Das Internet ist prinzipiell eine große Errungenschaft

Interview mit Karsten Warnke, Leiter des Fachausschusses für Informationstechnik der Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbände und Leiter des Arbeitskreises "Multimedia" des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS), und mit dem Geschäftsführer des DVBS Andreas Bethke.

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Andreas vom Bruch: Behinderte und Internet: Ein Überblick.

Ist das Internet für Blinde und Sehbehinderte ein Segen (einfachere Beschaffung von Informationen) oder eine zusätzliche Barriere im Arbeitsleben?

Warnke/Bethke:: Als Vision würde ich formulieren, daß in Zukunft jeder beliebige Text, den es auf Papier gibt, digital für blinde und sehbehinderte Menschen zugänglich ist.
Grundsätzlich ist das Internet in diesem Sinne eine große Errungenschaft für unsere Informationsbeschaffung. Prinzipiell ermöglichen uns nämlich elektronische Hilfsmittel den Zugriff auf digital gespeicherte Information. "Sehende" Assistenz oder das mühsame Einscannen von Texten können entfallen. Damit diese Vision Wirklichkeit werden kann, müssen Softwaredesigner allerdings multimediale und graphische Oberflächen so gestalten, daß sie für uns mit unseren Hilfsmitteln zugänglich sind. Geschieht das nicht, dann kann sich eine prinzipiell segensreiche Entwicklung rasch in einen Fluch verwandeln und blinde und sehbehinderte Menschen aus Beruf und Gesellschaft ausgrenzen.

Können Blinde die für sie relevanten Informationen aus dem Netz sinnvoll filtern, oder sind dafür Filterinstanzen notwendig - wie etwa der DVBS -, um eine Vorauswahl an wesentlichen Infos und Links zu treffen?

Warnke/Bethke:: Blinde und Sehbehinderte benötigen grundsätzlich keine besonderen Filter, um Informationen zu suchen bzw. von Link zu Link zu springen. Dies trifft allerdings nur zu, wenn die Internetseiten mittels Dos-Browser (wie z. B. Lynx) zugänglich sind und wenn alle Informationen dargeboten werden können. So sind rein grafisch dargestellte Links ohne alternativen Text nicht mit Dos-Browsern darstellbar und nicht in Blindenschrift und synthetische Sprachausgabe umsetzbar.

: Sind Sehbehinderte mit dem Hilfsinstrument "Braillezeile" in der Lage, Homepages mit Frames zu lesen, und wie kommen sie zurecht mit den graphisch aufgepeppten Sites, die mit Icons und Buttons und vielen Bildern überfrachtet sind?

Warnke/Bethke: Blinde arbeiten mit Braillezeilen und oder Sprachausgaben. Sehbehinderte arbeiten mit Vergrößerungssystemen und großen Monitoren, hilfsweise auch zusätzlich mit Sprachausgaben. Es gibt kein gebrauchsfähiges System, das Bilder und Grafiken für Blinde interpretieren könnte. Zur Zeit können Blinde Homepages mit Frames noch nicht lesen. Das Gleiche gilt für Texte, die Spalten enthalten. Bilder, Grafiken, und Grafiklinks müssen immer mit Text hinterlegt sein. Es gibt zwar spezielle Browser, sie können aber keine textuelle Übersetzung leisten.

Wie können Sehbehinderte Hyperlinks mit der Braillezeile nachgehen?

Warnke/Bethke:: Hyperlinks können (vorausgesetzt, es handelt sich dabei um reinen Text) aufgrund der anderen Farbdarstellung oder einer Unterstreichung erkannt werden. Hierfür werden zusätzliche Punktkombinationen auf der Zeile dargestellt. Dies gilt auch für Attribute in Texten anderer Programme.

: Welche Chancen sehen Sie für eine Einflußnahme der Blindenlobby auf Provider und Anbieter von Internetangeboten, auf ihre Interessen Rücksicht zu nehmen, etwa in textorientierter Homepage-Gestaltung?

Warnke/Bethke:: Wir stehen hier mit unseren Aktivitäten erst am Anfang! Mit der Zusammenfassung von Mindestanforderungen für die Gestaltung von Internetseiten für Blinde und Sehbehinderte werden wir uns im nächsten Jahr an Provider und Entwickler von Internetseiten wenden. Gedacht ist auch an öffentliche Auslobungen von positiven Beispielen und der Brandmarkung von schlechten Homepages. Allgemein schlagen wir ein Prüfsiegel "Design for all" vor. Auch wollen wir unsere Aktivitäten verstärken, gesetzliche Regelungen auf nationaler und europäischer Ebene zu erreichen, um den Zugang zu den neuen Medien auch für Behinderte zu gewährleisten. Unser diesjähriger Gesetzesentwurf zum Teledienstezugangsgesetz hat hier bereits ein Zeichen gesetzt. Er ist allen Bundestagsabgeordneten zugeleitet worden.

Wie gut gelingt die Integration von Blinden in den Arbeitsalltag?

Warnke/Bethke:: Nur ca. 25% der erwerbsfähigen Blinden sind berufstätig. Telefonisten, Schreibkräfte, Masseure und Physiotherapeuten. Dies gilt auch für einen Teil der Sehbehinderten. Ihre Erwerbsquote ist jedoch nicht bekannt. Wir finden Blinde aber auch in Berufen wie EDV-Kaufleute, Informatiker, Sozialarbeiter, Lehrer, Richter, Journalisten usw. Sehbehinderte können je nach Art Grad der Sehbehinderung in fast allen Berufen arbeiten. Allerdings bewirken die erschwerten Arbeitsbedingungen und die Lage auf dem Arbeitsmarkt, daß immer weniger Behinderte einen Arbeitsplatz finden. Die visuelle Ausrichtung der Arbeitstätigkeiten stellt immer neue Anforderungen an Blinde und Sehbehinderte, die nicht mehr durch Technik allein zu kompensieren sind. Kostenträger können hier wertvolle Hilfe leisten und zusätzliche Arbeitsplatzassistenz finanzieren. Mit Hilfe von Assistenz und/oder technischen Hilfen wäre sicherlich eine größere Zahl Blinder und Sehbehinderter beruflich eingliederbar als bisher. Voraussetzung ist allerdings der politische Wille, diese Bemühungen zu fördern und die Bereitschaft von Führungskräften in der Wirtschaft, auch Behinderten eine Chance zu geben. Zu Beratungs- und Informationsgesprächen sind wir hier jederzeit bereit.

Derzeit ist der Trend hin zu grafisch gestalteten Sites zu konstatieren, darüber hinaus zeichnet sich eine Entwicklung ab, die zunehmend räumliche Strukturen (VRML) und körperliche Simulakra einbezieht. Wie können Blinde damit umgehen bzw. können auch hier blindenkompatible Hardware- und Softwarelösungen gefunden werden?

Warnke/Bethke: Für die Nutzung von grafischen Benutzungsoberflächen gibt es Screenreader, die die Bildschirminformationen nach Prioritäten und die Grafikelemente wie Buttons usw. in Textform präsentieren. Wichtig ist, daß bei der Programmentwicklung die Standards befolgt werden und z. B. parallel zur Mauseingabe auch die Tastatur benutzt werden kann. Die Entwicklung der speziellen Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte hinkt den Windowsversionen natürlich hinterher und die Brückensoftwarelösungen müssen für einige Programmereignisse programmiert werden. Ich weiß nicht, ob sich derzeit jemand mit "körperlichen Simulationen" befaßt, um sie Blinden zugänglich zu machen. Bislang waren Bilder und virtuelle Welten für Blinde nicht zugänglich. Eine Abschätzung von Entwicklungen in diesen Bereichen fällt schwer.

Wie hoch sind etwa die Kosten für einen blindentauglichen Internet-Arbeitsplatz?

Warnke/Bethke:: Ein Arbeitsplatz mit Braillezeile und Sprachausgabe sowie Windows und damit erforderlicher Brückensorftware (Screenreader) kostet zwischen 35.000 und 45.000 DM.

Stichwort Non-verbale-Kommunikation: Bieten sich hier nicht mittels der Telekommunikation sehr viel günstigere Bedingungen als in der traditionellen Face-to-face-Situation?

Warnke/Bethke:: Nur dann, wenn auf beiden Seiten die Voraussetzungen die gleichen sind. D. h. bei der Kommunikation mittels Email, Newsgroups, Internettelefonie, also jeder Kommunikation, bei der die Akteure sich nicht sehen können.

: Welche technischen Hilfsmittel bieten sich dem Blinden bei der Texteingabe, wie registriert er Fehler?

Warnke/Bethke:: Blinde können den eingegebenen Text mit Hilfe ihrer Punktschriftzeile am Computer, aber auch mit Hilfe einer Sprachausgabe überprüfen. Ihnen steht allerdings immer nur ein kleiner Ausschnitt der Bildschirminformation direkt zur Verfügung. Z. B. 80 Zeichen in einer Zeile bei einer Braillezeile. Ein Sehbehinderter hat an einem 21-Zoll-Monitor mit einer 8-fachen Vergrößerung 12 Zeichen und 4 Zeilen zur Verfügung.