Dämonisierung und Fakten
Das Buch "IBM und der Holocaust" leistet nicht, was es verspricht, zeigt aber, wie ein Unternehmen geschickt am Faschismus verdient hat
Woher hatten die Nazis die Namen? Woher kannten sie die Namen der sechs Millionen Juden, die sie ermordeten? Die Antwort des amerikanischen Journalisten Edwin Black verrät schon der Titel seiner Beweisführung: "IBM and the Holocaust". Von IBM also, genauer: von den Lochkarten-Lesemaschinen, die IBM Nazi-Deutschland unter dem Namen Hollerith-Maschinen verkaufte. Sie ermöglichten erst die präzise und schnelle Auswertung der Volkszählungen von 1933 und 1939 und der statistischen Daten besetzter Staaten, die Koordination der Blitzkriege an mehreren Fronten, die kalkulierte Vernichtung von Menschenleben.
Soweit Blacks These. Man stutzt allerdings schon zu Anfang des Buches, wenn Black als Frage formuliert behauptet, dass nie jemand die Frage so gestellt habe. Das stimmt nicht. Manche Wissenschaftler haben diese Frage sogar schon ähnlich beantwortet wie Black. Über die Bedeutung der Hollerith-Maschinen in Nazi-Deutschland haben schon David Martin Luschke oder Sybil Milton geschrieben. Über die NS-Volkszählungen und die dabei verwandte Technologie schrieben 1984 Götz Aly und Karl-Heinz Roth das Buch "Die restlose Erfassung. Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im Nationalsozialismus". Aber Blacks Schaumschlägerei kann man trotzdem durchgehen lassen, schließlich ist er tatsächlich der erste, der ein pointiertes, journalistisch geschriebenes und somit gut lesbares Buch über die Verwicklung des Weltkonzerns IBM in den Nationalsozialismus herausbringt.
Diese Stärken sind zugleich für die größte Schwäche des Werks verantwortlich. Black will nicht nur Fakten erzählen, er will auch durch eine Erzählung Fakten schaffen. Warum berichtet Black beispielsweise in epischer Breite, wie der IBM-Gründer Hermann Hollerith das Revier seines Katers Bismarck mit einem Elektrodraht schützte? Hollerith beobachtete den Zaun. Wenn eine Nachbarkatze daran auftauchte, versetzte er ihr einen Stromschlag. Black erzählt das natürlich, weil er zu Anfang seines Buches die Zäune des KZ Bergen Belsen beschrieb: das in Holleriths Geist und Erfindung angelegte Böse gewissermaßen. Das ist eine dumme, geschmacklose und gewiss nicht literarische Parallelisierung - der Holocaust ist nicht mit Katzen auf irgendwelchen amerikanischen Grundstücken am Beginn des 20. Jahrhunderts Jahrhunderts zu vergleichen.
Black versucht leider oft, solche Parallelen zu konstruieren. So erzählt er immer wieder vom Horst Wessel Lied, das auf Deutschlands Straßen gesungen wurde. Und er erzählt von den Liedern, welche die Angestellten des IBM-Konzerns singen, um einen Unternehmensgeist entstehen zu lassen. Der Unternehmensführer Thomas J. Watson wird von Black als Führer im Unternehmen gezeichnet. Einer mit gewiss merkwürdigen Sympathien. So ist in zahlreichen Reden und Briefen Watsons festgehalten, dass er Hitler und Moussolini als große Staatsmänner bewunderte und den Faschismus als eine mögliche Regierungsform - man müsse jedem Staat auf der Welt die für ihn richtige zugestehen - anerkannte.
An den Präsidenten der Reichsbank Hjalmar Schacht schrieb er 1937: "Die Welt muss dem deutschen Volk und seinen Zielen unter der Führung Adolf Hitlers wohlwollendes Verständnis entgegenbringen." Ein totalitärer Herrscher war Watson also, der selbst Kinder von drei Jahren zu Funktionären im IBM-Freizeitclub machte. "... die Gläubigen würden singen, laut singen zu ihren Führern - auf beiden Seiten des Atlantiks. Einige Uniformen waren braun, einige waren blau."
Dergleichen schreibt Black also. Immer wieder behauptet er, IBM sei für die Durchführung des Holocaust unentbehrlich gewesen. "Das NS-Regime wollte die Juden namentlich identifizieren, und IBM zeigte ihm, wie das ging. Züge mussten fahren, von Stadt zu Stadt und von einem Konzentrationslager zum anderen, und IBM regelte auch das. Letzten Endes bot IBM dem Dritten Reich, das bereit war, für geleistete Dienste zu zahlen, für alles eine Lösung und eine Lösung führte zur nächsten."
Allerdings blendet Black dabei völlig aus, dass Geräte zum Lesen von Lochkarten auch von andere Unternehmen als IBM für das Dritte Reich produziert wurden. Nur in einem zitierten Halbsatz fällt bei Black der Name Siemens. Vor allem aber vergisst Black, dass der Holocaust auch ohne Lochkarten geschehen wäre. "Die Nazis hätten das alles auch bloß mit Bleistift und Papier gemacht", hat der Holocaustforscher Raul Hilberg in dem Zusammenhang geschrieben. Black wiederspricht sich sogar an einer Stelle selbst, als er beschreibt, wie in Dachau der Massenmord nicht mehr in Statistiken und Quoten gefasst, sondern schlicht zelebriert wurde: Die Lochkartennummern mussten zum Teil von Toten an Lebende gegeben werden, weil nicht mehr genügend vorhanden waren.
Black belegt seine gefährlichen Behauptungen der Unabdingbarkeit von IBM für den Holocaust nirgends glaubhaft. Er konterkariert sogar seine Dämonisierung des totalen Unternehmens IBM, als er auf einmal erzählt, dass der Konzern den Alliierten Munition in großem Umfang lieferte und so in den Jahren nach 1942 seine Umsätze verdreifachte. Die Arbeit von IBM an den Dechiffriermaschinen der Alliierten erwähnt Black nicht. Thomas J. Watson, zuvor noch ein eine Art Nazi, der die höchste Auszeichnung des Dritten Reichs für einen Ausländer erhält, gibt diese im nächsten Moment auch schon unter Protest gegen die Bombardierung Paris an Hitler zurück, als seine Sympathien beginnen, das Geschäft zu bedrohen.
Eine Erklärung für das Verhalten von IBM liefert diese Dämonisierung nicht. Manchmal widerspricht Black seinen eigenen Schilderungen, und gerade da ist er näher an einer Analyse: "Watson war gewiss kein Faschist. Er war durch und durch Kapitalist." Was so platt auch nicht stimmt, aber eher zutrifft als die Vorstellung von einem kleinen, amerikanischen Führer.
Blacks Buch ist da am stärksten, wo er allein die Fakten erzählen lässt. Gerade das komplexe Geflecht der NS-Wirtschaft und die Rolle von IBM darin hat er recht tiefgehend recherchiert. Die präzise Schilderung dessen entschädigt alle vorhergehenden Plattheiten. Bis 1941 hielt IBM eine Mehrheit an seiner Tochter im Dritten Reich. Die von ausländischen Unternehmen im Reich erwirtschafteten Gewinne durfte zwar nur in einem geringen Maß ausgeführt werden, doch hier behalf sich IBM mit Tricks wie Lizenzzahlungen, die als Ausgaben, nicht als Gewinnabführung verbucht wurden. Oder man investierte einfach wie verlangt im Reich und kaufte Immobilien in Berlin.
1941 jedoch traten die USA in den Krieg ein und eine direkte Beteiligung eines amerikanischen Unternehmens in der NS-Wirtschaft wurde auf beiden Seiten des Atlantiks nicht gern gesehen. Die "Deutsche Hollerith Maschinen GmbH" wurde unter NS-Zwangsverwaltung gestellt. Und eben das war ganz in Watsons Sinn. Die Gewinne flossen fortan nämlich auf ein Treuhänderkonto. IBM konnte einfach nicht mehr wissen, womit diese erwirtschaftet worden waren. Vor 1941 mussten IBM-Mitarbeiter die Hollerith-Apparate noch kontrollieren. Auch jene, die in Konzentrationslagern standen. Nach 1941 konnte IBM jedoch die Hände in Unkenntnis waschen. Nach Kriegsende musste IBM nur noch beweisen, dass die "Deutsche Hollerith Maschinen GmbH" vor 1941 ein amerikanisches Unternehmen gewesen war, um Produktionsstätten und Gelder zurückzuerhalten, ohne mit unangenehmen Fragen belastet zu werden. So geschah es dann auch.
Allein diese Darstellung macht Blacks Studie lesenswert. Ihre Antwort auf die Frage, die sie eigentlich beantworten soll, kann man nicht so recht für voll nehmen. Die Nazis haben die Namen ihrer Opfer nicht allein durch IBM erfahren. Aber Black antwortet auf eine andere Frage, bei der noch Bedarf an wissenschaftlichen Arbeiten besteht: Wieviel Geld hat IBM am Dritten Reich, am Holocaust, am Zweiten Weltkrieg verdient - und warum hat nie jemand den Anspruch des Konzerns auf dieses Blutgeld bestritten? Eine Wertschätzung von Dehomag an, die das Unternehmen 1946 machte, führte an: Unternehmenswert: 56,6 Millionen Reichsmark, Jahresgewinn 7,5 Millionen Mark.
Siehe auch: Die Resozialisierung des Giganten: Der seltsame Imagewandel von IBM
Englisch Ausgabe:
Edwin Black: IBM and the Holocaust; The strategic alliance between Nazi Germany and America's most powerful corporation, Crown Publishers, New York 2001, 519 Seiten, etwa 44,33 Mark.
Deutsche Ausgabe:
Edwin Black: IBM und der Holocaust; Die Verstrickungen des Weltkonzerns in die Verbrechen der Nazis, Propyläen Verlag, Berlin 2001. 704 Seiten, 59,90 Mark.