Das Theater mit den Geheimdienstinformationen über irakische Massenvernichtungswaffen
Wie die "Beweise" für den Kriegsgang gegen den Irak gezimmert wurden, wird an der letzten Blamage über die Behauptung deutlich, der Irak könne in 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einsetzen
Die britische Regierung hatte, was ihre Beweisführung für die Existenz von Massenvernichtungswaffen als Grund für den Irak-Krieg anging, nicht gerade Ruhmestaten vollbracht, sondern schon eher Peinlichkeiten. War die Bush-Regierung mit der Niger-Connection baden gegangen (Yellowcakegate), so ließ man in Großbritannien schon mal ein Waffen-Dossier weitgehend mit abgeschriebenen Informationen aus dem Internet anfüllen, die sich noch dazu auf die Zeit vor dem ersten Krieg gegen den Irak bezogen (Geheime Cut-and-Paste-Informationen). Um die Gefährlichkeit von Saddam Hussein zu erweisen, veröffentlichte Tony Blair im Sommer 2002 ein Dossier, in dem neben anderen unbezweifelbaren Beweisen auch behauptet wurde, dass der Irak chemische und biologische Massenvernichtungswaffen innerhalb von 45 Minuten einsatzfähig machen könnte (Beweise jenseits allen Zweifels ...). Jetzt gibt es neue Informationen zu dieser schon damals nicht glaubwürdigen "Geheimdienstinformation", die gleichwohl Furore machte.
Das von "spin doctors" und (Medien)Beratern gesteuerte Theater, das die britische und die amerikanische Regierung bereits vor dem Irak-Krieg zu dessen Rechtfertigung inszeniert hatte (Endlich gefunden: Die Wahrheitsvernichtungswaffen im hochmobilen Lügenlabor), geht noch immer weiter - wohl in der Hoffnung, dass die Menschen müde werden, die geschaffenen Tatsachen akzeptieren und an der Frage nach Wahrheit, Lüge und Interessen gar nicht mehr interessiert sind. Obgleich mittlerweile auch dem Letzten klar sein dürfte, dass der Irak seit einem Jahrzehnt keine Massenvernichtungswaffen mehr hatte und wohl auch nicht irgendwelche nennenswerten "Programme" dieser Art, wird von einigen Regierungsmitgliedern immer noch unterstellt, dass man womöglich schon noch etwas finden könnte.
Vom allmählichen Verschwinden der Massenvernichtungswaffen
Unverdrossen und zynisch bläst Dick Cheney weiter in dieses Horn, auch wenn das Schwergewicht zur Rechtfertigung des Irak-Kriegs nun in der von Bush in seiner State-of-the-Union-Rede ausgegebenen "Vorwärtsstrategie der Freiheit" beruht (US-Vizepräsident Cheney, das unbekannte Wesen). Aber auch der britische Außenminister Straw zeigt sich kurz vor der Bekanntgabe der Ergebnisse des Hutton-Berichts persönlich "enttäuscht", dass "die Waffeninspekteure bislang keine weiteren Beweise für das gefunden haben, was die internationale Gemeinschaft geglaubt hat", was eigentlich heißen sollte, was man der internationalen Gemeinschaft aufreden wollte. Der Irak - dessen Armee sich bekanntlich beim Angriff als Phantom erwies und dem Vorsturm nichts entgegen setzte - sei zwar keine unmittelbare Bedrohung für Großbritannien, wohl aber für die ganze Welt gewesen. Und auch Tony Blair legte nach und scheute sich nicht zu erklären, er sei "absolut sicher", dass die Geheimdienstinformationen über die Massenvernichtungswaffen authentisch waren.
Inzwischen hat US-Außenminister Powell auch wieder Position bezogen und bleibt dabei, von "Programmen" zu sprechen, die offenbar aber auch nicht mehr vorhanden waren:
Our intelligence assessment last year is an assessment that was also held by the previous administration and by a number of intelligence agencies throughout the world, was that Saddam Hussein had the intention of having weapons of mass destruction, had weapons of mass destruction programs, had weapons which he had used in the past, and we believe he had every possibility of having such weapons in the present. And it was a danger that the world should not be facing after 12 years of UN resolutions telling him to get rid of such weapons.
Und Scott McClellan, der Sprecher des Weißen Hauses, hat in einer weiteren Drehung der Spirale verkündet, man wolle den Stand der Geheimdienstinformationen vor dem Krieg noch einmal anhand der Ergebnisse der Waffensuche überprüfen.
Dabei dürfte auch nichts anderes herauskommen (aber hören wird man dies nicht von offizieller Seite), als dass beliebige "Informationen", die der Sache dienlich waren, also eine Begründung für den aus anderen Gründen geplanten Krieg ergeben konnten, gesammelt und zu einem Bedrohungsszenario aufgebläht wurden. Eine Schuld dürften die Geheimdienste vor allem deswegen tragen, dass sie einer solchen politisch gewünschten Nachrichtenbeschaffung oder Nachrichtenkonstruktion zu Diensten waren. Allerdings muss nachgerade beschämend sein, wie wenig die Geheimdienste überhaupt wussten, was im Irak vor sich ging (nicht viel besser sieht es offensichtlich auch im Fall von Nordkorea, Iran oder Pakistan aus).
Wie die Fantasie eines Informanten ungefiltert den Weg in die Rede des britischen Regierungschefs fand
Wie solche Konstruktionen zustande kommen, stellte sich nun im Fall der im ersten britischen Waffendossier und von Blair wiederholten Behauptung heraus, dass der Irak innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einsetzen könne. Die irakische Exilgruppe Iraqi National Accord, die ihren Sitz in London hat und deren Vertreter Iyad Allawi mittlerweile im irakischen Regierungsrat sitzt, hatte diese Information geliefert, erklärte jetzt aber, dass sie Teil von vielen Informationen gewesen sei, die man dem britischen Geheimdienst MI6 gegeben habe. Sie habe nur von einer Person gestammt und sei nicht überprüft worden. Nick Theros, Mitarbeiter von Allawi in Washington, sagte:
Wir haben sie in gutem Glauben weiter gegeben. Es lag an den Geheimdiensten, sie zu verifizieren.
Auch andere von manchen unglaublichen Geschichten über die Existenz angeblicher Massenvernichtungswaffen, beispielsweise die mobilen Biowaffenlabors, stammten von solchen Zeugenaussagen, die man wohl sicherheitshalber lieber gar nicht überprüft hatte. Gegen Geld erzählen Informanten vieles, vor allem, wenn es gebraucht wird. Aus welchen Gründen INA nun Interesse an Richtigstellung hat, muss geraten werden. Jedenfalls sagt Theros, dass die Aussage ein irakischer Offizier gemacht habe, der niemals die angeblichen Kisten mit chemischen Waffen gesehen hatte, mit denen ein Angriff in 45 Minuten erfolgen könnte. Der Informant würde sich nun verstecken, damals habe er eine Kampfeinheit befehligt. Nach ihm habe Saddam Hussein Luftwaffenkommandeuren Anfang 2002 gesagt, dass man gegen Invasoren alle Waffen, bis hin zu Atomwaffen, einsetzen werde. Bleibt also noch, dass Saddam Hussein selbst an die nichtvorhandenen Waffen glaubte - und die britischen und amerikanischen Geheimdienste und Regierung mit ihm diesen Glauben teilten.