Crystal Meth: Deutsche Herzstiftung warnt vor Folgen des Amphetaminkonsums
Insbesondere 20- bis 25-Jährige von schwersten Nebenwirkungen betroffen
Das erstmals 1887 vom rumänischen Chemiker Lazăr Edeleanu in Berlin hergestellte Amphetamin kennt viele Leben: Bereits in den 1930ern und 1940ern verwendeten es sowohl Soldaten als auch Studenten, um Müdigkeit zu überwinden und wegen der euphorisierenden Wirkung. In den 1950ern und 1960ern war es in der Zivilgesellschaft beliebt, um abzunehmen oder als Fernfahrer beziehungsweise im Büro länger durchzuhalten (Buch-/Filmtipp: Hubert Selbys "Requiem for a Dream" - das Buch ist noch einmal viel heftiger als der Film). Sogar Regierungsbeamte bedienten sich der Droge, um mehr zu arbeiten.
Danach folgte die Dämonisierung, die neben psychedelischen Substanzen wie LSD auch Aufputschmittel wie Amphetamin (Szenename "Speed" oder "Pep") verbot. US-Präsident Richard Nixons "Krieg gegen die Drogen" begann und damit drakonische Strafen für den Drogenbesitz. Trotz des Verbots verschwanden die Substanzen aber nie ganz. In der aufkommenden Technoszene wurde Amphetamin und sein Abkömmling MDMA ("Ecstasy") zur populären Partydroge, mit der man tagelang durchfeiern und Euphorie erleben konnte oder sich auch verbundener mit den Mitmenschen fühlt.
Medizinischer Konsum
Nicht unwesentlich zur Verbreitung trugen aber seit den 1980ern Ärzte bei, denn Amphetamin oder das damit verwandte Methylphenidat ("Ritalin") wurde ein beliebtes Mittel zur Behandlung der sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS (30 Jahre Aufmerksamkeitsstörung ADHS). Diese Praxis betraf vor allem Kinder und Jugendliche. Seit einigen Jahren werden die Mittel aber auch zur Behandlung der lange umstrittenen Erwachsenen-ADHS verschrieben.
In den USA, wo man mehr Amphetamin und Methylphenidat konsumiert als im ganzen Rest der Welt zusammen, erreichte allein der medizinische(!) Verbrauch in unserer Dekade epidemische Ausmaße. Inzwischen werden dort jährlich mehr dieser Substanzen verschrieben als in den ganzen 1990ern zusammen. Dabei erreichte der Konsum 2014 seinen bisherigen Höhepunkt und ist seitdem wieder rückläufig - jedoch verglichen mit den 1990ern immer noch auf einem extremen Niveau.
Nebenbemerkung: Der starke Anstieg seit den 1990ern - schon damals warnte die WHO vor den Psychopharmaka für Kinder und Jugendliche - wurde damit erklärt, man könne ADHS nun besser diagnostizieren. Wenn nun der medizinische Konsum wieder zurückgeht, diagnostiziert man darum schlechter? Oder verbergen sich hinter der Praxis vielleicht doch soziale Ursachen? Diese Frage habe ich schon vorher diskutiert (Kapitalismus und psychische Gesundheit).
Erwähnenswert sind auch Länderunterschiede: In den USA umarmt man Psychopharmaka förmlich. In den Niederlanden verschrieb man aber 2011 erstmals mehr Aufputschmittel an Kinder und Jugendliche als dort. In Deutschland besann man sich in jener Zeit, Medikamente nicht als erste Lösung an Minderjährige zu verschreiben, sondern es erst mit Verhaltenstherapie zu probieren. In Dänemark war man ohnehin zurückhaltender und in Großbritannien hielt man noch nie viel von der Idee, die Mittel an Kinder und Jugendliche zu verschreiben.
Risiken von Lifestyle-Drogen
Die Deutsche Herzstiftung warnte nun in einer Pressemitteilung und in der neuen Ausgabe ihrer Zeitschrift "HERZ heute" vor bisher unbekannten Nebenwirkungen von Amphetamin in seinen unterschiedlichen Varianten, insbesondere Methamphetamin ("Chrystal Meth"). Der Kardiologieprofessor Heinrich Klues, Leiter der Klinik für Kardiologie am Helios-Klinikum Krefeld, fasst dafür neue Befunde aus dem klinischen Alltag und der Wissenschaft in seinem Artikel "Von der Technoparty auf die Intensivstation: Die gefährlichen Lifestyle-Drogen" zusammen.
Klues beschreibt, wie seit 2012 vermehrt junge Erwachsene mit starken Herzproblemen in den Kliniken auftauchten, nachdem sie ein ganzes Wochenende auf Drogen durchgefeiert hätten. Die Betroffenen stammten meist aus stabilen, sogenannten gutbürgerlichen Verhältnissen und wüssten nicht, welche Mittel sie konsumiert haben. Sie könnten lediglich berichten, dass sie Pillen zum Beispiel in Herz- oder Drachenform oder in verschiedenen Farben geschluckt hätten. Urintests hätten aber hohe Konzentrationen von Drogen auf Amphetaminbasis nachgewiesen.
Späte Erkennung
Die Patientinnen und Patienten kämen häufig mit starker Luftnot ins Krankenhaus. Medizinische Untersuchungen würden dann regelmäßig eine Schädigung des Herzmuskels ergeben, vor allem der linken Herzkammer. Herzgewebe sei vernarbt oder die Kammer so stark erweitert, dass sie kaum noch pumpen könne. Bei manchen der Betroffenen, deren Erwachsenenleben erst beginnt, sei das Herz bereits unwiederbringlich geschädigt, dessen Leistung lasse sich auch medikamentös nicht vollständig wiederherstellen.
Laut Klues würden Betroffene aus dieser Altersgruppe ohnehin eher selten zum Arzt gehen, verfügten sie noch über starke körperliche Reserven und würde man bei medizinischen Untersuchungen nicht routinemäßig an Drogenkonsum denken. Daher kämen viele erst im Endstadium einer Herzerkrankung in die Klinik. Dabei erwähnt der Kardiologe, dass die Substanzen nicht nur zum Feiern, sondern auch zum nächtelangen Lernen in der Ausbildung oder dem Studium verwendet würden. Ein Unrechtsbewusstsein bestehe bei den Konsumenten meist nicht. Mit Blick auf die USA schreibt er:
Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die Anzahl kardialer Erkrankungsfälle mit steigendem Konsum von Amphetaminen auch in bislang verschonten Staaten erheblich gestiegen ist: Inzwischen weist vieles darauf hin, dass der regelmäßige Gebrauch von Amphetaminen (vor allem von Methamphetamin) in den USA die häufigste Ursache für eine schwere Herzschwäche (Herzinsuffizienz) bei jungen Menschen im Alter unter 30 Jahren ist. Die in den USA erhobenen Zahlen aus dem Jahr 2015 zeigen: Über 890.000 Menschen konsumieren dort ab einem Alter von zwölf Jahren regelmäßig Amphetamine… Weltweit gibt es nach Berichten des 'United Nations Drug Report 2017' über 37 Millionen Abhängige, die regelmäßig Amphetamine, vor allem Methamphetamin, einnehmen. Angesichts dieser Zahlen ist es sehr wahrscheinlich, dass die Anzahl der Menschen, die aufgrund ihres Amphetaminkonsums eine schwere Herzschädigung erleiden, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa stark zunehmen wird.
Prof. Dr. Heinrich Klues, HERZ heute 4/2019, S. 16
Der Kardiologe ergänzt mit Blick auf früheres Kriegsgeschehen, dass plötzliche Todesfälle im Zusammenhang mit hohem Konsum von (Meth-)Amphetamin schon länger bekannt seien. Diese hätte man in der Vergangenheit aber meist als Kreislaufversagen wegen extremer Erschöpfung gedeutet, nicht als Folge von Herzerkrankungen.
Interessant ist auch der Hinweis, dass die Droge im Körper starken Stress auslöst. Dann darf man wohl im Umkehrschluss vermuten, dass auch dauerhaft erfahrender psychosozialer Stress negative Auswirkungen auf das Herz haben kann. Das sollte man mit Blick auf die 24/7-Gesellschaft bedenken, in der wir uns zunehmend befinden.
Kein Alarmismus
Aufgrund des Artikels mit der alarmierenden Überschrift "Von der Technoparty auf die Intensivstation: Die gefährlichen Lifestyle-Drogen" sollte man aber nicht gleich in Panik verfallen. So gab es laut Klues 2012 bundesweit 36 Patientinnen und Patienten, deren Herzerkrankungen höchstwahrscheinlich auf Amphetaminkonsum zurückzuführen seien. Das klingt im Vergleich zu den rund zehn Menschen, deren Leben in Deutschland tagtäglich aufgrund der Teilnahme am Straßenverkehr endet (in den USA sind es mehr als zehnmal so viel bei etwa vierfacher Bevölkerung), nicht unbedingt viel.
Der Bericht macht aber deutlich, dass das Leben auf der Überholspur, das manche mit Amphetamin oder ähnlichen Substanzen verfolgen (siehe dazu auch die Netflix-Dokumentation "Take Your Pills"), unerwartete Risiken mit sich bringt. Es sei im Zusammenhang mit der Gehirndoping-Diskussion daran erinnert, dass noch 2009 der britische Bioethiker John Harris meinte, weil die Mittel so häufig verschrieben würden - insbesondere an Kinder und Jugendliche -, müssten sie sicher sein.
Alter Trend in neuen Worten
Doch wenig später schon wurden auch für das mit Amphetamin verglichen schwächere Methylphenidat ("Ritalin") neue Warnhinweise verpflichtend. Ähnlich wie Harris setzten sich auch in Deutschland und anderen Ländern Ethiker, Rechtswissenschaftler und Pharmakologen für eine weitgehende Freigabe leistungssteigernder Substanzen ein. Der Konsum wurde als "Enhancement", also Selbstverbesserung gemäß unserem Zeitgeist, verklärt.
Zusammen mit dem Züricher Professor für Pharmakopsychologie Boris Quednow vertrete ich aber die These, dass hier mindestens seit den 1930ern nachweisbarer instrumenteller Drogenkonsum schlicht als ein neuer Trend umgedeutet wurde. So schaffte man es eben in die Medien und konnte zahlreiche Forschungsanträge für "Neuroethik", "Neurorecht" et cetera beantragen - und auch bewilligt bekommen.
Ethisch-soziale Fragen
Menschen haben schon immer verschiedenste Mittel ausprobiert, um bestimmte Ziele zu verfolgen. Die Warnung, die Professor Klues nun über Amphetamin ausspricht, sollte man zum Anlass nehmen, noch einmal über zwei Fragen zu reflektieren:
Erstens ist die Unterscheidung zwischen Genussmitteln, Medikamenten und Drogen in weiten Teilen willkürlich und eher gesellschaftspolitischer Natur. Dass viele es toll finden, wenn Kinder und Jugendliche vom Arzt "Speed" oder "Ritalin" bekommen, damit sie in der Schule besser aufpassen, es umgekehrt aber die Staatsanwaltschaft auf den Plan ruft (oder zumindest rufen muss, Stichwort Legalitätsprinzip), wenn junge Erwachsene dieselben Mittel zum Feiern verwenden, bezeugt eine gewisse Doppelmoral.
Zweitens bin ich der Meinung, dass eine informierte Entscheidung nach umfassender Aufklärung über Nutzen und Risiken ein besserer Weg ist als plumpe Verbote, die sich der Erfahrung nach ohnehin kaum durchsetzen lassen, viele Menschen in die Kriminalität rücken und wertvolle Ressourcen von Polizei und Justiz binden. Die wichtige ethische Frage unserer Zeit ist aber, inwiefern die Menschen die Ziele, die sie mit den Mitteln verfolgen, überhaupt noch selbst setzen können oder hier vielmehr ein großer Anpassungsdruck als Folge von Hyperglobalisierung und Hyperwettbewerb besteht (Eine Million dopt regelmäßig am Arbeitsplatz).
Zu beiden Punkten in Kürze mehr. Zur aktuellen Warnung der Deutschen Herz-Stiftung sei noch einmal hervorgehoben, dass Amphetamin und damit verwandte Substanzen nicht nur in der Drogenszene beliebt sind, sondern seit den 1990ern auch von Ärzten immer häufiger verschrieben werden. Somit ist das Problem, ähnlich wie die Opioid-Krise in den USA, zum Teil durch die Mediziner und Pharmakonzerne selbst verursacht.
Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.