Das Grau des Schimmels
Seite 2: Fachidiot und Schreibtischhengst
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Nicht zuletzt geht es aber in diesem Geheimdienstarbeitsalltag um vordergründig Banaleres, Persönlicheres: Um Karrieren, Hierarchien und um innere Rivalitäten. So bekommt unser zunehmend frustrierter, zweifelnder Held Behrens nämlich eines Tages einen neuen Chef vor die Nase gesetzt, in dem er, der große Fachmann, nur einen bürokratischen Schreibtischmenschen sehen kann: "Sie können mir nicht mal den Unterschied zwischen der Hamas und der PLO erklären."
Die Stimmung ist gereizt. Stellen würden abgebaut, die Gutachten und Lagebeurteilungen der übrig gebliebenen Fachleute würden im Reißwolf landen, die Politik korrumpiere ihre Arbeit und anstatt Nachrichten zu analysieren und Daten vorzulegen, müssen sie die politische Agenda berücksichtigen - ein Hauch von Antipolitik und das Leiden der Experten unter ihren Vorgesetzten, die natürlich aber genau deshalb auf ihrem Posten sitzen, weil sie im Gegensatz zu den Fachidioten über den Tellerrand der "embedded"-Perspektive hinaus blicken.
Dieser zunächst böse und staubtrocken erscheinende Patrick Lemke, für dessen Interpretation Alexander Fehling zu Recht am vergangenen Wochenende mit den deutschen Filmpreis (für beste Nebenrolle) prämiert wurde, ist aber eben nicht nur Schreibtischhengst und Karrierist, sondern auch eine Figur, die wie Behrens auf ihre Weise tatsächlich etwas erreichen will, und darum an den Verhältnissen im Amt kaputt geht.
Game of Drohnes
Derartige Untiefen der Geheimdienste sind die eine Seite. Zum Thema wird auch die unreflektierte Zusammenarbeit der deutschen Ämter mit den Amerikanern. Was hilft es, wenn man den Drohnenkrieg ächtet, Parlamentsresolutionen gegen die amerikanische Kriegsführung in Nahen Osten verabschiedet, und Heiko Maas sich mit Angelina Jolie fotografieren lässt, wenn man von Rammstein in der Pfalz aus gezielte Tötungen (targeted killing) unliebsamer Widersacher samt einkalkulierter Kollateralschäden (collateral damages) möglich macht? Unser Held Behrens selbst nämlich ist es, der eines Tages Informationen an die CIA weiterleitet, die unmittelbar eine US-Drohnenattacke motivieren.
Es geht auch darum, wie Flüchtlinge und Asylbewerber eben keineswegs einfach so, "möglichst rasch" (Heimatminister Horst Seehofer) abgeschoben werden, sondern man sie vorher noch in Sicherheit lullt, und um Informationen erpresst.
Später sieht man dann, wie der natürlich (??) doch abgeschobene Informant zum Opfer eines Enthauptungsvideos wird. Und noch später wird klar, dass es eigentlich ein nahöstlicher Geheimdienst war, der mit gezielten Falschinformationen die westlichen Geheimdienste derart angefüttert hat, dass sie stellvertretend die Schmutzarbeit des Drohnenmords erledigen. Nix g'wiss woas ma net - das ist die erste Einsicht in "Das Ende der Wahrheit".
In seiner politischen Botschaft zielt der Film mehr auf die Folgen der Privatisierung staatlicher Hoheitsaufgaben: Wenn etwa bei den Aufbauhilfen in Ländern wie Afghanistan nicht mehr die Bundeswehr oder die Entwicklungshilfe für Deutschland im Einsatz sind, sondern profitorientierte Privatunternehmen, dann verkauft man die Interessen und Werte Europas an die Unmoral der Industrie.
Bald ist klar: Das schwere Attentat, das Behrens Welt erschüttert, wurde inszeniert. So wagt der Regisseur die These, dass der eigentliche Feind vor allem im Innern lauert.
"Wir nutzen Menschen und deren Schwäche aus. Das ist unser Beruf"
"Das Ende der Wahrheit" ist ungewöhnliches Genrekino aus Deutschland und da am besten, wo der Film einfach Explosionen, Schießereien und Attentate zeigt: Kühl, klar und unsentimental. Ohne Überblick. Aber gerade darin auch sehr plausibel.
"Wir nutzen Menschen aus, wir nutzen deren Schwäche aus. Das ist unser Beruf", sagt Behrens Vorgesetzte Aline Schilling (Claudia Michelsen) einmal sehr trocken, sehr zutreffend und dabei nicht weniger ethisch. Alexander Fehling und Claudia Michelsen entsprechen in ihrem Spiel diesem kühlen Ansatz am besten und zeigen dabei überraschende Tiefen - kalkulierend, aber nie nur. Sondern eher ein Idealist des Verfahrens und der politischen Kybernetik.
Fehling ist hier richtig groß in der Darstellung einer von Anfang an ambivalenten Figur. Zunächst eher unsympathisch, weil als kalter Analytiker der geborene Gegenspieler des sentimentalen Gutmenschen-Machiavellis Behrens, aber doch ein faszinierender Earl Grey der Bürokratie, entwickelt er in jeder Minute seines Auftritts mehr Substanz.
Es gibt keine richtige und falsche Seite in diesem Spiel der geheimen Dienste. Es gibt aber auch keinen Redford, der gutes Aussehen und Lässigkeit mit Melancholie und Verbrechen verschmelzen lassen könnte. Stattdessen wird Ronald Zehrfeld in der Hauptrolle als Geheimdienstmitarbeiter mit zunehmenden Zweifeln immer wieder zum sentimentalen Brummbär. Zu sehr Behauptung sind hier Zerrissenheit und Selbstzweifel. Zehrfeld kann einiges, aber vieles kann er auch nicht: In Christian Petzolds schwachem Film "Phoenix" war er die schwächste Figur
Er ist ein Mann, wie ihn sich Spießer gern als "verführerisch" vorstellen: Unrasiert, aber verständnisvoll, langweilig in seiner behaupteten Abgründigkeit. Um das zu beglaubigen, hat am Anfang und Schluß des Films auch Greta Thunberg einen Auftritt, die allerdings noch nicht so heißt, und von Lene Oderich ("Bibi & Tina 2 - Voll verhext") verkörpert wird. Tochter Antonia fragt naseweis und moralintriefend, wie Kinder so sind, warum Papa denn tue, was er tue: "Ich habe es mal gewusst…" sagt Teddy Zehfeld. Ohhhhuhhhbuhuhuhu....
Wenn es um dieses Portrait der Menschen geht, dann verwandelt sich in diesem Film immer wieder Kino- in Fernsehästhetik, weil trotz allem Bemühen zu sehr gemenschelt wird, und Figuren eindeutig "gut" oder "böse" werden, anstatt dauerhaft doppelsinnig zu schillern. Dieser Verzicht auf Unsicherheit, auf Härte, auf Kühle und auf blauschwarze Noir-Atmosphären unterscheidet "Das Ende der Wahrheit" dann doch von seinen Vorbildern aus Frankreich, Italien und Hollywood.