystem bestenfalls zaghaft angegangen wurden, das weiterhin kaum reguliert ist. "Im Allgemeinen haben wir sehr wenig getan, um die Probleme zu lösen, die die Große Rezession verursacht haben", erklärt er. "Wir haben die Lektion nicht gelernt."

Er schätzt die Lage vor allem deshalb schlechter ein, da man nun schon "ohne Stoßdämpfer" unterwegs sei. So verweist auch er darauf, dass die Notenbanken 2007 Spielraum hatten und zum Beispiel die Leitzinsen senken konnten. In Europa befinden die sich aber weiter auf Null und sogar Negativzinsen wurden eingeführt und werden vermutlich bald deutlich ausgeweitet: "Wenn sich Morgen ein Kollaps ereignet, sind die Werkzeuge zur Reaktivierung der Wirtschaft viel schwächer."

Allerdings geht Krugman nicht davon aus, dass ein Faktor wie der Coronavirus der Auslöser der nächsten großen Krise sein wird, sondern es würden diverse Faktoren zusammenspielen. Er spricht dabei auch die steigende Verschuldung von Unternehmen und Verbrauchern, die Blasenbildungen und andere Faktoren an. "Sicher ist nur", meint der Wirtschaftsnobelpreisträger, "dass wir nun schlechter vorbereitet sind, um damit umzugehen."

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