Das Deutsche Forschungsnetz -- ein Closed Shop

Daß sich zur Zeit in Deutschland die kommerziellen Internet-Provider mit dem Universitätsnetzwerk über Gebühren streiten, kann leicht zu Fehlschlüssen verführen. Das Deutsche Forschungsnetz WiN ist aber weit davon entfernt, ein demokratisches und für jedermann zugängliches öffentliches Netzwerk zu sein.

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Auf den ersten Blick ein klarer Fall: die kommerziellen deutschen Internetprovider wollen dem "Wissenschaftsnetz", das von dem Verein zur Förderung eines Deutschen Forschungsnetzes (DFN) getragen wird, keine Gebühren mehr zahlen. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, haben sie zum Jahresende ihre Verträge mit dem DFN gekündigt. Sollte es nicht zur Einigung kommen, dann wird demnächst der Traffic zwischen den kommerziellen Providern und den Universitäten über die USA geroutet.

Wenige Tage, nachdem ich diesen Vorgang veröffentlicht hatte, führte ich darüber ein Telefoninterview mit Marleen Stikker, die Anfang Juli das Projekt "We want Bandwidth" im Rahmen des documenta-workspace umsetzte. Ihre Fragen an mich zielten in genau in die Richtung, die scheinbar auf der Hand liegt: die Forderungen der Provider als einen weiteren Schritt vom öffentlichen zum privatisierten Internet darzustellen, als einen Vorgang, in dessen Verlauf eine öffentliche Ressource in Privateigentum überführt wird. Die unausgesprochene Folgerung war, das Internet würde dadurch weniger öffentlich, weniger demokratisch, der Zugang werde erschwert, verteuert, der Platz für unabhängige Projekte verschwinde.

Ich bin der Meinung, daß diese Wahrnehmung aus einer Reihe von Gründen nicht zutrifft, oder jedenfalls den Vorgang nicht wirklich erfaßt. Viele dieser Gründe sind spezifisch für die Situation in Deutschland, einige jedoch treffen wahrscheinlich in anderen westlichen Staaten ebenso zu.

Nicht die kommerziellen Provider, sondern der DFN mißachtet kooperative Internetpraktiken

Die Gebühren, die die kommerziellen Provider nicht mehr zahlen wollen, verweisen bereits auf die erste ungewöhnliche Praktik des DFN: Er verlangt diese Gebühren dafür, daß zwischen dem WiN und den Providern ein direkter Datenaustausch stattfindet.

Das im Internet übliche Verfahren des Datenaustausches, das sogenannte Peering, erfolgt traditionell gebührenfrei. Die an dem Peering Point beteiligten Parteien tragen gemeinsam die Kosten, berechnen sich aber gegenseitig keine weiteren Gebühren.

Erst in letzter Zeit haben große Backbonebetreiber in den USA, namentlich UUNet, Versuche unternommen, von dieser kooperativen Praxis abzuweichen. Der Peering Point der kommerziellen deutschen Provider freilich, der auf den Namen DE-CIX hört, funktioniert noch nach diesem Prinzip.

Der Geschäftsführer des DFN, Klaus-Eckart Maass, behauptet nun, bei der Anbindung der Provider an das WiN handele es sich gar nicht um Peering. Die Provider seien vielmehr an dem Netz selbst, an den Ergebnissen der Universitätsforschung interessiert, meint Maass, und deshalb Nutzer des WiN, genau wie die dort angeschlossenen Hochschulen und Institutionen.

Zeigt diese Sichtweise des DFN-Leiters schon, daß er den Charakter des Internet grob mißversteht, so zeigt auch die tatsächliche Richtung der Datenströme, daß diese Ansicht vollkommen realitätsfremd ist. Schon längst laufen etwa doppelt so viele Daten von den kommerziellen Providern ins WiN hinein als umgekehrt. Wenn man überhaupt von der kooperativen Regelung abweichen würde, dann wäre der DFN zahlungspflichtig, nicht die Provider.

Faktisch bedeutet das: Der DFN erhebt eine Art Internetsteuer von den kommerziellen Providern.

Das deutsche Internet existiert nicht dank, sondern trotz des DFN

Nun bin ich kein Cyberlibertarian, dem das schon zur Verurteilung ausreichen würde. Ich habe grundsätzlich nichts gegen Steuern. Und trotz der unakzeptablen Begründung, die der DFN selbst angibt, könnte man sich eine akzeptable Rechtfertigungsstrategie für solch eine Zwangsabgabe zurechtlegen. Das Internet, so könnte man argumentieren, sei schließlich im akademischen Bereich erfunden und aufgebaut worden, und so wäre es nur gerecht, wenn diejenigen, die nun von dieser Entwicklung profitieren, einen Obulus an die Erfinder abführen.

Daß eine solche Quasi-Steuer gewisse juristische und politische Probleme aufwerfen würde, ändert nichts daran, daß man sie für grundsätzlich legitim halten könnte. Nur: Die Voraussetzung des Arguments stimmt, auf Deutschland bezogen, nicht.

Im Gegenteil. Der DFN und das Bundesforschungsministerium haben bis in die 90er Jahre hinein das Internetprotokoll TCP/IP mißtrauisch beäugt und abschätzig kommentiert und damit die Entwicklung eines TCP/IP-Netzes in den 80er- und 90er-Jahren massiv behindert. Statt dessen setzte die deutsche Wissenschaft auf die inzwischen kläglich gescheiterte Entwicklung der OSI-Standardprotokolle, mietete sich noch 1990 für zehn Jahre (!) ein x.25-Netz von der Post, und ließ die Entwicklung an sich vorbeiziehen.

Folgerichtig stammen von den über 2.000 RfCs (Requests for Comment), die den Internet-Standard weltweit definieren, ganze drei aus Deutschland. Wenn eine akademische Community es nicht verdient hat, die Lorbeeren für die Entwicklung des Internet einzuheimsen, dann die deutsche. Lediglich an vereinzelten Instituten wurde mit kleinen Etats auf TCP/IP gesetzt -- und diese Stellen wurden dann in der Tat zu zweien der wichtigsten deutschen Backbonebetreiber: Die Firmen Xlink und EUnet.

Das WiN ist keine öffentliche Ressource

Eine weitere vielleicht nicht durchsetzbare, aber doch legitime Rechtfertigungsstrategie für jene Internetsteuer, die vom DFN faktisch von den kommerziellen Providern erhoben wird, wäre, daß damit der Zugang für die Allgemeinheit, für öffentliche, nichtkommerzielle, gemeinnützige Projekte gesponsert werden sollte, um eine Entwicklung zu verhindern, in deren Folge Informations-Habenichtse von der gesellschaftlichen Entwicklung abgeschnitten würden.

Wieder Fehlanzeige. Der DFN betreibt schließlich ein Wissenschaftsnetzwerk. Wer nicht irgendetwas mit den Hochschulen zu tun hat, der hat dort nichts zu suchen. Auch mit der Aufgabe, die Bevölkerung über die Datennetze aufzuklären, hat der DFN nichts zu tun und will damit auch nichts zu tun haben.

Ein paar Ausnahmen gibt es natürlich: Großunternehmen mit Forschungsabteilungen wie Siemens, Daimler-Benz, die Deutsche Bahn und zahlreiche Pharma- und Chemieunternehmen sind beim DFN gern gesehen. Und Angebote für die Allgemeinheit auch, vorausgesetzt, sie kommen so wohlorganisiert und Blockwart-kontrolliert daher wie das Stoibersche Bayernnetz. Womit ich bei meinem letzten Punkt bin:

Gesellschaftskritische Aktivitäten im Netz sind mit den kommerziellen Providern eher möglich als im WiN

Eine andere große Befürchtung bei der Privatisierung des Internet ist, daß dadurch kritische Inhalte aus dem Netz gedrängt werden -- zugunsten von angepaßten, kommerziell erfolgreichen.

Tatsächlich jedoch sind der DFN und seine Mitglieder, die Hochschulen, als Provider in jüngster Zeit die restriktivsten Zensoren überhaupt. Im April sperrte der DFN-Leiter Maass den niederländischen Provider XS4all wegen der bekannten "radikal"-Site. Und zwar nach der alten Chirurgenregel "Fünf Zentimeter ins Gesunde" wesentlich gröber, als dies ein halbes Jahr zuvor noch die kommerziellen getan hatten.

Die Administratoren an den Universitäten sind unterdessen wesentlich intoleranter gegenüber den privaten Homepages der Studenten geworden. In de.soc.zensur mehren sich die Meldungen von gelöschten Inhalten und gesperrten Accounts. Meist sind solche Sperrungen juristisch in Ordnung, da die Benutzungsbestimmungen in der Regel die Nutzung auf die Zwecke der Forschung und Lehre beschränken. Aber solche Bestimmungen werden nun öfter durchgesetzt -- ein Stimmungswandel.

Das ist in der kommerziellen Providerszene anders. Längst nicht alle Provider unterstützten die Blockademaßnahmen gegen xs4all. Natürlich sind inzwischen alle Provider an die gesetzlichen Bestimmungen gebunden, die ihnen einen Teil Verantwortung zuschanzen. Doch in der Regel verstehen sich die Provider immer noch als Carrier, denen grundsätzlich egal ist, was auf ihren Servern liegt -- solange die Rechnung bezahlt wird.

Der Ausverkauf des universitären Internet an Telekommunikationskonzerne war für viele der Sündenfall, der Einbruch des Kapitalismus. In Deutschland stellt sich dagegen wie so oft die Frage, ob ein wohldosierter Schuß mehr Kapitalismus nicht das kleinere Übel gegenüber den ständischen, autoritären und bornierten staatlichen Einrichtungen ist.

Boris Gröndahl