Das China-Paket
US-Regierung gibt Nuklearstrategie aus der Nixon-Ära frei
Das National Security Archive hat nunmehr bislang streng geheime Pläne zur Nuklearstrategie der USA aus der Nixon-Ära freigegeben. Demnach kam es 1972 zu einer heimlichen Umgehung des Verteidigungsministers durch den Vereinigten Generalstab.
Offiziell geht die Geschichte, wie sie aktenkundig und nunmehr öffentlich ist, so:
Als Richard Nixons Verteidigungsminister Melvin Laird im Februar 1972 seinen Posteingang kontrollierte, fand er darin überraschend einen geheimen Plan seiner Generäle, die ein sogenanntes Paket zur nuklearen Vernichtung des kommunistischen China vorbereiteten.
Dies war in mehrfacher Weise peinlich, denn das Rundschreiben war nur versehentlich auch an den politischen Hausherrn verteilt worden, der auf diese Weise erfuhr, dass die Generäle ihn bei wichtigen Plänen heimlich außen vor hielten. Außerdem stand für die kommende Woche die historische China-Reise Nixons bevor, wo man über solche aggressive Absichten vermutlich wenig erbaut gewesen wäre.
Ursprünglich hatten die Spitzengeneräle Anfang der 1960er Jahre den Single Integrated Operational Plan (SIOP) ausgearbeitet, der eine nukleare Auslöschung sowohl der Sowjetunion als auch China vorsah (USA geben Geheimdokumente zur Nuklearstrategie von 1964 frei). McNamara, der den Generälen misstraute, beauftragte schließlich differenzierte Pläne, die auch die Vernichtung von lediglich den Sowjets oder China vorsahen.
Die nukleare Auslöschung Chinas erwies sich jedoch als schwieriges Geschäft, da das Land sehr groß und eher agrarisch besiedelt war, so dass die Bombardierung von industriellen Zentren den Planern im Pentagon zu wenig Todesopfer versprach. Daher hatte man 1966 mit der Ausarbeitung detaillierter Pläne begonnen.
Auch Nixon hielt das Konzept für fragwürdig, dass bei einem Nuklearangriff ein Präsident nur die eine Option haben sollte, den Gegner total zu vernichten. Daher aber überlegte man, ob es nicht vielleicht ausreichen könnte, lediglich sogenannte Alpha-Ziele anzugreifen, die selbst eine militärisch-nukleare Gefahr darstellten. Zur entsprechenden politischen Planung richtete Laird eine Gruppe ein, die von seinem Mitarbeiter John S. Foster geleiteten wurde.
Was Verteidigungsminister Laird nach seinem Überraschungsfund aufstoßen musste, war die Tatsache, dass die Militärs für ihre Nuklearstrategie die Ergebnisse dieser Foster-Gruppe nicht abwarten wollten, obwohl der Häuptling der Generäle ebendieser angehörte. Daher wies Laird die Krieger an, ihre eigenmächtige Planung auf Eis zu legen, bis die Foster-Gruppe entsprechende Vorgaben ausgearbeitet hatte.
Soweit die offizielle Version, die in den Akten gepflegt wurde.
Bei näherem Hinsehen allerdings darf man sich fragen, ob und warum das Dokument wirklich bei Laird aufschlug, denn im Verteiler wird er offenkundig nicht aufgeführt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die in Geheimhaltung gedrillten Militärs ausgerechnet bei delikaten Staatsgeheimnissen wie der Nuklearstrategie versehentlich eine Fassung mehr druckten und ein Trottel diese ausgerechnet an den bewusst ausgesparten Verteidigungsminister adressierte, darf man wohl vernachlässigen.
Damals war man im Pentagon der Ansicht, dass solche militärischen Details ohnehin nicht für Zivilisten bestimmt seien, denen nun einmal die entsprechende Clearance fehlte. Als solche Zivilisten betrachteten die Generäle damals auch die jeweiligen Verteidigungsminister. Legendär ist der Kleinkrieg zwischen Kennedys Verteidigungsminister McNamara und den Militärs, die sich während der Kuba-Krise einander anbrüllten.
Wie Laird also wirklich an das Papier kam, darüber kann man derzeit nur spekulieren. Wahrscheinlicher als das angebliche Büroversehen wäre wohl, dass ein verantwortungsbewusster Whistleblower im Pentagon die Zivilcourage aufbrachte und die Eigenmächtigkeiten der Generäle in der Weise leakte, dass sie im Ergebnis beim Verteidigungsminister landeten.
Die angeblich fehlgeleitete Geheimpost wäre dann demnach eine Cover-Story, mit der man den peinlichen Vorfall gesichtswahrend und geräuschlos ad acta legen konnte. An Skandalen hatte man in Washington in Zeiten von Pentagon Papers, Deep Throat und Watergate keinen Mangel.