Das Comeback der Nato könnte im Armageddon enden
Seite 3: Nato-Offensive: Stärkt Achse Russland-China und ermöglicht totalen Krieg
- Das Comeback der Nato könnte im Armageddon enden
- Nato und kein Ende: Gefährliche Spiele an Russlands "roter Linie"
- Nato-Offensive: Stärkt Achse Russland-China und ermöglicht totalen Krieg
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"Wir haben uns heute darauf geeinigt, dass diese Länder Mitglieder der Nato werden", sagte Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer auf einer Pressekonferenz während des Nato-Gipfels in Bukarest, nachdem die Staats- und Regierungschefs es versäumt hatten, Georgien und die Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt in den MAP aufzunehmen.
Am 8. August 2008 gab Putin den russischen Streitkräften grünes Licht für den Einmarsch in Georgien. Der Konflikt war innerhalb weniger Tage beendet, doch laut Human Rights Watch begingen die Streitkräfte auf allen Seiten während des Konflikts "zahlreiche Verstöße gegen die Kriegsgesetze".
Bei dem Konflikt ging es um Südossetien. Der georgische Präsident Michail Saakaschwili beging den tragischen Fehler, einen militärischen Angriff auf die pro-russische abtrünnige Region zu befehlen, aber es besteht kaum ein Zweifel daran, dass der Einmarsch Russlands in Georgien auch ein Signal an die Nato war, sich von seinen Grenzen fernzuhalten.
Russlands militärischer Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 ist ungerechtfertigt und stellt eine grobe Verletzung des Völkerrechts dar. Noam Chomsky stellt den russischen Einmarsch in die Ukraine in eine Reihe mit dem Einmarsch der USA in den Irak und dem Einmarsch Hitler-Stalins in Polen. Dennoch kann niemand die Tatsache übersehen, dass die russische Führung den Westen seit Jahrzehnten vor der Nato-Osterweiterung gewarnt hat. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass die USA den russischen Bären in der Zeit nach dem Kalten Krieg nicht absichtlich provoziert haben. Wie John Mearsheimer im Zusammenhang mit dem aktuellen Einmarsch in der Ukraine dargelegt hat, begannen die Probleme eigentlich auf dem Nato-Gipfel in Bukarest im April 2008.
Doch all dies scheint den Führern der Nato und der USA egal zu sein. Im Gegenteil, sie sind entschlossen, die Provokation und Aggression zu verdoppeln. Auf dem Madrider Gipfel fassten die Nato-Staats- und Regierungschefs weitreichende Beschlüsse, die zu globaler Instabilität und noch viel Schlimmerem führen könnten.
Die Nato bezeichnete Russland als "direkte Bedrohung" für den Frieden und die Sicherheit ihrer Mitglieder. Das ist eine abenteuerliche Vorstellung, denn damit impliziert die Nato, dass Russland Pläne für einen Angriff auf westliche Hauptstädte hat.
Die Vorstellung, dass Russland eine militärische Bedrohung für den Westen darstellt, ist so lächerlich wie die Aussage der republikanischen Abgeordneten im US-Kongress Marjorie Taylor Greene, dass "Kinder mit Schusswaffen ausgebildet werden sollten".
In Wirklichkeit ist es die Nato, die eine direkte Bedrohung für die russische Sicherheit darstellt.
Mit der Verabschiedung des neuen strategischen Konzepts werden die USA ihre militärische Präsenz (mit mehr Truppen, Kampfflugzeugen und Schiffen) auf europäischem Boden erheblich ausweiten. Damit ist das existenzielle Dilemma Europas, ein Vasall der USA zu sein oder nicht, endlich gelöst.
Mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens ist die Nato-isierung Europas nahezu abgeschlossen. Die einzigen EU-Mitgliedstaaten, die noch nicht der Nato angehören, sind Österreich, Zypern, Irland und Malta.
Zu eindeutigen Verteidigungszwecken wird die Nato natürlich auch die Zahl der Truppen an der Ostflanke, die Russland am nächsten liegt, massiv aufstocken, und die Zahl der Truppen, die in höchster Alarmbereitschaft sind, wird auf weit über 300.000 ansteigen, verglichen mit den 40.000 Truppen, die derzeit die schnelle Eingreiftruppe des Bündnisses bilden.
Man sollte sich darüber nicht täuschen. Das neue strategische Konzept läuft auf die Wiederbelebung und das Wiederaufleben einer alten Nato-Vision hinaus, die nichts anderes ist als die Sicherung der Bedingungen für die Reproduktion der globalen Hegemonie der USA.
Aus diesem Grund wurden die regionalen Partner der Nato – Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea – zum ersten Mal zur Teilnahme an einem Nato-Gipfel eingeladen. Der indo-pazifische Raum hat sich zu einer der dynamischsten Regionen der Welt entwickelt, und dort befindet sich auch China. Das Streben nach globaler Hegemonie seitens der US-geführten, westlich orientierten Armeen erfordert Maßnahmen zur Bewältigung bestehender, neuer und künftiger Bedrohungen und Herausforderungen.
Dementsprechend erklärten die Staats- und Regierungschefs der Nato China zum ersten Mal zu einer sicherheitspolitischen Herausforderung. Sie scheuten davor zurück, das Land aus verschiedenen Gründen als "Gegner" zu bezeichnen, auch wenn die Beziehungen zwischen den USA und China in der Tat recht feindselig sind.
Erstens sind die Volkswirtschaften Chinas und der Vereinigten Staaten eng miteinander verflochten. China aus der globalen Versorgungskette und den Schlüsselindustrien auszuschließen, ist für die Vereinigten Staaten zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine nahezu unmögliche Aufgabe. China ist auch der größte Handelspartner der Europäischen Union. Daher haben weder Europa noch die Vereinigten Staaten ein starkes Interesse daran, China als Gegner zu behandeln.
Zweitens: Während Russland militärisch eingedämmt werden kann, ist dies bei China nicht möglich. Nur eine direkte militärische Konfrontation mit China kann das Wachstum seiner militärischen Vorherrschaft in Ostasien aufhalten. China liegt jedoch außerhalb der Interessensphäre der Nato, und obwohl die USA versuchen werden, eine Brücke zwischen den euro-atlantischen und den indo-pazifischen Bündnissen zu schlagen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die europäischen Staaten in Bezug auf den indo-pazifischen Raum der Sichtweise der USA anschließen werden.
In der Tat sollte man nicht erwarten, dass die europäischen Bürger militärische Abenteuer im Ausland unterstützen. Aus einer kürzlich vom Rat für Auswärtige Angelegenheiten der EU veröffentlichten Umfrage geht hervor, dass die europäischen Bürger in den ersten hundert Tagen des russischen Krieges gegen die Ukraine zwar die westliche Intervention und die Wirtschaftssanktionen unterstützten, dass aber "jetzt in allen Ländern, mit Ausnahme Polens" die öffentliche Stimmung für den Frieden ist. Die Umfrage zeigt eine wachsende Kluft zwischen den erklärten Positionen vieler europäischer Regierungen und der öffentlichen Stimmung in ihren Ländern. Nur in Polen, Deutschland, Schweden und Finnland gibt es eine substanzielle öffentliche Unterstützung für eine Erhöhung der Militärausgaben.
Das neue strategische Konzept der Nato kommt zu einem kritischen Zeitpunkt in der Entwicklung des internationalen Systems nach dem Kalten Krieg, in dem Unsicherheit vorherrscht und die dominierenden Akteure nukleare Großmächte sind. Es handelt sich in der Tat um ein leichtsinniges und höchst gefährliches Vorgehen, das die Feindseligkeit zwischen Russland und dem Westen sowie das Misstrauen zwischen den USA und China verstärken und höchstwahrscheinlich die autoritäre Achse Russland-China festigen wird. Alle Voraussetzungen für den Ausbruch eines totalen Krieges sind gegeben.
Es überrascht nicht, dass Peking die Nato bereits wegen ihres so genannten neuen strategischen Konzepts kritisiert hat, und der chinesische Präsident Xi Jinping, vielleicht in Erwartung der weitreichenden Beschlüsse der Nato-Staats- und Regierungschefs auf dem Madrider Gipfel, sicherte Putin Mitte Juni die Unterstützung Chinas für die russische "Souveränität und Sicherheit" zu.
Putin warnte seinerseits Finnland und Schweden, dass es symmetrische Reaktionen von Russland geben werde, falls dort "militärische Kontingente und militärische Infrastrukturen" stationiert würden, was die Stationierung von Atomwaffen in der Ostseeregion einschließt.
Die Zukunft sieht düster aus. Die Nato hat auf dem Madrider Gipfel Beschlüsse gefasst, die sehr wohl zum Ausbruch eines globalen Kalten Krieges führen können. In diesem Sinne verfolgt die Nato weiterhin denselben Weg der Konflikteskalation, nur dass ihre endlose Expansionspolitik jetzt die Aussicht auf ein Armageddon vergrößert.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem Online-Nachrichtenmedium Common Dreams in den USA. Übersetzung: David Goeßmann.
C.J. Polychroniou ist Volkswirt und Politikwissenschaftler und hat an zahlreichen Universitäten und Forschungszentren in Europa und den Vereinigten Staaten gelehrt und gearbeitet. Seine letzten Bücher sind "The Precipice: Neoliberalism, the Pandemic and the Urgent Need for Social Change" (Eine Sammlung von Interviews mit Noam Chomsky, 2021) und "Economics and the Left: Interviews with Progressive Economists" (2021).