"Dank sei Gott für den Tod der UN"
Richard Perle aus der konservativen Gruppe, die die gegenwärtige US-Politik prägt, freut sich unverhohlen über den angerichteten Scheiterhaufen und setzt ganz auf "Koalitionen der Willigen"
Der Irakkrieg, der Alleingang der USA, die Idee des Pax Americana, die militärische Aufrüstung und das Konzept von Präventivkriegen sind bekanntlich schon lange von konservativen Kreisen ausgearbeitet worden, die noch aus der Zeit von Reagan und Bush sen. stammen und mit Bush jun. offenbar den geeigneten Kandidaten gefunden haben, ihre Pläne sukzessive umsetzen (Irak-Krieg von langer Hand vorbereitet). Die Anschläge vom 11.9. haben die Umsetzung enorm begünstigt und fast jeden innenpolitischen Widerstand beseitigt. Gelungen ist auch, was Richard Perle, einflussreicher Berater des Pentagon und einer der Köpfe der konservativen Revolution, unverblümt sagt: "Dank sei Gott für den Tod der Vereinten Nationen."
Während hierzulande und in anderen europäischen Staaten die Anhänger einer unbedingten Treue zu den USA gerne als Mantra immer wieder beteuern, das Deutschland, Frankreich und Russland die UN geschwächt und eine friedliche Lösung im Irak verhindert hätten, liegt der Sachverhalt natürlich umgekehrt. Die US-Regierung hatte nie ein Interesse daran, eine einvernehmliche Lösung im Sicherheitsrat zu finden. Sie wollte die militärische Besetzung von Anfang an und hätte nur auf einen Krieg verzichtet, wenn das Hussein-Regime zuvor gestürzt oder ins Exil gegangen wäre. Die UN sollte den eigenen Plänen nur das Feigenblatt einer Rechtfertigung verleihen, schließlich hatte US-Präsident Bush von Anfang an klar gemacht, dass er auch ohne Billigung des Sicherheitsrats in den Krieg ziehen werde und dass die UN sich als Schwatzbude erweise, wenn sie nicht das macht, was die US-Regierung vorgibt.
Nun also haben die USA zusammen mit ihren wenigen Alliierten und manchen Vasallen, die mehr oder weniger freiwillig und realpolitisch sich hinter die Supermacht und ihrer überwältigenden wirtschaftlichen und militärischen Macht stellten, mit der sie alles platt walzen will, die UN umgangen. Sogar kleine Staaten im Sicherheitsrat wie Chile oder Mexiko, die viel zu verlieren haben, konnten von der US-Regierung nicht auf Reihe gebracht werden. Das ist eher ermutigend als ein Fiasko. Zunächst sieht es allerdings so aus, dass die USA machen können, was sie wollen, ohne auf die internationale Gemeinschaft oder internationales Recht zu achten - und dies auch entsprechend der Weltöffentlichkeit demonstriert wird. Mit dem Sonnenkönig Bush hat man (Rumsfeld, Cheney, Wolfowitz, Perle und Co.) so einen absoluten - vielleicht auch gut führbaren - Herrscher auf den Thron gesetzt, der angeblich mit der Macht der Geschichte oder gar Gottes im Rücken das Gesetz vertritt: "Le monde, c'est moi."
Richard Perle, Vorsitzender des Defense Policy Board, eifriger Verfechter von Krieg und amerikanischer Vorherrschaft, der mit der gegenwärtigen Politik auch eigene Geschäfte macht (Richard Perle und die Geschäfte), drückt immerhin in einem Artikel, der im Spectator erschienen ist und im Guardian noch einmal veröffentlicht wurde, unverhohlen und unmissverständlich seine Genugtuung aus, dass die UN endlich gescheitert sei:
"Saddam Husseins Schreckenherrschaft wird bald zu Ende sein. Er wird schnell verschwinden, aber nicht alleine: in einer abschließenden Ironie wird er die UN mit sich reißen. Gut, nicht die ganze UN. Der Teil der "guten Taten" wird überleben, die Bürokratien der wenig riskanten friedenserhaltenden Maßnahmen werden bleiben, die Schwatzbude am Hudson wird weiterhin schnattern. Was verschwinden wird, ist die Vorstellung von der UN als der Grundlage einer neuen Weltordnung. Wenn wir den Abfall durchstöbern, wird es zum besseren Verständnis wichtig sein, den intellektuellen Schiffbruch der liberalen Vortäuschung von Sicherheit durch internationales Recht, das von internationalen Institutionen verwaltet wird, im Kopf zu behalten."
Während die USA den Irak befreien, haben die UN und die Friedensdemonstranten ihre moralische Autorität (die nicht auf Macht beruht) nur durch die Forderung nach weiteren Inspektionen begründet. Die Befeiung aber ist für Perle ein "offensichtlich moralischer Fall". Die Verblendung bestehe bei vielen Kritikern darin, dass nur der Sicherheitsrat den Einsatz von Gewalt legitimieren könne, während "eine freiwillige Koalition liberaler Demokratien dafür nicht gut genug ist. Wenn irgendeine andere Institution oder Koalition als der UN-Sicherheitsrat Gewalt anwendet, selbst wenn dies das letzte Mittel ist, würde anstatt internationalem Recht 'Anarchie' ausbrechen und jede Hoffnung auf eine Weltordnung zerstören."
Das sei jedoch eine "gefährlich falsche Idee" findet Perle. Wie können politische Entscheidungen richtig sein, fragt Perle, wenn "das kommunistische China oder Russland oder Frankreich oder eine Gruppe von kleineren Diktaturen" ihre Zustimmung verweigern? Implizit freilich ist der selbstverständlich vorausgesetzte Gedanke, dass die Entscheidungen und Interessen, die die jeweilige US-Regierung - auch in Form von Vetos im Sicherheitsrat - vertritt und vertreten hat, stets richtig sind und dem Wohl der Welt dienen. Was braucht es internationales Gesetz, wenn es die USA gibt?
Die UN, so Perle sarkastisch, habe die Welt nicht von der Anarchie erlösen können. Sie habe gegenüber dem Nazi-Deutschland versagt. Nach dem Krieg wurde der Sicherheitsrat eingeführt, der im Kalten Krieg "hoffnungslos paralysiert" gewesen sei. Dass die USA hier auch kräftig mitgespielt haben, wird geflissentlich unterschlagen. Die Sowjetunion sei nicht von der UN gestürzt und Osteuropa von dieser befreit worden, sondern das sei "durch die Mutter aller Koalitionen, die Nato", geschehen. Abgesehen von ein paar sporadischen friedenserhaltenden Missionen habe der Sicherheitsrat im Kalten Krieg nur den Einsatz von Gewalt gebilligt, um Südkorea vor einer Invasion zu schützen - "und das war nur möglich, weil die Sowjets nicht da waren, um ein Veto einzulegen. Das war ein Fehler, den sie nicht wieder begangen haben."
In Serbien sei die UN unfähig gewesen, die Kriege zu verhindern. Auch hier habe eine Koalition eigenmächtig die Bosnier und später die Muslims im Kosovo schützen müssen. "Das chronische Scheitern des Sicherheitsrats, seine eigenen Resolutionen durchzusetzen, ist unmissverständlich: Er kann die Aufgabe nicht leisten." Der Sinn der ironischen Kritik ist klar: Die UN kann nicht leisten, was stets nur Allianzen unter der Führung der USA vermocht haben. Daher geht die UN zurecht zugrunde. Kein Wort verliert Perle hingegen darüber, dass es auch die Möglichkeit geben könnte, die UN und den Sicherheitsrat zu einem wirksamen Instrument für die Achtung der Menschenrechte, die Verhinderung von Krieg, die Bestrafung von Kriegsverbrechen oder die Durchsetzung anderer Aspekte des internationalen Rechts zu machen.
Für die Zukunft der Welt, wie sie Perle und wohl auch große Teile der US-Regierung sehen und so auch entsprechend handeln, gebe es nur "Koalitionen der Willigen", die nicht die neue Weltordnung bedrohen, sondern "die beste Hoffnung auf eine solche Ordnung und die wahre Alternative zur Anarchie des Scheiterns der UN darstellen". Diese Koalitionen der Willigen sind natürlich nur gut, wenn sie unter der Führung der USA stehen und deren Interessen einlösen. Andere Koalitionen und Achsen sind nach der ausgegebenen Devise, entweder mit der USA oder gegen sie zu sein, stets des Teufels. Das Recht des Stärkeren überzeugt solange, solange man tatsächlich ungefährdet auch der Stärkere ist und zudem der Ansicht ist, der Welt ein Vorbild zu sein.
Und wenn die nicht zur jeweiligen US-Koalition gehörenden Staaten sich konsequenterweise mit Massenvernichtungswaffen aufrüsten, um nicht so überrollt zu werden wie Afghanistan, der Irak und weitere Staaten, die bereits auf der Abschussliste stehen, so sind auch weitere Kriege abzusehen. Denn lediglich die USA, selbst im Besitz von Massenvernichtungswaffen, scheinen die moralische Autorität zur Entscheidung zu besitzen, wer Massenvernichtungswaffen besitzen darf. An Abrüstung denkt man selbstverständlich nicht - und auch nicht daran, dass jeder Krieg, den die US-Regierung mit einer Koalition im Bruch mit dem Völkerecht und mit überwältigender militärischer Macht führt, die Welt unsicherer machen wird, weil dies gerade andere Staaten und Widerstandsgruppen zur asymmetrischen Kriegsführung, also zum Einsatz terroristischer Mittel und auch von biologischen, chemischen, nuklearen oder radioaktiven Waffen zwingt.