Das Deutsch der Brasilianer
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Oft sagen Deutsche, die Südbrasilien besuchen, das brasilianische Deutsch sei ein veraltetes Deutsch. Ich vermute, ein paar Leute dachten so, weil sie nicht viel verstehen konnten, und es ist zur Volksweisheit geworden. Jeder wiederholt es, man "weiß" es. Ich bin nicht dieser Meinung. Ich glaube, das katarinische oder katarinensische, wie die bösen Zungen die südbrasilianische(n) Deutsch-Variante(n) nennen, ist eine sehr progressive Sprache, ziemlich weit entfernt vom Deutschen der letzten Jahrhunderte in Deutschland.
Gut möglich, dass diese Mischung aus Deutsch oder aus deutschen Dialekten mit Portugiesisch ein paar alte Wörter, alte Ausdrücke hat, aber ansonsten haben sie die Grammatik ziemlich vereinfacht, die Leute haben selten ein Gefühl für Deklinationen, man sagt meistens "Ich ging mit die Frau". Keine schöne Häuser, viele schöne Häuser, alle schöne Häuser, in die schöne Häuser. Wer da noch irgendwo ein N reinmacht, ist ein Intelectual. Aber wie das genau geht, wissen viele Deutschländer in Deutschland auch nicht.
Und dann das Vokabular: die Satzstruktur ist deutsch, die grundsätzlichen Wörter sind deutsch, kompliziertere Wörter sind portugiesisch. Natürlich auch in der Technik: Man steigt in ein Auto, und unten bei den Füßen ist links die Embreagem, in der Mitte der Breque, und rechts der Acelerador. Rechts in der Console trokirt man die Marcha. Das kommt von trocar a marcha, den Gang wechseln.
Viele portugiesische Wörter werden eingedeutscht, zum Beispiel wird die roça (Feld, Plantage) zur "ross". Ich gehe in die Ross, kommst du mit? Die brasilianische lata de lixo ist ein Eimer, wo man Abfall reinwirf, es wird wie "latta di lischu" ausgesprochen, mit einem ganz schwachen U. Auf Deutsch heißt es dann "Lixolatte", die Deutschländer würden "Lischolatte" schreiben.
Die besser informierten Leute wissen, dass das ein Pipifax-Deutsch ist. Sie misstrauen allen Wörtern, die man auch im Portugiesischen findet – das ist gepanschtes Deutsch, "Pneu" heißt auf Deutsch "Reifen"! Aber sie wissen oft nicht, wie's auf Richtigdeutsch wäre, also gebrauchen sie's weiter, und oft gibt es das Wort im Deutschen eben doch. Einmal hat mich das Bayerische Fernsehen in Brasilien begleitet, wir sind noch zu meinem Vater gefahren, der im Krankenhaus lag.
Mein Papa stammte von Litauern und von Deutschen aus Lodz ab und sprach außer Portugiesisch auch Katarinisch, oder Katarinensisch. Beim Interview sagte er, "Ich habe eine Sonda im Bauch" – (guckte zu mir rüber) – "Wie sagt man 'Sonda' auf Deutsch?" Ich antwortete, "Sonde". Er sagte, "Nein, nein, auf Richtigdeutsch – Brasiliendeutsch versteht der Redator nicht!" Es heißt trotzdem "Sonde".
Mit demselben Team vom BR sind wir zur Stadt Nova Petrópolis gefahren, man nähert sich der Stadt und im Radio singt Stefanie Hertel. Man kommt an einer Tankstelle vorbei, da steht ganz groß: DEUTSCHE TANKSTELLE, so heißt sie. Wir halten an und drehen eine kurze Szene. Kamera auf mich, ich sage: Tankstellen mag es viele in Deutschland geben, aber eine Tankstelle, die DEUTSCHE TANKSTELLE heißt, (Schwenk zur Reklame) gibt es nur in Brasilien! Dann reden wir mit einem Typen von der Tankstelle, der Redakteur fragt, ob die Tankstelle ihm gehört. Er sagt, "Nein nein, ich bin nur empregado, da driben is de dono seine filha." Also er ist nur Angestellter, und drüben sitzt die Tochter des Inhabers.
Wenn man manche Brasilianer fragt, ob sie Deutsch sprechen, sagen sie, "Ja, aber nur sapato-de-pau." Das wird sapatschipau ausgesprochen und heißt Holzschuh. Ein deutscher Dialekt, der Holzschuh heißt??? Dann konnte mir ein Typ aus der Region die Geschichte erklären: Erst sind in diese Region nördlich von Porto Alegre Leute aus dem Hunsrück gekommen.
Dann später die Westfalen – es gibt auch eine Stadt in der Region, die Westfalia heißt – und die sprachen ganz anders, irgendwie Plattdeutsch. Und diese Westfalen gingen in die Ross mit ihren Holzschuhen, also haben die Hunsrücker ihre Sprache Holzschuhplatt genannt. Und dann auf Portugiesisch übersetzt: sapato de pau, sapatschipau.
Mal-entendidos (Missverständnisse) gibt es am laufenden Band, wenn Deutsche (das sind die Leute in Brasilien) und Deutschländer (das sind die Leute in Deutschland) sich unterhalten. Der BR hat auch meinen Bruder und meine Schwester interviewt, der Redakteur hat ihn gefragt, ob ich schon immer so plemplem war. Mein Bruder wollte erzählen, wie ich mich verrückt gestellt habe, um dem Exército, der Armee, also dem Wehrdienst, zu entkommen, aber er wusste, Exército, ausgesprochen "esärst(u)", ist kein richtig deutsches Wort. Im Deutschen ist es nicht so eindeutig, es gibt Heer, Armee, und aktuell heißt es Bundeswehr. Mein Bruder hat erzählt: "Mein Bruder wollte nich zu die Wehrmacht, dann hat er sich verrickt fingiert und die Wehrmacht hat ihn befreit."
"Mais" heißt auf Portugiesisch milho. Die Deutschen in Brasilien machten daraus die Milje. Ein Professor aus Deutschland hat mal eine Bäuerin gefragt, ob sie auf dem Bauernhof Mais haben. Sie antwortete, "Ja, eine Plage, diese Ratten und diese Mais, und die fressen die ganze Milje auf!"
Apropos, manche deutsche Wörter haben sich im südbrasilianischen Deutsch etabliert, zum Beispiel cuca für "Kuchen", und schmir (oder brasilianisiert chimia für Marmelade, Gelee. So sagen es auch die Leute in Rheinland-Pfalz und im Saarland, "Brod mid Schmir". Und die rosa Würstchen, die man für Hotdogs nimmt, heißen vina.
Es gibt auch deutsche Wörter im Portugiesischen von ganz Brasilien, zum Beispiel wenn die Polizei eine großangelegte Aktion macht, heißt es auf Deutsch eine "Razzia", mit einem romanischen Wort. Brasilianer nehmen ein deutsches Wort, "blitz". Von "Blitzkrieg" ...
Wie sehr viele Dialekte wird Katarinisch irgendwann in naher Zukunft aussterben. Es gibt Bewegungen, das Ganze doch noch zu retten, so lernen in manchen Schulen die Kinder auch Hunsrückisch. Dafür gibt es sogar eine brasilianisierte ortografia. Aber mit Hunsrückisch, das brasilianisch geschrieben wird, kommt man nicht sehr weit in der Welt.
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