"Das Gehirn ist ein Objekt endlicher Größe, man kann alles darüber rauskriegen"
Markus Diesmann über die Simulation des Gehirns, das Human Brain Project, die Zukunft der Supercomputer und Missverständnisse zwischen Journalisten und Wissenschaftlern
Das Forschungszentrum Jülich ist eine kleine Welt für sich. Hier gibt es eine eigene Feuerwehr und eine Werkwacht in weißen Pick-Ups, was ein wenig an amerikanische Filme erinnert. Eine klosterhafte Ruhe liegt zwischen den Gebäudeblöcken, Vögel zwitschern, ein See plätschert, und man kann man sich gut vorstellen, dass hier Dinge ausgebrütet werden, die das Fassungsvermögen der meisten Menschen übersteigen. Zum Beispiel die vollständige und deckungsgleiche Simulation eines menschlichen Gehirns.
Genau das soll im Rahmen eines der größten europäischen Forschungsprojekte, des Human Brain Project, geschehen. Die Hardware dafür stellt das Jülicher Zentrum für Supercomputing, das bereits jetzt Rechner betreibt, die zu den schnellsten der Welt gehören. Maßgeblich an der Entwicklung der Software für die Simulation beteiligt ist Prof. Markus Diesmann, Leiter des vor einem Jahr gegründeten Bereichs Computational and Systems Neuroscience (INM-6) des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin. Er sammelt die Daten aus der Neurowissenschaft, führt sie zusammen und entwickelt daraus Simulationen des Gehirns. Er nennt das, Netzwerke von Neuronen nachzubauen.
Wie groß sind die Neuronen-Netzwerke, die Sie bisher nachgebaut haben?
Markus Diesmann: Derzeit haben wir 100.000 Neuronen verschaltet, was einem Kubikmillimeter Gehirn entspricht. Das klingt zunächst nicht viel. Aber jedes Neuron hat über rund 10.000 Synapsen Kontakt zu anderen Neuronen, somit enthält ein Kubikmillimeter eine Milliarde Verbindungen.
Das ist schwer vorstellbar. Wie ist das räumlich möglich?
Markus Diesmann: Das ist ein großes Geheimnis. Schaut man anatomisch in einen Kubikmillimeter rein, sieht man ein dichtes Gewirr von Kabeln. Allein die Gesamtlänge der Ausgangsleitungen der Nervenzellen beträgt etwa drei Kilometer. Vergleicht man das mit der heutigen Technik der Mikroprozessoren, sind wir noch weit davon entfernt. Es gibt noch keine Technik, die diese Menge Kabel in den Raum bringt, und das ist eine der wesentlichen technischen Barrieren, die wir heute haben. Das Forschungszentrum Jülich arbeitet derzeit in Exascale-Projekten daran, die bisher mögliche Leistung im einstelligen Petaflop-Bereich auf ein Exaflop hochzutreiben. Dazu erforschen wir auch, was die Gehirn- von der Computerarchitektur unterscheidet, und wie wir da hinkommen.
Die Leistung von Supercomputern wird in Flops beschrieben - der Anzahl der von der gesamten Rechenarchitektur je Sekunde prozessierten Operationen (Hertz bezieht sich dagegen nur auf den Prozessorkern). Weltweit schnellster Supercomputer ist laut der Top-500-Liste derzeit der US-amerikanische Sequoia mit etwa 16 Billionen Flops (16 Petaflop). JUQUEEN, zweitschnellstes deutsches System aus Jülich, erreicht ab Juli etwa 1,4 Petaflop.
Bisher hat sich das Mooresche Gesetz bestätigt: Die Rechenleistung steigt alle zehn Jahre um den Faktor tausend. Darauf baut das Ziel des Exascale-Projektes, das bis 2019 einen Rechner bauen will, der eine Trillion Operationen je Sekunde erreicht.
Ist das Hochtreiben der Rechenleistung Ihr maßgebliches Ziel?
Markus Diesmann: Nein. Ich bin Naturwissenschaftler, ich möchte verstehen, wie das Gehirn funktioniert. Das ist erstmal zweckfrei. Allerdings kommen die meisten Fördergelder der EU aus der Informationstechnologie-Förderung. Man will die nächste Generation der ICT (Information and Communications Technology) entwickeln, und das Gehirn als die effizienteste Informationsverarbeitungs-Maschine der Erde ist dafür das Vorbild.
Kann man das überhaupt vergleichen, Gehirn und Computer? Es heißt ja, das Gehirn sei der schnellste Rechner, aber bei mathematischen Gleichungen hat der Computer das Gehirn längst überholt.
Markus Diesmann: Es kommt auf die Art der Aufgabe an. Bei Aufgaben, für die das Gehirn optimiert wurde, also in einer natürlichen Umgebung zu überleben und schnell das Wesentliche in Bildern zu erfassen, ist es Computern nach wie vor weit überlegen. Aber abgesehen von der Zeit, die zur Lösung einer Aufgabe benötigt wird, kann man das zahlenmäßig kaum vergleichen. Da wir nicht verstehen wie das Gehirn funktioniert wissen wir nicht genau welche Menge des neuronalen Gewebes für eine bestimmte Aufgabe notwendig war beziehungsweise eingesetzt wurde.
Mithilfe der Aktionspotenziale rast die Information durch das Netzwerk
Spielt bei Ihren Forschungen das Bewusstsein eine Rolle?
Markus Diesmann: Im Moment nicht. Wir haben eine Struktur des Gehirns aufgebaut und stellen Neuronen und Synapsen durch Gleichungen dar. Was ein Neuron macht, ist: es hält eine elektrische Spannung aufrecht zwischen Innen und Außen, und man kann messen, wie sich die Spannung in der Zeit verhält. Das haben wir für einen Kubikmillimeter simuliert.
Und was ist dann passiert?
Markus Diesmann: Die Spannung der Nervenzellen zeigt große Schwankungen. Ab und zu treten ganz scharfe Spannungsspitzen auf, die Aktionspotenziale. Und nur dann kommt es auch in den nachgeschalteten Neuronen zu einer kleinen Änderung der Spannung. Mit Hilfe der Aktionspotentiale rast die Information durch das Netzwerk. Wir haben gemessen, wie viele Aktionspotenziale, also Signale, je Sekunde auftreten. Das war im Durchschnitt eines je Nervenzelle und Sekunde. Dabei haben wir festgestellt, dass die hemmenden, inhibitorischen, Neuronen eine viel höhere Feuerrate als die erregenden, exzitatorischen, Nervenzellen aufwiesen.
Haben Sie das von vorneherein einprogrammiert?
Markus Diesmann: Nein, sonst wäre es nicht spannend. Wir haben die beiden Neuronentypen durch exakt identische Gleichungen beschrieben. Am Ende kam heraus, dass dennoch, wie in den experimentellen Daten, die hemmenden Nervenzellen eine höhere Feuerrate aufweisen. Das bedeutet, dass die Struktur des Netzwerks diesen Effekt hervorbringt und wir unsder Natur wieder ein Stück genähert haben. Zuvor hatten wir nur die Tatsache der verschiedenen Feuerraten und man glaubte, die Neuronentypen müssten dazu verschiedene Eigenschaften haben.
Wie viel Rechenkraft haben Sie dafür gebraucht, für diesen Millimeter?
Markus Diesmann: Das geht heutzutage auf High-Performance-Clustern, mit ungefähr 100 Prozessoren, unser Gerät hier im Labor hat schon 864.
Welche Fläche ist das Ziel Ihrer Forschung?
Wir müssen sehr viel größere Netzwerke anschauen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen hat jede einzelne Nervenzelle nur 50 Prozent ihrer Synapsen mit den lokalen Partnern. Der Rest kommt von außen, von weiter entfernten Partnern. In dem 1-Kubikmillimeter-Netzwerk beschreiben wir im Prinzip gar nichts, wir mussten 50 Prozent durch Gleichstrom oder zufällige Aktivität ersetzen. Würden wir die weglassen, wäre das Netzwerk tot und inaktiv.
Es stellte sich ein Zustand ein, in dem die Neuronen relativ unabhängig voneinander feuern
Aber es hat Aktivität gezeigt?
Markus Diesmann: Ja, wir haben die 50 Prozent durch einen Gleichstrom ersetzt, den wir auf den mittleren Strom eingestellt haben, den die Synapsen zusammen liefern würden.
Und ist dann so eine Art Hohlinformation, eine Informationsattrappe durchgeflossen?
Markus Diesmann: Das war, wie man in der Physik sagt, eine Art Grundzustand, ein Zustand, in dem das System nichts tut, sondern auf ein Signal, einen Eingang wartet, so, als schaute man auf einen schwarzen Monitor.
Und dennoch haben die Neuronen Aktivitätspotenzial gezeigt?
Markus Diesmann: Es stellt sich ein Zustand ein, in dem die Neuronen relativ unabhängig voneinander feuern. Aber sie sind aktiv und man entdeckt eine große Fluktuation. Das scheint ein Mechanismus zu sein, um das System in Bereitschaft zu halten. Gibt es dann einen Eingang, reagiert das Gehirn blitzschnell. Das gesamte Netzwerk reagiert schneller als ein einzelnes Neuron. Aber wir reden ja nur von dem einen Kubikillimeter. Wenn man einen Kubikmillimeter Gehirn rausschneidet, muss man sich nicht wundern, wenn er keine großartige Funktion hat, die wird erst durch über das gesamte Gehirn verteilte Schaltkreise hervorgebracht. Das ist der zweite Grund warum wir die Modelle ausweiten müssen.
Was haben Sie für die nächsten Jahre für ein Ziel? Was wollen Sie simulieren?
Markus Diesmann: Wir wollen ein Modell von den 32 visuellen Arealen beim Makaken simulieren, das ist eine Affenart, über die sehr viele Daten vorliegen. Und dann wollen wir sehen, wie sich diese Erkenntnisse nutzen lassen, um sich dem menschlichen Gehirn zu nähern.
Wie groß sind die visuellen Areale der Makaken?
Markus Diesmann: Man braucht wahrscheinlich 10 hoch 8 Nervenzellen, um das vernünftig hinzukrigen. Das ist um den Faktor tausend größer als der Kubikmillimeter. Mit dem schnellsten Supercomputer in Jülich ist das machbar. In ersten Tests haben wir bereits die Neuronen zufällig verbunden. Was jetzt ansteht ist, die Simulationstechnik zu entwickeln, um mit den Supercomputern routinemäßig neurowissenschaftliche Fragen stellen und beantworten zu können.
Ich denke, wenn wir das Gehirn wirklich verstehen wollen, geht die Zeit der großen Entdeckungen durch einzelne Forscher zu Ende
Wenn die aktuell schnellsten Supercomputer 10 hoch 8 Nervenzellen packen - wie weit ist das noch vom menschlichen Gehirn entfernt?
Markus Diesmann: Das hat 10 hoch 11, also nochmals drei Größenordnungen. Wenn es in Jülich gelingt, bis 2018 einen Exaflop-Computer zu bauen, wird das möglich sein. Aber man muss vorsichtig sein, erfahrungsgemäß tauchen bei der Simulationssoftware neue technische Hürden auf, wenn wir von einer Größenordnung zur nächsten gehen. Mit dieser Problematik beschäftigt sich ein großer Teil unserer Forschung.
Die Simulation des menschlichen Gehirns wird von der EU mit dem Human Brain Project gefördert. An diesem mehrt sich derzeit ja auch die Kritik ...
Markus Diesmann: Zu der Kritik kann ich mich nur teilweise äußern, weil vieles nicht wissenschaftlich motiviert ist. Fest steht, dass es dabei um eine große Menge Geld geht, und wenn ein Bereich die Fördermittel bekommt, bekommt sie ein anderer nicht, daher wird darum naturgemäß gestritten. Im Interesse der Gesellschaft sollten aber letzten Endes die inhaltlichen Kriterien ausschlaggebend sein sowie der Impuls, den man der Forschung gibt. Beim Human Brain Project geht es um einen Umbruch in der Neurowissenschaft, der über die zu erwartenden Ergebnisse weit hinausgeht. Würde es gelingen, die vielen beteiligten Forscher zusammenzuführen, würde das unser Feld fundamental ändern.
Die Hochenergiephysik zum Beispiel hat das längst gelernt. Die Teilchenbeschleuniger im CERN entstehen in massiver Zusammenarbeit. Die Wissenschaftler können dort Dinge erreichen, die für den Einzelnen unmöglich sind einfach weil keiner alleine so eine Maschine bauen kann. Die Neurowissenschaftlerforschen dagegen noch eher allein, da man als einzelner in der Vergangenheit große Entdeckungen machen konnte. Aufgrund der vielen verschiedenen Komponenten des Gehirns, die jeweils eigene Experten erfordern, und der vorhin angesprochenen Verteiltheit der Hirnfunktionen, denke ich aber, dass diese Zeit zu Ende geht, wenn man das Gehirn wirklich verstehen will.
Geht es dabei auch um das Zusammenfügen der Ergebnisse, also um eine Art Wikipedia der Neurowissenschaft?
Markus Diesmann: Ja, genau. Dabei müssen wir auch lernen, zusammenzuarbeiten und etwa einen neuen Kommunikationsstil entwickeln. Das ist die Idee, und das ist notwendig, wenn man das Gehirn verstehen will. Darin liegt für mich ein sehr großer Reiz an diesem spannenden Projekt.
Der andere Reiz … wenn man es schafft, ein komplettes Gehirn zu simulieren, was passiert dann?
Markus Diesmann: Ja, dann … aber das ist nicht das Ziel des Human Brain Projects. Ziel ist es, die Infrastruktur dafür aufzubauen. Das bedeutet nicht, dass man dann in zehn Jahren das Gehirn verstanden haben wird. Das ist eine der Ursachen, warum es gerade eine hitzige Debatte gibt, teilweise wurde es von Journalisten falsch kommuniziert: Wissenschaftler bauen ein Gehirn nach und dann versteht man, wie Bewusstsein funktioniert. Das wird so einfach nicht sein.
Ich sehe absolut keinen Grund, weshalb sich ein Gehirn, das man nachbildet und simuliert, nicht exakt wie ein biologisches Gehirn verhalten sollte
Meinen Sie damit, dass man das Gehirn bis dahin nicht simuliert haben wird oder dass man es trotz Simulation noch nicht verstanden haben wird?
Markus Diesmann: Das Zweite. Ich bin sicher, dass man am Ende der zehn Jahre ein menschliches Gehirn in allen Neuronen und Synapsen simulieren kann, aber damit die interessanten Vorgänge zu spezifizieren, ist eine andere Sache. Ich kann die Neuronen ja ganz zufällig miteinander verschalten, dann habe ich ein Netzwerk simuliert von der Größe eines Gehirns, das dieselbe Rechenleistung erfordert, aber noch lange nicht einem funktionierenden Gehirn entspricht.
Wäre es dann das Gehirn eines Säuglings?
Markus Diesmann: Es wäre gar nichts. Auch das Gehirn eines Säuglings hat eine ganz spezifische Struktur. Das wäre eher wie ein Rohling eines Gehirns. Man wäre mit der Simulation in der Situation, dass man jede neue Erkenntnis über die Verschaltung des Gehirns und über die Dynamik in diesem Modell umsetzen könne.
Würde das Gehirn selbstständig denken, hätte es ein Bewusstsein?
Markus Diesmann: Man muss jetzt unterscheiden. Hinter dem Human Brain Project steht die Idee, diese Forschungsinfrastruktur zu bauen. Wenn Sie mich jetzt generell fragen: Wird sich ein Gehirn, das man nachbildet und auf einem herkömmlichen Rechner simuliert, genauso verhalten wie ein biologisches Gehirn? Ich sehe absolut keinen Grund, warum nicht.
Aber es hat doch keine menschlichen Erfahrungen...
Markus Diesmann: Ich müsste es eben einer solchen Umgebung aussetzen, also denselben Inputs, die ein menschliches Gehirn erhält.
Kann man die Inputs eines menschlichen Gehirns in Bits und Bytes übersetzen?
Markus Diesmann: Das muss man nicht. Ich gehe ja davon aus, dass ich jede Nervenzelle, jede Synapse und jeden Sensor mathematisch nachgebaut habe. Auf dieser Ebene gibt es keine Bits und Bytes mehr, sondern nur noch ein neuronales Substrat, das durch Gleichungen repräsentiert ist. In der Naturwissenschaft nennen wir das Beschreibungsebenen, aber das ist ein eigenes Thema.
Wäre ein biologisches Gehirn nicht undenkbar ohne die Erfahrung des Lebens? Dann müssten Sie das ganze Leben simulieren …
Markus Diesmann: Ja, das könnte man zum Beispiel machen. Aber die Frage ist doch, ob es ein fundamentaler Unterschied ist. Alles Weitere sind praktische Fragen …
Die Ausrede, wir verstehen das Gehirn nicht, weil unsere Rechner zu langsam sind, gilt dann nicht mehr
Ok. Dann hätten wir also ein Computerprogramm mit Bewusstsein?
Markus Diesmann: Egal wie man es nennt - es hätte all das, was ein biologisches Gehirn hat. Es würde sich genauso verhalten. Vielleicht ist es leichter vorstellbar, wenn ich ein anderes Beispiel wähle. Man nimmt Ihr Gehirn, wie es lebt, und tauscht nacheinander jede Nervenzelle durch einen elektrischen Schaltkreis aus. Ganz langsam, immer einen nach dem anderen. Nach einer Weile ist Ihr Gehirn durch ein technisches ersetzt, und Sie würden immer noch ein Interview mit mir führen können. Wenn nicht, hätte man was übersehen …
Stößt man da nicht auf ethische Fragen oder Absurditäten? Mir vorzustellen, auf einem Bildschirm etwas ohne Körper aber mit einem menschlichen Gefühlsleben zu erschaffen, erscheint mir heikel …
Markus Diesmann: Ob das überhaupt geht, ein Gehirn auf dem Laptop abzubilden, ohne Sensorik, ist noch lange nicht geklärt. Es könnte sein, dass sich die Aktivität auseinanderentwickelt, dass also die Verbindungen auseinanderfallen. Aber natürlich gibt es ethische Fragen, die sich mit dem technologischen Fortschritt mit entwickeln werden. Das ist das Spannende für mich: Wir kommen mit der Exascale-Perspektive an einen Punkt, an dem wir jedes Neuron, jede Synapse und jeden Sensor am Computer darstellen können. Das heißt, die Ausrede, wir verstehen das Gehirn nicht, weil unsere Computer zu langsam sind, gilt dann nicht mehr. Das Gehirn ist ein Objekt endlicher Größe, man kann alles darüber rauskriegen, insofern ist es ein Unterschied zu anderen Wissenschaftsgebieten, wo man etwa einen Teilchenbeschleuniger nicht so groß bauen kann, wie man es gerne möchte …
Der Rechner, auf dem man das Gehirn simuliert, wird dem Gehirn schon immer ähnlicher, und das ist kein Zufall
Man erhofft ja auch vom Verständnis der Architektur des Gehirns, bessere Superrechner entwickeln zu können ...
Markus Diesmann: Das ist ein ganz wichtiger Unterschied. So ein Supercomputer verbraucht viel mehr Energie als ein Gehirn, bei ihnen rechnen wir in Megawatt, während es beim Gehirn ein paar Watt sind. Durch das menschliche Gehirn wollen wir auch herausbekommen, wie man bessere, effizientere Computer baut. Wir sehen etwa, dass wir die Prozessoren, die gegenwärtig möglich sind, gar nicht ausnutzen können, von der Peak-Performance nutzen wir nur ein Hundertstel oder Tausendstel. Es fehlt die Kommunikation zwischen den Prozessoren. Es wäre besser, wir würden die Prozessoren langsamer machen und mehr Rechenleistung in die Kommunikation stecken. Eventuell kommen wir zu Maschinen, die viel langsamer sind, aber viel massiver parallel, da sieht man die Konvergenz. Der Rechner, auf dem man das Gehirn simuliert, wird dem Gehirn schon immer ähnlicher, und das ist kein Zufall.
Welchen Nutzen hätte der Erfolg der Simulation eines Gehirns?
Es gibt zwei Bereiche. Der eine ist technologisch: schnellere und energiesparsamere Computer. Das ist für die EU in den letzten Jahren ganz klar der Grund, die Neurowissenschaften über den ICT-Bereich zu fördern. Man kann sagen, dass Europa hier technologisch führend ist. Und der andere Bereich ist die Medizin. Man möchte verstehen, wie Krankheiten des Gehirns entstehen. Was ist deren Ursache, wie kann man sie heilen? Es scheint, dass wir bei einem so komplexen Organ wie dem Gehirn mit dem blinden Ausprobieren von Wirkstoffen nicht mehr weiterkommen.
Gruselt es Sie manchmal? Wenn Sie sich vorstellen, ein menschliches Gehirn zu simulieren und es zum Beispiel mit einer psychischen Krankheit zu füllen?
Markus Diesmann: Ich bin eher fasziniert. Wir führen große, von der EU geförderte Verbundprojekte durch, wie zurzeit das BrainScaleS-Projekt oder das geplante Human Brain Project, wir haben einen Auftrag von der Gesellschaft, und es gibt viele Mechanismen der Europäischen Gemeinschaft, die dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit über die Fortschritte informiert werden und ein philosophisch-ethischer Diskurs die Projekte begleitet - der ja bereits läuft. Daher bin ich hinsichtlich der Risiken ganz beruhigt. Das sieht anders aus, wenn solche Forschung von privaten Firmen durchgeführt wird. Den ständigen Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, etwa wenn es um Förderprogramme oder Begutachtungen geht, finde ich sehr wichtig und hilfreich.