DJ Krush: Perfektion aus Japan

Interview mit DJ Krush über sein neues Album "Kakusei"

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DJs sind elementare Bestandteile der elektronischer Musikszene. In Europa wäre es still um japanischen Drum'n'Base, gäbe es nicht DJ Krush, der sich mit seinen letzten beiden Veröffentlichungen "Meiso" und "MiLight" einen beachtlichen Ruf als perfektionistischer Soundbastler erarbeitet hat. Mit seiner neuen Veröffentlichung "Kakusei" ("Erwachen") kehrt er zur reinen Instrumentalplatte zurück, um seine Vision des universalen musikalischen Codes zu verwirklichen.

So sehr seine Stilrichtung zwischen Drum'n'Base, Trip Hop, Hip Hop und Ambient pendelt, so hoch ist der Wiedererkennungswert seiner Musik. Im kreativen Umgang mit Rekombination und Verfremdung der gesampelten Texturen lenkt er den Blick auf die Originalität, die letztendlich beim Musiker verbleibt und nicht zusammen mit der Klangerzeugung in die Hardware wandert, wie der konventionelle Musikbegriff es manchmal nahelegte.

Seine Klanggebilde erinnern an Mandelbrot'sche Mengen, deren Komplexität sich in den kleinsten Bausteinen verbirgt. Das Streben nach Perfektion ist für ihn verknüpft mit vordergründig musikalischem Minimalismus, dessen abstrakte Intentionen nicht nur gehört, sondern gedacht werden müssen.

Wenn Slavoj Zizek über Hip Hop sagt, "Das Subjekt wird auf einen glückseligen Idioten reduziert, der zu nichts anderem als bedeutungslosem Gebrabbel imstande ist," (Slavoj Zizek: Das Unbehagen im Subjekt. Passagen 1998), verkennt er die Dimension des Subliminalen in der Popkultur, deren von Adorno und Horkheimer (Max Horkheimer, Theodor Adorno: Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug. In: Dies.: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt am Main 1998) prognostizierte Produktionsmechanismen nicht mehr ausreichen, um den patchworkartigen und manipulativen Schaffensprozeß elektronischer Musik ausreichend zu erklären.

Nur die Generation von Musikern, die ohne Berührungsängste und kulturpessimistische Skepsis Hardware als Instrument akzeptiert, kann elektronischer Musik eine eigenständige, neue Dimension des musikalischen Spektrums zugestehen. Zu diesen Musikern gehört DJ Krush.

Nach der Veröffentlichung von "MyLight" hast du dir für dein nächstes Album ziemlich viel Zeit gelassen. Was hat sich für dich musikalisch in dieser Zeit geändert?

DJ Krush: Ich hatte beschlossen, nach "MiLight" ein Instrumentalalbum zu veröffentlichen. Ich denke, "MiLight" hat sowas wie die erste Stufe meiner musikalischen Entwicklung abgeschlossen, und ich wollte zurück zu den Basics. Ich wußte, daß ich mit einer Instrumentalplatte all meine verschiedenen Flavors umsetzten kann. Verglichen mit meinem zweiten Album, ebenfalls instrumental, habe ich "Kakusei" mit mehr Sorgfalt und Präzision bei jedem einzelnen Sound zusammengestellt. Das war wie durch ein Mikroskop zu schauen und jedes kleinste Teilchen genauestens zu plazieren.

Nach dem Hören von "Kakusei" hatte ich den Eindruck, daß Dein Sound ambient-mäßiger geworden ist, manchmal sehr sanft, aber daß du Samples und Scratches immer auf sehr subliminale Weise kombinierst. Würdest du dich als Perfektionisten bezeichnen?

DJ Krush: Als ich an dem Album arbeitete, hatte ich die Absicht, perfekte Tracks zu produzieren. Aber es ist nahezu unmöglich, ein perfektes Album zu machen, vor allem wenn viele Gastmusiker mit von der Partie sind. Obwohl ich in gewisser Weise ein Perfektionist bin, ist es mir bisher noch nicht gelungen, ein perfektes Ergebnis zu erreichen. Aber ich versuche, auch den klitzekleinsten Details Aufmerksamkeit zu widmen. Manchmal klingt das Ergebnis vielleicht wie ein sehr simpler Track, aber jeder einzelne Sound, den du hörst, zeichnet sich beim genauen Hinhören durch seine eigenen, komplexen Details aus.

Was bedeutet "Kakusei", der Titel deines Albums?

DJ Krush: "Kakusei" ist japanisch und bedeutet "Erwachen". Menschen machen keinen allzu ausgiebigen Gebrauch von ihrer rechten Gehirnhälfte, und ich wollte diese Gehirne zum Arbeiten bringen. Ich wollte ein Album machen, das die Leute mit ihrem Denken erfühlen, etwas, was man nicht mit den Ohren hört. Ehrlich gesagt wäre es mir egal, wenn dieses Album keinen Titel trüge.

Elektronische Musik, in Wien vor allem Drum'n'Base, ist in den letzten Jahren extrem beliebt geworden. Es scheint so etwas wie einen Wechsel im Verständnis oder in den Interpretationsmustern von Musik zu geben, der mit der zunehmenden Popularität elektronischer Musik Hand in Hand geht. Selbst HörerInnen, die vor einigen Jahren einem DJ niemals zugestanden hätten, ein "vollwertiger" Musiker zu sein, debattieren inzwischen über das Talent der Turntabelists. Wie siehst du diese Veränderungen?

DJ Krush: In der Vergangenheit gab man DJs, auch mir, zu verstehen, daß sie nichts weiter tun, als die Platten anderer Musiker zu spielen. Aber es gab immer schon Musiker, die DJs respektierten. In meiner Heimat habe ich mit einer jungen japanischen Band gearbeitet, deren Mitglieder mich als Musiker sahen, der Sounds kreiert, die mit einem konventionellen Instrument nicht erzeugt werden können, und nicht so sehr als DJ. Es gibt viele Bands, zu deren Besetzung ein DJ gehört. Wir selbst sehen keinen Graben zwischen uns und anderen Musikern. Aber es gibt immer noch diesen alten Typus von Musikern, die eine Linie ziehen und nie mit uns zusammenarbeiten würden. Aber das selbe könnte man auch von einigen jungen Hip Hoppern sagen.
Ich bemerke, daß viele der jüngeren DJs offener sind, wenn es darum geht, etwas Neues zu probieren. Es ist einen Versuch wert, und wenn dabei nichts herauskommt, dann war's das. Ein DJ kann sehr von seinen Erfahrungen in einer Band profitieren, weil viel mehr Interaktion zwischen den Mitgliedern und den Sounds passiert.
Man muß herausfinden, was man in dieser Umgebung tun kann. Wie gesagt, es gibt keine große Distanz zwischen DJs und Musikern heutzutage, und das Publikum gewöhnt sich daran, häufig solche Interaktionen zwischen den beiden zu sehen.

Public Enemy haben ihre neue Single ("Swindler's Lust") exklusiv im Internet veröffentlicht, immer mehr Musiker beginnen, in ihrer Arbeit das kreative Potential neuer Medien unter der Prämisse zu reflektieren, daß elektronische Medien als ein ganzes gesehen werden müssen und nicht in Musik / Texte / Bilder usw... aufgeteilt werden können. Wie denkst Du darüber und wie beeinflußt die "Hardware" deine Musik?

DJ Krush: Das trifft zu, zumidest in Europa und Amerika mehr als in Japan. Was Technologie angeht, kann ich als DJ nicht verneinen, daß ich auf sie angewiesen bin. Aber egal, wie fortgeschritten der Computer ist, oder wie elektronisch das Instrument auch sein mag, wenn es einem Musiker nicht gelingt, seine Farben, seine Atmosphäre und sich selbst in seine Musik einzubringen, ist ein Track nichts wert. Es geht um die Erkenntnis, daß in letzter Konsequenz ein Mensch die Instrumente kontrolliert. Das macht den ganzen Unterschied aus.

Ich sage nicht, daß die Hardware überhaupt keinen Einfluß auf meine Musik hat, denn dort wird der Klang letztlich erzeugt. Sie ist die zentrale Station. Welche Hardware man auswählt, hängt davon ab, wie sehr man den Sound mag, den sie produziert, wie komfortabel die Bedienung von der Hand geht, und wie sehr sie zu dem paßt, was man umsetzen will. Andere Hardware zu verwenden, würde vermutlich den Sound beeinflussen, aber ich glaube nicht, daß es viel Unterschied macht, was die Originalität oder das Spezielle der Musik betrifft. Der Sound beginnt mit dem, was man sampelt, und was man dann damit tut. Ich glaube, unabhängig davon, welche Hardware man benutzt, die Originalität oder die Charakteristik kommt dabei immer zum Vorschein. Ich meine, wenn's nicht so wäre, könnte man es nicht als "Originalität" bezeichnen, oder? Was für Hardware ich auch benutze, um meine Musik zu machen, jeder sollte erkennen, daß es Krush ist - aus der Stimmung und der Atmosphäre, die der Sound erzeugt.

Wie würdest du deinen Zugang zur Musik beschreiben? DJ Spooky meint, Musik sei Sprache und umgekehrt. Würdest du dich eher als Autor oder als Musiker bezeichnen?

DJ Krush: Ich mag diesen Spruch. Ich wollte dieses Spooky-Zitat eigentlich hier verwenden. Ich bin sicher, daß Musik Sprache ist, und Sprache Musik. Wenn ich Instrumentalmusik mache, habe ich das im Hinterkopf. Ich glaube, daß Musik eine universale Sprache ist, die jeder auf der Erde verstehen könnte, die jeden zum Tanzen, Entspannen etc. bringt. Wenn jemand auf der einen Seite des Globus einen traurigen Track kreiert, und ihn jemand von der anderen Hälfte hört, dann weiß er, das ist ein trauriger Track. Ich vertraue darauf. Wenn irgendwas die Menschen weltweit zusammenbringt, dann Musik. Ich glaube, ich selbst bin mehr Musiker als Autor. Ich habe verschiedene Bilder im Kopf, wenn ich Tracks produziere. Ich erschaffe Tracks, aber ich denke dabei nicht in Worten. Ich schaffe Sounds, die du fühlen kannst, und da gibt's so viel, was ich nicht in Worten ausdrücken oder erklären kann. Vielleicht bin ich darin einfach nicht gut. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich Musik mache.

Wie steht's mit der Elektronikszene in Japan?

DJ Krush: Inzwischen gibt es japanische Drum'n'Base Musiker. Bis vor kurzem wurde noch alles aus Europa oder aus den USA importiert. In Japan ist elektronische Musik noch immer nicht der große Hype. Aber junge Leute wachsen jetzt in einer technologisch fortgeschrittenen Zeit auf. Wenn diese Leute erwachsen sind und die nächste Generation kommt, könnte es große Veränderungen in der elektronischen Musikszene geben, das ganze hat in Japan gerade erst angefangen. Die Techniken der Musiker entwickeln sich weiter, aber die Instrumente können damit nicht Schritt halten.