Das 1,1-Liter-Haus

Ein deutsches Haus ohne Heizung? Kalter Kaffee! "Passivhäuser" zeigen schon jetzt, welches Einsparpotential in deutschen Häusern steckt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Etwa ein Drittel des gesamten Energiebedarfs in Deutschland geht für die Beheizung von Gebäuden drauf - etwa so viel wie für den Transport. Doch während viel von 3-Liter-Autos gesprochen wird, wird der beachtlichere Fortschritt in Sachen Heizkosten kaum beachtet.

Solarsiedlung am Schlierberg in Freiburg

Der hohe Heizungsbedarf ist sicherlich mit ein Grund dafür, dass der Energieverbrauch pro Kopf in Kanada noch höher liegt als in den USA, die an zweiter Stelle liegen. Wenn man also Energie im großen Stil sparen will, kommt man an der Architektur nicht vorbei. Stand der Technik ist jedoch nicht das Niedrigenergiehaus, dessen Vorschriften alle Neubauten in der BRD seit Februar 2002 einhalten müssen, sondern Passivhäuser, die nur mit einer Notheizung auskommen. Und wenn Passivhäuser mit Fotovoltaikanlagen ausgestattet sind, werfen sie im Jahr mehr Strom ab, als im Haus verbraucht wird.

Zuerst ein paar Richtwerte: Das durchschnittliche Haus in Deutschland verbraucht im Jahr rund 20-25 Liter Heizöl oder - anders ausgedrückt - 200-250 Kilowattstunden pro Quadratmeter für die Heizung. Die Formel sieht dann so aus: 200-250 kWh/m2·a. Zum Vergleich: Bei einer Wohnung mit 100 m2 entspricht das im Jahr rund 50 Tankfüllungen fürs Auto, fast einer pro Woche. Der Standard für Neubauten - die sogenannte Niedrigenergiebauweise - liegt schon viel tiefer bei 70 kWh/m2·a. Ein Fraunhofer-Institut hat auch ein 3-Liter-Haus entwickelt. Doch die Zukunft hat bereits die Pilotphase hinter sich und nennt sich "Passivhaus".

Ein Passivhaus darf mit höchstens 15 kWh/m2·a auskommen. In der Praxis sind aber Werte bis 11 kWh/m2·a möglich. Das 1,1-Liter-Haus! Dabei kommen nicht nur neue Techniken, sondern auch verblüffend einfache Ansätze zur Verwendung.

Das radikalste Konzept dürfte das Heliotrop vom Freiburger Architekten Rolf Disch sein, der auch hinter der Freiburger Solarsiedlung steht. Das Heliotrop nutzt die Sonneneinstrahlung vollends aus; das Haus ist eine Säule, die sich auf ihrem Sockel mit der Sonne dreht. Im Winter hat man die volle Sonne, im Sommer nur den Schatten. Für die langsame Rotation mit der Sonne braucht das Haus lediglich einen 100-W-Motor. Für seine architektonischen Ideen bekam Disch 2002 den Solarpreis von Eurosolar.

Einerseits hat das Passivhaus natürlich eine sehr gute Wärmedämmung. Vor allem die Fenster sind so konzipiert, dass sie möglichst viel Licht herein und möglichst wenig Wärme herauslassen. Und ein wenig gesunder Menschenverstand hilft auch: Passivhäuser werden in diesen Breitengraden mit großen Südfenstern und weitgehend geschlossenen Nordseiten gebaut. Bei einer richtigen Dämmung reicht die Abwärme vom Kochen, elektrischen Geräten und den Einwohnern selbst (der Mensch gibt etwa so viel Wärme wie eine 100 W Glühbirne ab) zusammen mit der Sonneneinstrahlung, um ein deutsches Haus warm zu halten.

Außerdem werden "Wärmebrücken" vermieden. Passivhäuser haben zum Beispiel keine Betonbalkone, die zwischen den Stockwerken herausragen, denn diese fungieren quasi als Wärmetauscher: Sie führen die Wärme von Innen heraus und die Kälte von draußen herein. Freistehende Balkone sind dagegen kein Problem, solange sie die Südfassade im Winter nicht beschatten. Im Sommer hingegen kann ein schattenspendender Balkon gerade das Richtige sein. Man kann also den Balkon so auslegen, dass er im Winter nicht im Weg ist und im Sommer das Haus vor Überhitzung schützt.

"Die Hausfrau lüftet"

Einen Wärmetauscher gibt es aber, und zwar über die Ventilation. Warme Innenluft wird z.B. aus der Küche nach außen geführt und deren Wärme in die einströmende Außenluft in einem Wärmetauscher übertragen. Das ständige, höchst ineffiziente Heizen und Lüften, wie es in Deutschland und anderswo gang und gäbe ist, entfällt, denn die Luft wird ständig ausgetauscht und das Heizen entfällt fast immer. An sonnigen, kalten Tagen wie im Februar 2003 sind konstante Innentemperaturen von 24 Grad locker drin, ganz ohne Heizung.

Doch gerade dieser Punkt hat in der Vergangenheit zu Missverständnissen geführt. Den Deutschen steckt das Lüften nach so vielen Jahrzehnten im Blut, und viele stellen sich unter einem Passivhaus einen Raum vor, in dem es vor lauter Ventilation kräftig zieht und man keine Fenster aufmachen kann. Wer aber schon mal in einem Passivhaus gestanden hat, dem wird die Sportart Lüften so absurd vorkommen wie der norwegischen Architektin, die in der Schweiz fragte, wie die Schweizer ohne Lüftungssystem überhaupt auskommen. Die Antwort kann sie noch heute nicht nachsagen, ohne zu lachen: "Die Hausfrau lüftet".

Heliotrop

Dabei kann man die Fenster eines Passivhauses schon aufmachen, bloß wird man selten das Verlangen danach haben. Die Luft wird durch das Ventilationssystem ständig gefiltert, ist also reiner als normale Innenluft - interessant für Pollen- und Stauballergiker. Dabei fließt die Luft so langsam, dass kein Durchzug entsteht. Trotz Ventilation zieht es also weniger als in einem Raum ohne Ventilation, in dem die Heizung die Luft erst recht herumwirbelt, indem sie die Luft ständig nach oben zieht, während die kalte Luft vom Fenster nach unten fällt. In Passivhäusern dagegen sind die Fenster so gut isoliert, dass sie sich gar nicht kalt anfühlen.

Aus dem Haus wird ein Kleinkraftwerk

Das erste Wohnviertel dieser Art war wohl das CEPHEUS-Projekt in Hannover-Kronsberg von 1999. Dort wurde zum ersten Mal auf die Heizung im Wohnbereich verzichtet. Und wenn die Heizung erst einmal weitgehend abgeschafft ist, kann eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach mehr Strom erzeugen, als im Haus verbraucht wird. Aus dem Passivhaus wird dann ein "Plusenergiehaus".

Eine ganze Siedlung davon entsteht zur Zeit in Freiburg: die Solarsiedlung. Diese Fertighäuser liefern nicht nur übers Jahr mehr Strom, als sie verbrauchern, sondern sie sind in einem ökologischen Gesamtkonzept integriert: autofreies Wohnen, die Wiederverwertung von Wasser (Grauwasser und Brauchwasser), und Regenwassernutzung. Ähnliche Projekte entstehen z.B. in Malmö/Schweden: Bo01, eine Mini-Stadt, die Ihren eigenen Strombedarf deckt, und zwar zu 100% aus Erneuerbaren Energien. Der organische Abfall von Bo01 wird der Landwirtschaft zurückgeführt und der Stadtplan sieht vor, dass man am besten mit dem Fahrrad und zu Fuß vorwärts kommt. Auch in Österreich entsteht in Linz eine ähnliche Solar City.

Vom Eisbär lernen

Doch dies sind alles Neubauten. Was macht man mit den vielen alten Energieschleudern?

Man wird Altbauten nicht unbedingt auf Passivhausniveau kriegen, aber man kann einiges tun. Leider baut man seit Jahrzehnten ohne Rücksicht auf die Sonne, und ein Gebäude, das einfach nicht richtig Richtung Süden aufgestellt ist, hat eben seine Grenzen, wenn es um die Ausbeutung der Sonnenenergie geht.

Neben lokalen und regionalen Energieagenturen, die in sogenannten "Energie-Checks" ermitteln, wo es im Altbau am meisten hapert (z.B. bei der Frage, ob neue Fenster oder moderne Isolierung), gibt es seit einigen Jahren den Heizspiegel des Umweltbundesamts, der Hilfestellungen bietet. Diese Experten helfen bei der Ermittlung, ob sich der Einsatz von neuen Einspartechniken in einem bestimmten Altbau auszahlt.

Eine Technik, die besonders für Altbauten interessant sein kann, ist die "transparente Wärmedämmung" (TWD). Diese Technik funktioniert wie die hohlen, transparenten Haare des Eisbären: Das Licht erwärmt die Luft in den Haaren des Eisbären und scheint bis zur schwarzen Haut durch. Bei der TWD wird eine Schicht hohler Körper auf eine Fläche an der Außenwand des Gebäudes angebracht, die sich bei Sonneeinstrahlung aufwärmt - gewissermaßen eine Kreuzung aus Isolierung und Kollektor.

So schön kann Außenisolierung sein: hier die grauen Flächen im Fachwerk-Stil am Sitz der International Solar Energy Society in Freiburg . Damit das Haus vor lauter Außenisolierung nicht zu warm wird im Sommer, hilft wiederum eine alte Technik: Man pflanzt einen Laubbaum vor die TWD-Seite, der im Sommer Schatten spendet und im Winter seine Blätter verliert, so dass die volle Sonne wieder auf die TWD prallt.

Dieses Beispiel zeigt, dass Sonnenenergie keineswegs nur mit Hightech verbunden ist. Sonnenenergie nutzt man nämlich auch, wenn man seine Wäsche draußen zum Trocknen aushängt, statt einen Trockner zu benutzen. Es wäre ein großer Schritt vorwärts, wenn wir die Sonnenenergie als eine Kombination aus alter und neuer Technik verstehen würden.

Craig Morris ist bei Petite Planète Übersetzer.