CuidAR: Argentinien überwacht mit einer App
Natürlich nur wegen der Pandemie
Ende April stellte die argentinische Regierung ihre neue App vor: CuidAR, made in Argentina und Geheimwaffe im Kampf gegen Covid-19. Wer sich im öffentlichen Raum - auf der Straße oder im Bus - bewege, müsse sie auf sein Handy herunterladen. Dies sei, so Präsident Alberto Fernández, "obligatorisch". CuidAR steht für "cuidar", zu deutsch: sich sorgen um. Und AR eben für Argentinien.
Die App speichert die vom Handy-Eigentümer gemessene Körpertemperatur und macht ihn über GPS lokalisierbar, also ob er sich zu Hause (legal), auf dem Weg zum Arbeitsplatz (legal) oder bei seiner Geliebten (verboten, wegen Quarantäne) befindet. Die App ist im Einsatz, 1,5 Millionen Argentinier nutzen sie bereits, oft von ihrem Arbeitgeber dazu gezwungen.
"Deinen jeweiligen Aufenthaltsort zu kennen, erlaubt uns, unsere Statistiken zu verbessern, um die Pandemie zu kontrollieren", so stellt sich die App des Gesundheitsministeriums dem User vor. Mehrfach wurde sie verändert, unter anderem weil die Betreiber die Passwörter der Nutzer mit ihren eigenen Codes verbunden hatten. Und langsam wird Kritik laut. Fakt ist aber, dass seit 10 Tagen Polizisten kontrollieren, ob die Fußgänger die App auf ihrem Handy haben.
Auch wenn bisher erst insgesamt 319 Todesfälle mit Corona-Virus registriert wurden, verschlechtert sich die Situation in Argentinien zunehmend. Vor allem in den Armenvierteln sind die Hygiene- und Abstandsmaßnahmen praktisch nicht durchzuführen, und der Winter steht vor der Tür. Die vorläufigen Ergebnisse der punktuellen Erhebungen in einigen Slums sind besorgniserregend. So sind zum Beispiel von 80 Familien neun Personen getestet worden, von denen acht Covid-19-positiv waren, ohne größere Krankheitssymptome aufzuweisen. Diese Tendenz scheint sich fortzusetzen. Mit massiven Tests soll nächste Woche begonnen werden. Was an dieser Entwicklung die neue App ändern soll, ist unklar, denn die Bewohner haben gar keine Alternative; sie leben nicht freiwillig auf beengtem Raum und müssen, wenn sie nicht verhungern wollen, jeden Tag irgendwie an Geld kommen.
Die Regierung hält jedoch an ihrer App fest, will CuidAR mit den sozialen Medien abgleichen. Diese Auswertung ist ohnehin seit Anfang März Realität. So hatte sich etwa ein junger Mann aus dem Landesinneren auf Facebook beschwert, dass der Antrag seiner Familie auf finanzielle Unterstützung abgelehnt worden war und dass er nun an "Plünderung" denke, um nicht zu verhungern. Polizisten holten ihn ab, setzten ihn unter Druck und eröffneten ein Verfahren gegen ihn. Dem Präsidenten, erklärten sie ihm, "haben seine Worte gar nicht gefallen".
Noch ist unklar, ob die von CuidAR erhobenen Daten wirklich, wie die Regierung geplant hat, von Amazon gespeichert und verwaltet werden. Man habe bei dieser Entscheidung unter Zeitdruck gestanden, zitierte die Tagezeitung Clarín offizielle Kreise, jetzt werde diskutiert, ob dies eine staatliche Stelle tun solle.
Während Präsident Fernández am verpflichtenden Charakter von CuidAR festhält, rudert sein Kabinettschef Santiago Cafiero zurück. Die Installation und die Freigabe der Daten seien freiwillig, behauptete er, und die über GPS gesammelten Informationen sollen anonym, ausschließlich von den Gesundheitsbehörden ausgewertet werden, und auch nur dann, wenn die App gerade genutzt würde. Fakt ist aber, dass bei der Installation alle persönlichen Daten abgefragt werden und keine Option vorhanden ist, ob nur bei gerade genutzter App übermittelt wird.
Kritik wird von dem (rechten) Oppositionsbündnis Cambiemos laut, das eine unverhältnismäßige Überwachung und "soziale Kontrolle" befürchtet. Aber auf die Straße wird diese Kritik nicht getragen. Die NGOs "Access Now" und "Democracy Earth" haben sich zwar den Einwänden von Cambiemos angeschlossen, aber es handelt sich bei ihnen nicht um Basisbewegungen und ihre englische Namensgebung ist wohl nicht zufällig.
Bei der trotzkistischen Opposition läuft das Thema CuidAR unter "Ferner Liefen", sie hat andere Probleme angesichts des drohenden finanziellen Defaults und des Niedergangs der Volkswirtschaft aufgrund des Lockdowns. Und die einst starke Menschenrechtsbewegung der achtziger und neunziger Jahre wurde von den Kirchner-Regierungen gekapert und ihre Anhänger in den Staatsapparat integriert. Von ihr ist auf der Straße nichts zu sehen.
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