Das Grau des Schimmels
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Der BND als Opfer und Täter in der politischen Arena: "Das Ende der Wahrheit" von Philipp Leinemann ist ein brisanter, realistischer Politthriller aus Deutschland
Findet man die Wahrheit, indem man die Lügen miteinander vergleicht?
Ein zweifelnder Agent in: "Das Ende der Wahrheit"
Wir werden die Gewalt nicht stoppen.
Der BND-Präsident in: "Das Ende der Wahrheit"
Der Thriller ist ein Genre aus Deutschland. Fritz Lang hat wie kein Zweiter vor Hitchcock von Jägern und Gejagten erzählt, und Hitchcock hat in den Studios der Ufa, bei Murnau und Pabst, die Neue Sachlichkeit und Psychologie gelernt, die Serienmörder und fatalen Frauen und angsterfüllt schwachen Spießbürgermänner kennengelernt, die seine Filme bis heute einmalig machen.
Der Realist Lang erzählt von den Realisten, vom Ende des Idealismus, das auch das Ende der Wahrheit ist. Der Film Noir zehrt vom Expressionismus, die Filme der verschmähten "Papa-Kino" erzählen von Männern, also politisch inkorrekten Menschen, toxischen Menschen, die deshalb Helden werden, weil sie sich Konventionen nur am Oberflächlichen beugen.
Das Ende der Wahrheit (12 Bilder)
Das deutsche Kino hatte nicht weniger Mythen, also eigene Zeichensysteme, als das amerikanische, aber das deutsche Fernsehen und die deutsche Filmförderung, diese Hochämter künstlerischer Impotenz und ästhetischer Ignoranz, haben jene Zeichensysteme mutwillig zerstört. Seit Jahrzehnten hat das deutsche Kino diese Tradition vergessen, mutwillig in sich abgetötet und komplett verdrängt.
Das Verdrängte kommt zurück in der Perversion der Komödien, die nicht lustig sind, der Männer, die keine Männer sind, sondern Teddys und Jungs, der Heldencharaktere Til Schweigers, die keine Helden sind, der kitschigen Schinken, die nicht nach Fleisch schmecken.
Wer mag schon Moralpredigerinnen?
Jetzt endlich, endlich einmal ein deutscher Film, für dessen Darstellung von Politik und Polizeiarbeit man sich nicht gleich schämen muss.
Es beginnt mit einem Blutbad: Schwer bewaffnete Gangster stürmen ein arabisches Café in München und erschießen alle Gäste. Es wirkt wie ein Terrorakt oder wie eine Mafia-Hinrichtung. Die Toten sind sämtlich "Orientalen", nur eine Deutsche ist darunter: Die Journalistin Aurice Köhler, die sich im Café diskret mit einem Informanten treffen wollte. Ein Kollateralschaden? Keineswegs - zumindest das ist bald klar. Denn Köhler war an einer großen Sache dran. So groß, dass man sie wegmachen musste. Wer mag schon Moralprediger? Erst recht Predigerinnen?
Der verhängnisvolle Anschlag wird zum Augenblick einer Katharsis. Die von Ronald Zehrfeld gespielte Hauptfigur des Films ist Martin Behrens, der Zentralasien-Experte des Bundesnachrichtendiensts BND. Anfangs überzeugt vom Antiterrorkampf wachsen in ihm zunehmend Zweifel an der Arbeit des deutschen Geheimdienstes und an der Integrität seiner Vorgesetzten. Er hatte eine Liason mit Köhler, wollte von ihren Unterstellungen aber zunächst nichts hören. Erst nach dem Tod der Geliebten wächst in ihm der Verdacht.
Unterstützt wird dies noch dadurch, dass Behrens, als nach dem Tod Köhlers seine Affaire mit einer Journalistin im Amt bekannt wird, wegen grober Verletzung der Sicherheitsstandards beruflich kaltgestellt wird. Was man von Außen betrachtet recht gut verstehen kann. Denn eigentlich spricht alles gegen diese Beziehung, wenn man nicht Mann und Frau per se für unterleibsgesteuert hält.
Schon vorher, bei einer eher klischeehaft inszenierten Liebesszene in einem Haus am See, fragte man sich schnell: Ist das Liebe, Leidenschaft oder doch eher nur eine mit Sex garnierte Arbeitsbeziehung, bei der sie Informationen aus ihm saugt und er sie mit Fake News anfüllt, um der jeweils eignen Seite noch besser zu dienen? Schon James Bond scheute im Auftrag ihrer Majestät vor keinem Frauenrock zurück.
In der Folge entfaltet sich jedenfalls ein Strudel aus Intrigen, aus Machtmissbrauch und Korruption.
Zugleich ist dies die erste größere Schwäche des Films: Denn die persönliche Motivation des Todes der Geliebten stammt direkt aus jenen amerikanischen Drehbuchhandbüchern der 1980er Jahre, die an so etwas wie Selbstlosigkeit nicht glauben wollten und von Figuren verlangten, dass diese, um "glaubhaft" als Wölfe in der Wolfsgesellschaft zu agieren, unbedingt von Eigennutz, persönlicher Betroffenheit und von vermeintlich "starken Gefühlen" wie Liebe, Hass, Furcht und Ehrgefühl angetrieben werden sollten.
Dass einer etwas tut, weil er einfach moralisch empört ist, weil er es für politisch falsch und rechtlich untragbar hält, kommt in diesen neoliberalen Interessens-Baukästen und den Köpfen ihrer Konstrukteure nicht vor.
Stupide Sitzungen, Arbeitsroutinen, Informationsverschleierung
Trotzdem: "Das Ende der Wahrheit" von Philipp Leinemann ist ein brisanter Politthriller. An der Oberfläche handelt er vom BND und ist nicht nur wegen der Affaire im letzten Sommer um den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen überraschend aktuell. Da rückte die Frage nach den internationalen Verstrickungen der Geheimdienste in den Fokus der öffentlichen Debatte.
Regisseur Leinemann ist eine der interessantesten Genrefilmregisseure Deutschlands. Sein Polizeifilm "Wir waren Könige" wurde 2014 viel gelobt. Schon hier warf Leinemann einen Blick hinter die hochkomplexe Organisation und Arbeitsweise staatlicher Institutionen.
Jetzt hat er sich die deutschen Geheimdienste und die deutsche Waffenlobby vorgenommen: Leinemann, der auch das Drehbuch für den Film geschrieben hat, besitzt viel Sinn für das Innenleben von komplexen Organisationen und hat Lust am Portraitieren jener stupiden Sitzungen und Arbeitsroutinen, die einen trockenen Großteil auch der Geheimdienstarbeit ausmachen. Und am Darstellen einer staatlichen "PR-Arbeit", die eigentlich vor allem der Informationsverschleierung dient.