Damals "uneingeschränkt von der Rechtmäßigkeit der Maßnahme überzeugt"

Die Staatsanwaltschaft Augsburg gibt die von ihr beschlagnahmten Gurlitt-Bilder frei

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Gestern teilte die Staatsanwaltschaft Augsburg der Öffentlichkeit mit, dass sie aufgrund "neuer Erkenntnisse" im Fall Gurlitt alle beschlagnahmten Gemälde des Kunstsammlers "freigeben" werde, ohne das Steuerermittlungsverfahren gegen den 81-Jährigen zu beenden. Nun muss sich Gurlitt eine sichere (und wahrscheinlich entsprechend teure) Lagerstätte für die Bilder suchen, die er vorher in seiner Wohnung lagern konnte, weil kaum jemand davon wusste.

Ein Vertrag den Gurlitt letzte Woche mit dem Bund und dem Freistaat Bayern schloss, regelt, dass ein Team aus Experten, von denen Gurlitt einen selbst bestimmen kann, binnen Jahresfrist klärt, welche der weit über tausend beschlagnahmten Kunstgegenstände zwischen 1933 und 1945 jüdischen oder anderweitig verfolgten Eigentümern zu einem Preis abgekauft wurden, der wegen dieser Verfolgung nicht nur aus heutiger, sondern auch aus damaliger Sicht zu niedrig war. Was dabei herauskommt, ist offen. Darauf, dass die Rekonstruktion der Geschichte der Bilder nicht einfach wird, weist der unlängst ausgebrochene Streit um das Matisse-Gemälde Sitzende Frau hin, für das bereits zwei Parteien Ansprüche angemeldet haben.

Gurlitts Anwalt Christoph Edel wies anlässlich des Vertragsschlusses darauf hin, dass sich sein Mandant "jenseits einer aus unserer Sicht eindeutigen rechtlichen Situation" zu dieser Prüfung bereit erklärt habe. Dass der Sammler grundsätzlich bereit ist, Ansprüche der Nachkommen von Verfolgten anzuerkennen, zeigte er 2012, als er nach der Versteigerung des Max-Beckmann-Gemäldes "Löwenbändiger" einen Vergleich schloss, obwohl er angesichts der eher mager mit Beweismaterial untermauerten Behauptungen des Anspruchstellers einen Prozess gewinnen hätte können.

Museen, die sich Hoffnungen machten, einige der in den 1930er Jahre abgestoßenen Werke zurückzubekommen, werden dagegen wohl mit ihrer Geschichte leben müssen. Eine Geschichte, in der (durchaus nicht verfolgte, sondern häufig sogar regimenahe) Direktoren und Kunstbürokraten froh waren, die als "entartet" geschmähten Gemälde und Skulpturen an Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand loszuwerden.

Die Prüfung der Gemälde hat rechtsstaatlich gesehen allerdings einen unangenehmen Beigeschmack, weil nicht klar ist, inwieweit sie durch die sehr wahrscheinlich unverhältnismäßige Beschlagnahme der Bilder zustande kam, die von der Justiz damit begründet wurde, dass man eine Sicherheit für eine eventuelle Steuerschuld brauche. Das ist offenbar auch der Staatsanwaltschaft Augsburg klar: Sie rechtfertigt ihr Verhalten in der gestrigen Pressemitteilung in auffälliger Weise mit der Behauptung, man sei "zum Zeitpunkt der Beschlagnahme der gesamten Sammlung […] uneingeschränkt von der Rechtmäßigkeit der Maßnahme überzeugt" gewesen.

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