Das Ende des Paradigmas der unnachgiebigen Härte?

Nach dem Angriff auf die israelische Botschaft in Kairo wird das Risiko des außenpolitischen Kurses der Regierung Netanjahu unübersehbar

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Ist die Zeit für Netanjahu um? Der israelische Premierminister steht außenpolitisch vor den Scherben seiner Politik, die auf Unnachgiebigkeit und Härte setzt; innenpolitisch hat er es mit einem Aufstand großer Teile der Mittelklasse zu tun, die gegen den wirtschaftsliberalen Kurs der letzten Jahre opponiert (Israel social protest leaders to hold 'Thousand Table' discussions throughout country). Die Rufe nach einem Rücktritt Netanjahus, die in den vergangenen Wochen aus dem israelischen Protestlager zu hören waren, wurden am Wochenende von Kommentatoren aufgenommen, die die Forderung ans Ende ihrer Abrechnung mit den Resultaten seiner Politik stellten: Netanjahu must go.

Die scharfe Kritik kommt allerdings vor allem von der eher links orientierten Zeitung Ha'aretz. Das rechte, nationalistisch gesinnte Lager wird sie nicht teilen. Es wird sich in der nächsten Zeit zeigen, wie die Machtverhältnisse in Israel aussehen, wieviel Gewicht die Siedler und der rechte Flügel haben. Dass Israel in einer schwierigen Situation steckt, wird keiner bestreiten, die Lösungsvorschläge dürften sich allerdings sehr voneinander unterscheiden.

Noch im September wird in der UN-Hauptversammlung die Staatsgründung Palästinas verhandelt. Ob sie tatsächlich beschlossen wird, hängt allerdings von einem anderen Gremium ab. Und da die USA bereits verkündet haben, dass sie bei einem entsprechenden Vorschlag im UN-Sicherheitsrat ein Veto einlegen werden, geht es für die Palästinenser in der Hauptversammlung zunächst einmal darum zu zeigen, wie groß die internationale Unterstützung für ihren Staat ist. Die Liste derjenigen Staaten, die sich in den letzten Monaten für eine Unterstützung ausgesprochen haben, ist beachtlich. Zuletzt hatte sich auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sich vernehmbar dafür ausgesprochen.

Bislang gehörte es zu den Grundsätzen der Likudregierung, dass sie Mehrheitsverhältnissen in der UN keine große de-facto-Relevanz zubilligte. Man ging davon aus, dass von dort ohnehin nur araberfreundliche und anti-israelische Stellungnahmen zu hören sind. Dass dies lediglich ein Problem der Öffentlichkeitsarbeit und des "public image" blieb, dagegen sicherte man sich durch die politischen Beziehungen mit bewährten Partnern ab, die eine Schlüsselfunktion in der Region haben. So garantierten die Beziehungen zur Supermacht USA und zu den Regionalmächten Ägypten und die Türkei, dass die Sorge vor einer außenpolitischen Isolation Israels nicht so groß wurde, dass sie sich maßgeblich in die Politik gegenüber den Palästinesern einmischen könnte.

Spätestens seit dem Wochenende, seit der erzwungenen Ausreise des israelischen Botschafters aus Ägypten, dem Eindringen einer erbosten Menge ägyptischer Randalierer in ein Appartment, das zur Botschaft gehörte, dem Niederreißen einer Schutzmauer vor der israelischen Botschaft und gewaltsamer Ausschreitungen mit Todesopfern in nächster Nähe zur Botschaft in Kairo, die sie herbeiführten, ist deutlich geworden, dass sich wesentliches geändert hat:

Last week we lost Turkey and Egypt. Who knows what we'll lose next week.

Ari Shavit

Wut gegen Israel wurde schon auf dem Tahrir-Platz laut, als die Öffentlichkeit noch ganz davon in Bann gezogen war, ob es die Revoltierenden schaffen würden, Mubarak aus dem Amt zu treiben. Häufig wehten Palästinenserflaggen, die Slogans auf Transparenten waren eindeutig in ihrer Kritik und die Demonstrationen vor der israelischen Botschaft im Kairoer Stadtteil Giza führten letztlich zum Mauerbau vor dem Botschaftsgebäude, was von aufgebrachten Ägyptern wohl als Symbol für andere wenig gemochte Mauern verstanden wurde.

Als Katalysator für die Ausschreitungen in der Nacht vom Freitag auf Samstag kam hinzu, dass israelische Streitkräfte vor kurzem bei einem Schusswechsel an der Grenze in Sinai ägyptische Sicherheitsbeamte töteten. Dass der oberste Militärrat in Ägypten in dieser Sache die israelische Regierung nicht entschieden konfrontierte, empörte laut Medienberichten viele, ebenso wie die verhaltenen Entschuldigungen auf israelischer Seite. Teile der Demonstranten, die sich am Freitag am Tahrirplatz versammelt haben, zogen zur israelischen Botschaft, aber auch zu einer nahegelegenen Zentrale der ägyptischen Sicherheitskräfte "Giza Security directorate". Dort kam es zu den gewaltsamen Ausschreitungen mit den tödlichen Folgen.

Die Spannungen mit Ägypten, die Konfrontation mit einer anti-israelischen Stimmung und die bedrohlichen Entwicklungen an der südlichen Grenze, kommen zu einem Zeitpunkt, an dem das Verhältnis zur Türkei immer weiter mit Streitpunkten aufgeladen wird. Dass Erdogan, der heute Ägypten besuchen wird (Türkei: Streit mit Israel, weitere Annäherung an Ägypten), den Streit mit Israel, statt ihn herunterzuspielen, noch weiter aufgeladen hat, um Profilpunkte zu sammeln, ist ein Aspekt. Doch ist die Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Türkei und Israel zeitlich ziemlich genau bestimmbar: sie ist eine der Folgen der israelischen Militäroperation in Gaza 2008 (Mittagessen oder Krieg?) und gehört zur politischen Verantwortung Netanjahus.

Der hätte es noch in der Hand, die zunehmende Isolation Israels abzuwenden und seine politische Karriere aufzuwerten, meinen manche Beobachter: Indem er sich eindeutig für den palästinensischen Staat ausspricht. Doch liegt diese Hoffung wahrscheinlich ähnlich falsch, wie jene, die prophezeite, dass nur mit einem Mann wie ihm, vom rechten Spektrum Israels, ein Friedensprozess auf sicherer Grundlage überhaupt zu machen sei.