Das Ende des "Goldenen Zeitalters" des Kapitalismus und der Aufstieg des Neoliberalismus
Seite 3: Neoliberale Offensive
Als eine zentrale Voraussetzung des Übergangs vom keynesianischen zum neoliberalen Kapitalismusmodell gilt die Aufhebung der Goldbindung des US-Dollar in 1971. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Greenback in seiner Funktion als Weltleitwährung fest an die Goldreserven der USA gekoppelt, während alle anderen Währungen der OECD wiederum in festen Wechselkursen zum Dollar standen. Die US-Regierung garantierte, 35 US-Dollar im zwischenstaatlichen Handel jederzeit in eine Feinunze Gold umzutauschen. Man könnte auch sagen, das bis 1971 das Geld in den westlichen Industrienationen nur ein Symbol für Gold - also für eine Ware - war, mit dem man als Konsument beispielsweise beim Einkauf in "Warentausch" trat. Die Ware Gold spielte, vermittels des US-Dollars und fester Wechselkurse, die Rolle eines allgemeinen Äquivalents, in dem alle anderen Waren ihren Wert ausdrückten.
Doch seit den 60ern ging die US-Regierung dazu über, die ausufernden Kosten des Vietnamkrieges und parallel initiierter Sozialreformen durch eine Inflationierung des Dollars zu decken. Durch die angeworfenen Notenpressen in den USA überstieg schon in den 60ern der Nennwert der US-Dollar im europäischen und japanischen Besitz die US-Goldreserven. Am 17. August 1971 sah sich die Nixon-Administration folglich genötigt, die Goldbindung des US-Dollar aufzuheben. Am 11. März 1973 lösten die führenden Industrienationen wiederum ihre festen Wechselkurse an den US-Dollar und gingen zum freien "Floaten" der Währungen auf den schnell sich etablierenden Devisenmärkten über. Seit diesem schicksalhaften Jahren sind Währungen - diese bunt bedruckten Papierzettel, denen nachzujagen wir genötigt werden - durch nichts substanzielles gedeckt. Geld ist somit eine reine Vertrauenssache.
Die Aufhebung der Goldbindung des US-Dollar führte einerseits zum Wegfall der regulierenden, stabilisierenden Funktion des globalen Systems fester Wechselkurse, und sie beschleunigte andererseits die rasche Ausbreitung und Etablierung der Finanzmärkte, da Währungen nun sehr schnell zu einer Spekulationsware wurden. Zudem war nun die Steuerung der Geldmenge keinen substanziellen Beschränkungen aufgeworfen, sie konnte aus rein wirtschaftspolitischen Erwägungen - vermittels Zinspolitik - potentiell unbegrenzt erhöht werden. Es ist gerade diese Geldpolitische Narrenfreiheit, die Jahrzehnte später wesentlich zu den enormen Dimensionen der gegenwärtigen Finanzkrise beitragen sollte.
Die Gegenbewegung, die den ökonomischen "Gordischen Knoten" der Stagnation der 70er duchzuschneiden trachtete und später unter dem Namen "Neoliberalismus" bekannt werden sollte, konnte ihre ersten, praktischen Schritte ebenfalls 1973 wagen. Nachdem am 11.09.1973 der sozialistische Präsident Chiles Salvador Allende gestürzt und eine bis 1990 andauernde faschistische Diktatur unter General Augusto Pinochet errichtet wurde, fungierte das südamerikanische Land als ein Experimentierfeld neoliberaler Politik. In Pinochets Chile wurden Deregulierung, Privatisierung, Steuersenkungen, Monetarismus und Sozialkahlschlag ausgiebig von den Chicago Boys erprobt, bevor dieser Politikmix unter US-Präsident Ronald Reagan und der britischen "eisernen Lady" Margaret Thatcher in den ersten Industrieländern zur Anwendung gelangte.
Aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für die Herausbildung des von den Finanzmärkten dominierten, Globalen Wirtschaftssystems, soll hier die Politik der 1980 ins Amt gewählten Reagan-Administration kurz skizziert werden. Die "Neoliberalen" sahen den Ausweg aus der Stagnation der 70er gewissermaßen in einem Zurück in die Vergangenheit: in Steuerentlastungen für die Vermögenden und die Unternehmen, in einer Deregulierung der Finanzmärkte, in Kürzungen im Sozialbereich und ersten Privatisierungen. In ihrer Essenz zielten die meisten Maßnahmen der "Reaganomics" auf die Erholung der Profitrate ab, und wie wir aus der obigen Graphik ablesen können, zeitigte diese Politik einen gewissen Erfolg. Ab den 80ern erholen sich die Gewinne der US-Unternehmen, auch wenn die hohen Profitraten der 50er und 60er nicht mehr erreicht werden konnten. Der linke Theoretiker Chris Harman bemerkte hierzu:
Wieso erholten sich die Profitraten? Ein wichtiger Faktor war die Erhöhung der Ausbeutungsrate innerhalb der Ökonomie, wie durch den steigenden Anteil des Kapitals - und dem fallenden der Arbeit - am Bruttosozialprodukt ersichtlich wird.
Chris Harman
Ein immer größerer Teil des "volkswirtschaftlichen Kuchens", des erwirtschafteten BSP, ging also an die Unternehmen, der Anteil der Lohnabhängigen am gesellschaftlichen Reichtum nahm ab. So stagnieren seit der Reagan-Ära die realen, inflationsbereinigten Löhne der amerikanischen Bevölkerung. Heute verdienen die Lohnabhängigen der USA de facto weniger als 1973. Ermöglicht wurde dies durch eine gewerkschaftsfeindliche Politik der Reagan-Administration, in deren Gefolge der gewerkschaftliche Organisationsgrad der US-Arbeiterschaft immer weiter sank. Zudem leiteten die Reaganomics die berüchtigte "Deregulierung" des Arbeitsmarktes ein, die die lebenslangen, geregelten Arbeitsverhältnisse des keynesianistischen "Goldenen Zeitalters" massiv zurückdrängte und prekäre Beschäftigung in ganzen Gewerbezweigen etablierte.
Die massiven Steuergeschenke für Spitzenverdiener (Spitzensteuersatz sinkt von 70% auf 28%) wurden im Rahmen der Trickle-Down-Theorie (abgeleitet vom englischen absickern) legitimiert. Demnach würde der massiv zunehmende Reichtum der Obersten Zehntausend durch die Ökonomie hindurch bis zu den Ärmsten "hindurchsickern". Die massive Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung in den USA findet in den Reaganomics ihren Ursprung.
Daneben bildete sich auch erstmals eine enorme Staatsverschuldung der Vereinigten Staaten innerhalb der Reagan-Ära aus, da die massiven Steuersenkungen, die innerhalb der 80er umgesetzt wurden, mit einer enormen Rüstungsanstrengung Washingtons einher gingen, mit der die Sowjetunion "zu Tode gerüstet" werden sollte. Somit behielten die Neoliberalen ein wichtiges Element keynesianistischer Politik bei: die kreditfinanzierten Konjunkturprogramme, von denen aber diesmal nur der Militärisch-Industrielle-Komplex der USA profitierte.
Die von den US-Neoliberalen postulierte Reduzierung der Ausgaben der Öffentlichen Hand galt somit nicht für den Militärischen Sektor, sondern vor allem für den Sozialstaat. Generell kann bereits der Periode der Reaganomics eine starke Krisenanfälligkeit attestiert werden. Bereits 1981 brach eine schwere Rezession aus, die Arbeitslosenraten von bis zu 10 Prozent in 1982 zur Folge hatte. Eine erneute Rezession, die auf spekulative Exzesse der Reaganomic zurückgeführt werden kann, brach Anfang der 90er Jahre aus und vereitelte die Wiederwahl von Präsident Bush Senior.