Das Geheimherz der Lügenfabrik
Immer neue Puzzlestücke bestätigen das Bild einer US-Administration, die den Krieg im Irak mit allen Mitteln suchte
Während die CIA unter Druck jetzt öffentlich Fehler eingesteht und verspricht, ihre Quellen genauer zu überprüfen, bevor die Informationen an die Analytiker weitergegeben wird - eine Erkenntnis, die für einen Geheimdienst eigentlich selbstverständlich sein müsste - zeigt sich an anderer Stelle, dass die Arbeit der CIA in Sachen Quellenkritik an Informationen über den Irak so schlecht gar nicht war. Nur: diese Kritik wurde absichtlich übergangen, weil sie die Manövervorbereitungen derjenigen störte, die sich durch nichts davon abbringen lassen wollten, den Regimewechsel in Bagdad zu vollziehen. Den Kriegstreibern in der US- Administration verlangte es nicht nach solidem Geheimdienstmaterial sondern nach Vorlagen für klangvolle Propaganda.
Es waren keine geheimdienstlichen Ermittlungsergebnisse - es war Propaganda. Sie pickten sich ein Stückchen aus der Geheimdienstinformation heraus, gestalteten es so, dass es sich aufregender anhörte, üblicherweise indem sie es aus dem Kontext herausnahmen, meist durch das Nebeneinanderstellen von Informationen, die gar nicht zueinander gehörten.
Karen Kwiatkowski
Richtig überrascht oder gar schockiert ist gegenwärtig wohl kaum mehr jemand über diese Enthüllungen von Frau Kwiatkowski, die als ehemalige Pentagon-Mitarbeiterin über Jahre hinweg genauestens beobachten konnte, wie in der ministerialen Abteilung für den Nahen Osten und Südasien (NESA) opportunes Geheimdienstmaterial fabriziert wurde, das die Gründe für einen militärischen Angriff auf den Irak liefern sollte.
Dass der Kriegszug gegen den Irak von neokonservativen Strategen schon weit vor dem 11.September projektiert war: nichts Neues (vgl. Bush plante Invasion in den Irak schon zu Beginn seiner Amtszeit und Irak-Krieg von langer Hand vorbereitet). Dass die Beweise dafür "gezimmert" wurden (vgl.Das Theater mit den Geheimdienstinformationen über irakische Massenvernichtungswaffen): nichts Neues. Aber, so das regierungskritische US-Magazin Mother Jones, bislang wurde die Geschichte, wie die Bush-Administration die irakische Bedrohung mit manipulierten Dokumenten und fragwürdigen Quellen hochstilisierte, noch nicht in vollem Umfang erzählt. Der kürzlich veröffentlichte Bericht, der dies jetzt nachholt, offenbart eine Politik im Zentrum des Pentagon, die gnadenlos auf ein großes Ziel ausgerichtet ist.
Was sich da auf fünfzehn mit Insider-Informationen gespickten Seiten aufblättert, ist das Skript eines lang durchdachten, stur und rücksichtslos durchgeführten Manövers, das dem amerikanischen Epos über die besessene Jagd auf einen weißen Wal in einigen Punkten sehr nahe kommt. Wie Kapitän Ahab holte sich Deputy Wolfowitz eine geheime Crew an Bord, auf die er sich mehr verließ als auf die übrige Mannschaft: eine geheime Zelle, die im Herzen des Pentagon operierte mit dem Auftrag, abseits der offiziellen Geheimdienstarbeit das nötige Material zu beschaffen, um einen Angriff auf den Irak zu rechtfertigen.
Mission "Factoids"
Schon einen Tag nach dem Amtseid von Bush 43, sollen sich Wolfowitz und Douglas C.Feith (vgl. Die Prätorianer-Garde des Imperiums) daran gemacht haben, personelle, ideologische und strategische Vorbereitungen für den Schlag gegen den Leviathan in Bagdad zu treffen. Das politische Programm lautete, dass die Nichteinnahme Bagdads 1991 ein großer Fehler war, den es zu korrigieren galt. Die Hauptrollen wurden innerhalb des neokonservativen Ensembles verteilt. Man kannte sich bestens, seit Jahren, vom Studium, von vielen Treffen in der Hochburg der neocon-Elite, dem American Enterprise Institute (AEI - vgl. Die Fürsten des IV.Weltkriegs).
So wurde David Wurmser, schon lange ein ausgewiesener Verfechter eines Militärschlages gegen Bagdad und ideologisch ein Mann der rechten Gesinnung (vgl. Der Club der rechten Schlaumeier), Chef der AEI-Abteilung für Middle East Studies, neben Wolfowitz und Feith zum Mitbegründer der geheimen namenlosen Geheimdienstzelle im Pentagon, die beweisen sollte, was gar nicht existierte: die Verbindungen Saddam Husseins zu den Schurken von Al-Qaida, ein theoretisches Konstrukt, das von den professionellen Geheimdienstlern als "lächerlich" abgetan wurde.
Der wichtigste Zweck dieser Zelle im Pentagon sei es, so Wolfowitz bei einer Pressekonferenz zu diesem Thema im Oktober 2002, "Factoids" zusammenzustellen. Die Wortneuschöpfung gibt auch schon das Erkenntnisziel der geheimdienstlichen "Enterprise"-Zelle vor: bislang unentdeckte Welten zwischen Fakten und Lügen. Die Kreativpapiere wurden dann später dazu genutzt, unerwünschte Ermittlungsergebnisse der Geheimdienste mit haarsträubenden Geschichten zu konterkarieren. Cheney und sein Stabschef Libby übten starken Druck auf die CIA aus und der Fürst der Finsternis unter den Neokonservativen, Richard Perle, machte auf den Fluren des American Enterprise Institutes keinen Hehl aus seiner Verachtung der CIA:
Ihre Analysen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Die CIA ist am Status quo orientiert. Die wollen keine Risiken eingehen.
Das "Office of Special Plans"
Als sich das politische Klima 2002 mehr und mehr zugunsten einer militärischen Aktion im Irak neigte, schufen Wolfowitz und Feith eine neue geheime Zelle, welche bei den Vorbereitungen zum Militärschlag entscheidend mithelfen sollte. Der Name, den man der Zelle im Pentagon, die der Abteilung für den Nahen Osten und Südasien (NESA) eingegliedert wurde, gab, verrät ein gewisses literarisches Geschick für atmosphärisch Finsteres: "Büro für besondere Pläne" (Office of Special Plans).
William Luti, Ressortchef der NESA, Lametta schwerer Ex-Navy-Käptn mit besten Verbindungen zum Vizepräsidenten Cheney, politisch sehr mit Wolfowitz und Feith befreundet, ein Neokonservativer aus dem Bilderbuch, demgegenüber sogar Oliver North als moderat gilt, bestellte Abram N.Shulsky, politischer Wegbegleiter von Perle, als Chef des "Büros", der dann gleich mal die NESA von übrig gebliebenen alten "Moderaten" säuberte.
Mit "brutaler Effizienz" soll das Team Luti und Shulski die NESA und das "Büro" in der folgenden Zeit Mitarbeiter und Material auf Linie gebracht haben. Man hatte direkten Kontakt ins Weiße Haus, zum Vizepräsidenten Cheney, und dubiose Quellen, die gute Geschichten für "Factoids" lieferten. Rekrutiert wurden diese Quellen u.a. von Achmed Dschalabi, dem Chef der irakischen Partei (INC), gegenwärtig Mitglied des irakischen Regierungsrates, langjähriger politischer Freund von Perle et al..
Dschalabis Informanten, finanziert mit amerikanischen Steuergeldern, lieferten die passenden Geschichten (vgl. Schlauer als die CIA), haarsträubende Geschichten, die als Beweise für die irakische Bedrohung herhalten mussten, und über das "Büro" und die NESA direkt den Weg in öffentliche Reden von Bush, Cheney und anderen fanden - und sich allesamt als heiße Luft herausstellten.
Die CIA wusste, was von diesen Informanten, die sich als Abtrünnige des Hussein-Regimes verkauften, zu halten war: "völlig unverlässlich" (Vincent Cannistraro, früherer Anti-Terrorchef der CIA). Wie sich später herausstellte lagen die Skeptiker der CIA völlig richtig. Nichts, absolut nichts an diesen Informationen war richtig. Alles Fake, auch die Großmutter aller Lügen: die Versuche des Irak im afrikanischen Niger Uran zu ergattern, was immerhin Eingang in die Rede zur Lage der Nation von Bush im Januar 2003 fand.
Entweder brach das System zusammen oder es gab einen selektiven Gebrauch von Teilen der Information, um die Entscheidung für den Krieg, die bereits getroffen war, zu rechtfertigen
So das Fazit von Joseph Wilson, der von der CIA nach Niger geschickt wurde und dessen Ermittlungen die Fälschung der Dokumente an den Tag brachte. Im amerikanischen Senat macht sich derzeit der Abgeordnete Jay Rockefeller dafür stark, dass die Rolle des "Büros für besondere Pläne" unter die Lupe genommen wird; aber, wie es heißt, gibt es eine starke Fraktion, die dagegen ist: die Mehrheit der Republikaner.