Countdown für den Gottesstaat
Irans schwerste innen- und außenpolitische Krise
Nach den scheinbar erzielten Konzessionen seitens des Iran, die seit Anfang Oktober in mehreren Verhandlungen in Genf gemacht wurden, bahnte sich eine gewisse Entspannung im Nuklearstreit zwischen der Islamischen Republik Iran und der internationalen Gemeinschaft an (siehe Genfer Verhandlungen: nuklearer Rückzug? Lenkt der Iran ein?). Die iranische Delegation unter Führung von Chefunterhändler Saeed Dschalili stimmte nach Genfer und Wiener Verhandlungen dem Kompromissvorschlag des Generaldirektors der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohamed El-Baradei, zu. Doch kaum in Teheran zurück, kam das Unbehagen bei den iranischen Politikern hoch.
In Reaktion auf deutliche Kritik im Land und im Zeichen der innenpolitischen Krise fiel die offizielle Antwort aus Teheran so aus: Teheran stehe positiv zu dem Vorschlag, verlange aber einige „wichtige technische und wirtschaftliche Änderungen“, so Ali Asghar Soltanieh, Irans Vertreter bei der IAEA. Präsident Ahmadinedschad hob in der Stadt Meshah hervor, „Wir werden nicht zurückziehen, sind aber kooperationsbereit“. Der schwedische Außenminister Carl Bildt lehnte die iranische Antwort entschieden ab und nannte sie Verzögerungstaktik und weiteres Spiel auf Zeit. Es sei die altbekannte Scharlatanerie, die man vom Iran kenne, so Bildt.
Der Kompromissvorschlag El-Baradeis
El-Baradeis Vorschlag besteht darin, dass der Iran rund 1200 Kilogramm leicht angereichertes Uran (bis zu 3,5%) bis Ende diesen Jahres nach Russland liefern soll. Das wären ca. 75 Prozent seiner derzeitigen Vorräte, die nach weiterer Anreicherung auf mehr als 90 Prozent zum Bau von Atombomben benutzt werden kann. In Russland soll das Uran auf 20 Prozent angereichert werden. Anschließend soll es in Frankreich zu Brennstäben verarbeitet und an den Iran zurückgeliefert werden.
Dort wird es als nuklearer Brennstoff für den Betrieb eines kleinen Versuchsreaktors in Teheran benötigt, der Isotope für medizinische Zwecke, insbesondere für die Behandlungen von Krebserkrankungen, produziert. Der Teheraner Reaktor ist ein Relikt des Schah-Regimes, der von den USA gebaut wurde. Sein derzeitiger Brennstoff, den Iran Anfang der 90er Jahre aus Argentinien bezogen hatte, reicht nur noch für ein oder zwei Jahre. Mit dem Transfer von 1200 Kilogramm leicht angereichertem Uran würde der Iran zumindest für zwei Jahren keine Atombombe herstellen können.
Die Islamische Republik hatte einige Milliarden US-Dollar für die Produktion dieser Menge Uran (1500 Kilogramm) investiert. Dafür haben andere wichtige Sektoren (Gas und Öl) zurückstehen müssen. Der Teheraner Laborreaktor, gebaut 1968 von den USA, hat eigentlich seine Nutzungszeit überschritten. Diese beträgt im Allgemeinen 25 Jahre. Obgleich der Reaktor Ende der 80er bzw. Anfang 90er von Argentinien erneuert wurde, handelt es sich dabei um ein Auslaufmodell. Unter den ca. 20 Nuklearanlagen im Iran ist der Teheraner Forschungsreaktor eher unbedeutend.
Das Echo auf den Deal im Iran
Selbst Khatamis Reformregierung, die von den Hardlinern stets des faulen Kompromisses in Nuklearangelegenheiten bezichtigt wurde, hatte zu keinem Zeitpunkt derartige „Angebote“ erhalten. Lässt man den vermeintlich unnachgiebigen Nuklearkurs der Ahmadinedschad-Regierung der letzten vier Jahre Revue passieren, wird man sich bewusst, wie Ahmadinedschads Atompolitik dem Iran schadet. Während der vier Jahre der Ära Ahmadinedschad hat der UN-Sicherheitsrat insgesamt vier Resolutionen (Res. 1696/31.07.06; Res. 1737/23.12.06; Res. 1747/24.03.07; Res. 1803/03.03.08) gegen den Iran verhängt, die letzten drei mit Sanktionen.
Diese Resolutionen haben dem Iran Schaden in Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar zugefügt, von der internationalen Isolation infolge der martialischen und aggressiven Außenpolitik Ahmadinedschads ganz zu schweigen. Die Islamische Republik würde also mit Zitronen handeln, würde sie dem Plan von El-Baradei zustimmen. In Teheran ist Ahmadinedschad von seinen konservativen Getreuen mit Kritik bombardiert worden. Die Brüder Laridschanis (Sadeq und Ali), die der Justiz und dem Parlament vorstehen, sowie führende konservative Parlamentarier lehnen den Deal ab. Denn wozu hat man denn vier Jahre lang Widerstand geleistet, fragen sich die konservativen Kritiker.
Die Kritiker sehen zwei Möglichkeiten als würdig für die Beschaffung von Brennstoff für den Teheraner Reaktor: der Einkauf von Brennstoff von einem Drittland (die bisherige Praxis) oder die Anreicherung im Inland (Fortsetzung des bisherigen Kurses mit dem Ziel, Uran über 5% anzureichern). Ahmadinedschads Regierung wäre mit einem stufenweise Transfer des leicht angereicherten Uran (statt auf einmal zwei Dritteln des Vorrates) einverstanden, was die IAEA und die 5+1-Staaten (die 5 ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und Deutschland) jedoch abgelehnt haben.
Ebenso ist Kritik von den oppositionellen Reformern zu hören. Die Realisierung des Deals würde die harte Arbeit von tausenden Wissenschaftlern ruinieren, so Mirhossein Mousavi. Im Inland baut Ahmadinedschad, einem iranischen Journalisten zufolge, sein „Imperium der Lüge“ aus. Er bezeichnet den Westen als „Mücke“, die dem Iran nichts anhaben könne und das Land begegne dem Westen aus der Position der Stärke.
Vieles spricht dafür, dass der dramatische innenpolitische Druck, der dem Vorabend der Revolution vom Februar 1979 ähnelt, sowie die immens desolate wirtschaftliche Schieflage Ahmadinedschad zu einem voreiligen Kompromiss gedrängt haben. Das Regime kann schwerlich an zwei harten Fronten, nach außen und innen, kämpfen. Eine gewisse außenpolitische Entspannung würde den Machthabern in Teheran erlauben, weiterhin frei und brutal gegen die Oppostion zu agieren - man rechnet auf die stillschweigende Duldung des Westens. Indes bestehen höchste Zweifel, ob der Iran dem Plan El- Baradeis zustimmen würde. Auch der Religionsführer Ayatollah Seyed Ali Khamenei soll sich dagegen ausgesprochen haben. Man fürchtet im Übrigen, dass die Opposition die außenpolitische Schwäche nutzen würde.
Innenpolitische Krise schwächt Verhandlungsspielraum des Iran
Vor 31 Jahren, auf dem Höhepunkt der iranischen Revolution, setzte das Time-Magazin das Porträt des Schahs auf die Titelseite und kündigte den Countdown für den Sturz der Monarchie an. Es war fast in derselben Jahreszeit. Seit den höchst umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni (siehe Iran: Wie geht es weiter?) ist zweifellos ein Prozess im Iran im Gange, für den es nur zwei Alternativlösungen gibt. Entweder das Regime setzt weiterhin auf brutale Niederschlagung der Proteste oder es lenkt ein und ermöglicht Neuwahlen, das Mindeste, was vielleicht die deutliche Mehrheit der Iraner zufrieden stellen könnte.
Das Regime der Velayat-e Faqih (Herrschaft des Rechtsgelehrten) scheint jedoch mit aller Gewalt und aller ihm zur Verfügung stehenden Mitteln in derselben Konstellation an der Macht bleiben zu wollen. Es vergeht kein Tag, an dem die Teheraner Führung, allen voran Ayatollah Khameni, nicht mit dem Säbel gegen die Opposition und das eigene Volk rasselt. Die Opposition und das Volk nutzen jeden historischen und religiösen Gedenktag für Massendemonstrationen, eine Ironie der Geschichte, weil die Revolutionsführung dieselbe Strategie am Vorabend des Sieges der Revolution verwendete.
Am vergangenen Mittwoch, dem 4. November, jährte sich die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran zum 30. Mal. Ein Ereignis, das den Verlauf der Revolution, den Iran und die Region immens beeinflusste und als eines der wichtigsten Ereignisse der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die weltpolitische Geschichte einging. Regimekräfte (Spezialeinheiten, Bassidsch-Miliz und Revolutionswächter) gingen gegen Hunderttausende friedlicher Demonstranten vor. Oppositionsführer Mehdi Karubi wurde angegriffen, Mousavi ließ man nicht aus seinem Haus gehen. Trotz der vermeintlich 24 Millionen abgegebenen Stimmen für Ahmadinedschad hat das Regime große Mühe, genügend Gegendemonstranten zu mobilisieren. Auch die vermeintlichen 3 Millionen Bassidschi sind nicht annährend in dieser Stärke zu sehen.
Irans Revolutionsgeschichte ist ironisch. Die einstigen Studentenführer und heutigen Oppositionsführer, die die US-Botschaft in ihre Gewalt brachten und als große Helden gefeiert wurden, sitzen heute in den winzigen Einzelzellen des berüchtigten Teheraner Gefängnisses Evin, mit ihnen ebenfalls zahlreiche Journalisten und Intellektuelle. Denjenigen, die einst über die Mauer der US-Botschaft geklettert sind, wird nun die Verschwörung mit den USA gegen das Regime vorgeworfen.
Großayatollah Hossein Ali Montazeri, der größte kritische Geistliche und bis 1989 designierter Nachfolger Khomeinis, gab in einer Erklärung bekannt, dass die Botschaftsbesetzung, die von Ayatollah Khomeini und ihm selbst unterstützt wurde, ein fataler Fehler gewesen sei.
Die Besetzung der Botschaft eines Landes, mit dem wir uns nicht in einem offiziellen Krieg befanden, war eine Kriegserklärung gegen dieses Land.
Dem Iran stehen schwerste Zeiten bevor. Ayatollah Khamenei erklärt Obama den verbalen Krieg und der Oberbefehlshaber der Revolutionswächter, Generalmajor Mohammad Ali Dschafari, betont, dass die Aufrechterhaltung des Regimes der Velayat-e Faqih wichtiger sei als die Verrichtung des Gebets. Der General, der nicht die geringste theologische Qualifikation für solche „Fetwas“ (religiöse Gutachten) besitzt, hat offenbar die Tiefe der Krise verspürt. Sein Vorgänger, Generalmajor Rahim Safawi, heute höchster militärischer Berater Khameneis, äußerte sich ähnlich.
Der Valiy-e Faqih, Ayatollah Khamenei ist der Statthalter des Imam Mahdi. Damit ist nicht zu spaßen.
Es sieht so aus, als ob der konservative Klerus, Ahmadinedschads Umfeld und die Revolutionswächter mit geballter militärischer und ökonomischer Macht ihre weltfremde Weltanschauung dem Volk mit aller Gewalt oktroyieren will. Dies ist eine harte Nuss, die nicht so leicht zu knacken ist wie das Schah-Regime. Mit Mühe und unter Einsatz von Mitteln der Mobilmachung kann das Regime immer noch genug Gewalt bereites Potential auf die Straße bringen, welches Blutbäder unter dem Volk anrichten kann, bevor sie selber untergehen. Ein aktuelles Foto zeigt die Schar der Anhänger des Regimes, die in der Regel mit Omnibussen zu den Aktionen gebracht werden.
Die Opposition lässt sich jedoch nicht davon beeindrucken. Im Dezember stehen die wichtigen Gedenktage bevor, der „Studententag“ (7. Dezember) und die heiligen schiitischen Tage Tasua und Aschura im heiligen schiitischen Monat Moharam sowie auch im Februar kommenden Jahres der Jahrestag des Sieges der Revolution. Am Tasua und Aschura 1978 (10. und 11. Dezember) ereigneten sich die größten Demonstrationen der Geschichte gegen das Schah-Regime mit 3 bis 4 Millionen Demonstranten.
Das System der Velayat-e Faqih nebst Ahmadinedschad und Khamenei hat keine Zukunft mehr im Iran. Das steht fest. Der Zeitpunkt des Sieges der „grünen Welle“ ist jedoch schwer absehbar. Mehrere Faktoren könnten den Verlauf des Widerstandes beeinflussen. Eine Verhaftung oder gar Eliminierung der Oppositionsführung könnte ambivalente Auswirkungen haben. Die Parolen der Straße werden immer radikaler und insofern hat die Widerstandsbewegung ihre friedfertigen Köpfe Khatami, Mousavi und Karubi bitter nötig.
Westliche linke Gesinnungsethiker, die in ihrem Anti-Imperialismus und Anti-Amerikanismuseifer jegliche berechtigte radikale Kritik am Teheraner Regime als übertrieben und einseitig ablehnen, haben keinen blassen Schimmer davon, was sich im Iran abspielt und welch ungeheuere menschenverachtende Verbrechen das Regime bisher begangen hat (siehe Verbrechen im Namen Allahs). Neben Massenhinrichtungen und barbarischen Foltermethoden stand die Vergewaltigung von Frauen (zumeist politische Gefangene) auf der Tagesordnung des Regimes in den 80ern und 90ern. Das berichtet die Menschenrechtsaktivistin Shadi Sadr, die kurz nach den Präsidentschaftswahlen die Bekanntschaft mit dem Evin-Gefängnis machte.
Nach der islamisch-schiitischen Lehre kommen Frauen, die ihre Jungfraulichkeit noch nicht verloren haben, nach dem Tod ins Paradies. Um das zu verhindern, haben die Mullahs interne Fetwas (religiöse Gutachten) ausgestellt, wonach die Verhörer und Folterer die Frauen vor der Hinrichtung „legal“ vergewaltigen durften, indem die Frauen kurz vor ihrem Tod zwangsverheiratet wurden. Man klopfte dann an der Haustür der Angehörigen, gratulierte ihnen zur Heirat ihrer Töchter und übergab ihnen ein Koranexemplar und ein wenig Geld mit den Worten, „und das ist die Morgengabe.“ Das alles ist in den Memoiren des Großayatollahs auch online zu lesen, ebenfalls in den beiden Briefen, die er im März 1989 an Ayatollah Khomeini schickte, die zu seiner Absetzung führten. Zahlreiche betroffene Angehörige haben bisher als Zeugen ausgesagt. In der Ära Ahmadinedschad sind die innergesellschaftlichen Repressalien erdrückend geworden. Seit den Präsidentschaftswahlen werden ebenfalls verhaftete Männern vergewaltigt. Was sich heute in den Straßen Irans abspielt, ist auch eine Reaktion auf Leiden und Demütigungen, die sich dreißig Jahre lang aufgestaut haben.
Iran braucht den Westen
Je länger das Duo Khamenei und Ahmadinedschad an der Macht bleibt, desto größer wird die Gefahr eines verheerenden Krieges oder im besten Fall von desaströsen ökonomischen Sanktionen für den Iran. Der französische Außenminister Bernard Kouchner hat sich nach dem erneuten Eiertanz des Iran im Atomstreit zu Wort gemeldet. Alles deute auf ein Scheitern hin. Mit Blick auf Israel und dessen rechte Regierung beteuerte Koushner:
Die Lage ist eminent gefährlich, das auch in einem eminent gefährlichen Nahen Osten.
Der Westen kann dem Iran helfen, indem er Irans berechtigtes Verlangen und seine Suche nach Demokratie und Frieden unterstützt. Das kann der Opposition nicht mehr schaden. Denn das Regime hat die Trumpfkarte, mit der es westlichen Beistand für die Opposition als eine westliche Verschwörung mit Hilfe seiner Agenten im Iran brandmarkte, abgenutzt. Das glaubt niemand mehr. Das sind nicht Barack Obama und Gordon Brown, die in den Teheraner Straßen unterwegs sind, sondern ehemalige Staats- und Parlamentspräsidenten, Premiers und Minister, allesamt enge Vertraute des Gründers der Islamischen Republik Ayatollah Khomeini. Das iranische Volk braucht mehr denn je den Westen. Dies ist im Interesse der regionalen und globalen Sicherheit. Und es ist im Interesse des Westens. .