DIW-Studie: Einkommen und Bildung beeinflussen Lebenserwartung und Gesundheit
Geringverdiener sterben früher als Gutverdiener. Doch wie gerecht ist dann die Rentenberechnung, die eine durchschnittliche Lebenserwartung unterstellt?
Die Lebenserwartung steigt in Deutschland stetig an. Frauen werden heute im Durchschnitt 83,2 Jahre alt, Männer 78,3 Jahre. Das ist erfreulich, stellt die Sozialsysteme aber auch vor Herausforderungen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat sich damit die Lebenserwartung der Deutschen in den vergangenen 150 Jahren mehr als verdoppelt.
Wissenschaftliche Studien haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sich sozioökonomische Milieus hinsichtlich ihrer Lebenserwartung deutlich unterscheiden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat nun untersucht, welchen Einfluss Bildung, Erwerbseinkommen und Haushaltseinkommen auf die potenzielle Lebenserwartung haben. Die Wissenschaftler nutzten dazu Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP).
Frauen und Männer: Unterschiede in der Lebenserwartung
Die Analyse zeigt, dass das Fünftel der Frauen mit dem niedrigsten Haushaltseinkommen das Risiko, im Alter von 55 bis 76 Jahren zu sterben, bei rund neun Prozent liegt. Beim einkommensstärksten Fünftel sind es nur sieben Prozent.
Bei den Männern ist der Unterschied größer: Hier haben die untersten 20 Prozent ein Sterberisiko von rund 21 Prozent, während es bei den obersten 20 Prozent bei rund elf Prozent liegt.
Einkommen beeinflusst Lebenserwartung bei Männern stärker
Die Forscher weisen allerdings darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung bei Frauen nicht eindeutig ist. Denn sie unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit häufiger, um Kinder zu erziehen oder Angehörige zu pflegen. Aus den gleichen Gründen arbeiten sie im Durchschnitt auch weniger Stunden als Männer.
Insgesamt erzielen Frauen dadurch auch ein geringeres Einkommen. Leben sie in der Zeit, in der sie nicht oder weniger arbeiten können, in einer Partnerschaft, können sie in der Regel auf die Ressourcen des anderen zurückgreifen.
Bildung als Schlüsselfaktor für Lebenserwartung
Die Analyse zeigt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Bildung und Sterbewahrscheinlichkeit, sowohl für die Gesamtbevölkerung als auch getrennt für Männer und Frauen. Wer nur einen niedrigen Bildungsabschluss erreicht hat, stirbt mit einer Wahrscheinlichkeit von 14 Prozent im Alter zwischen 55 und 76 Jahren. Bei einem hohen Bildungsabschluss beträgt sie dagegen nur neun Prozent.
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Auch hier sterben Männer eher früher als Frauen. Allerdings trifft es Männer mit niedrigem Bildungsabschluss besonders hart. Die Forscher schreiben:
Die Sterbewahrscheinlichkeit ist bei Frauen für alle Bildungsgruppen geringer als bei Männern. Gleichzeitig ist der Zusammenhang zwischen Bildung bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen. Der Unterschied zwischen Männern mit niedriger und hoher Bildung beträgt etwa sieben Prozentpunkte. Bei Frauen liegt die Differenz bei etwa fünf Prozentpunkten und ist vor allem zwischen Frauen mit niedriger und mittlerer Bildung groß.
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
Gesundheit und Lebenserwartung: Zusammenhang mit Einkommen
Mit steigendem Haushaltseinkommen haben Frauen und Männer nicht nur eine höhere Lebenserwartung, sondern auch eine bessere psychische und physische Gesundheit, so die DIW-Studie. Das zeige sich in allen Einkommensgruppen.
"Es wird deutlich, dass das Einkommen nur eine Dimension von sozialer Ungleichheit erfasst", konstatieren die Studienautoren. "Weitere Ungleichheiten bestehen in der Lebenserwartung und der mentalen und physischen Gesundheit."
Die Gründe für den Zusammenhang zwischen Einkommen, Lebenserwartung und Gesundheit sind vielfältig: Gut verdienende Menschen arbeiten oft in weniger belastenden Berufen, können sich einen gesünderen Lebensstil leisten und haben aufgrund von Bildung und Finanzen einen besseren Zugang zu medizinischer Vorsorge und Behandlung.
Folgen für die Rente: Umverteilung nach oben
Die einkommensabhängige Lebenserwartung hat Folgen für die Gerechtigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dort gilt bislang das sogenannte Äquivalenzprinzip: Vereinfacht gesagt sollen die zu erwartenden Rentenleistungen in einem festen Verhältnis zu den eingezahlten Beiträgen stehen. Wer länger und mehr einzahlt, erhält auch eine höhere Rente.
Dabei wird implizit eine durchschnittliche Lebenserwartung unterstellt, die sich nicht nach Einkommen unterscheidet. Dem widerspricht die DIW-Studie. "Bei der Rente wird teilweise von unten nach oben umverteilt", sagt Johannes Geyer, Co-Autor der Studie. "Unsere Ergebnisse sprechen daher für eine Aufwertung von niedrigen Rentenansprüchen, wie das etwa bei der Grundrente passiert."
Die Wissenschaftler plädieren dafür, den Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung stärker in die Diskussion um Rentenreformen einzubeziehen. "Argumente gegen die Aufwertung geringer Rentenanwartschaften, um Altersarmut zu bekämpfen oder Lebensleistungen anzuerkennen, sind somit wenig überzeugend", so das Fazit der Studie.