Das Klagen der Steinmetzinnung nach der Erfindung des Papiers
Wenn Whistleblower die Rolle des Journalismus einnehmen und dafür verfolgt und eingesperrt werden, kann man das "Zeitungssterben" nur begrüßen
Der "Spiegel" hat unlängst eine Debatte über die Zukunft der Tageszeitungen angestoßen. Auslöser dafür war der unlängst bekannt gewordene Verkauf eines Pakets von Zeitungs- und Zeitschriften-Titeln der Axel Springer AG an die Funke (vormals: WAZ)-Gruppe, der allgemein als eine weitere Totenglocke der grassierenden Seuche des "Zeitungssterbens" interpretiert wurde. Und mehr noch: Dass der größte deutsche Zeitungskonzern keine Renditeerwartungen für seine Kernprodukte mehr hat, könnte auch als Symptom für eine noch tiefer gehende Krise gesehen werden, die nicht nur die gedruckte Zeitung, sondern den Journalismus insgesamt betrifft. Gilt es doch als ausgemacht, dass Springer die durch den Ausverkauf hereinkommenden 900 Millionen Euro nicht in journalistische Produkte investieren wird - das einstige Medienunternehmen also den Weg zu einem Gemischtwarenkonzern geht, der sich neben dem zwar sinkenden, aber noch profitablen Unterhaltungsdampfer "Bild" nur noch die seit jeher defizitäre "Welt" als Propaganda-Organ leistet. Mit echtem Journalismus hat das aber ebenso wenig zu tun wie das Gerede des Vorstandschefs Döpfner, dass Springer nahezu die Hälfte seiner Umsätze im digitalen Bereich erzielt, es sei denn man nennt auch Jobbörsen "Journalismus" - oder Webseiten mit Immobilienangeboten, Preisvergleichen und Werbeprospekten.
Ist es nun ein schlechtes Zeichen, wenn dem Marktführer der Zeitungsbranche die publizistischen Visionen ausgehen? Oder wenn, wie gerade geschehen, ein Versandhändler wie Amazon die defizitäre "Washington Post" aufkauft? Nicht unbedingt, denn es zeigt nur, dass das klassische Geschäftsmodell von Zeitungen, den Raum zwischen den Anzeigen mit Nachrichten zu füllen, ausgedient hat. Der Versuch, dieses Geschäftsmodell 1 zu 1 ins Internet zu übertragen, ist ebenfalls gescheitert, und es ist äußerst fraglich, ob die von vielen Verlegern geforderten und teilweise schon etablierten "Bezahlschranken" es retten können.
Die "New York Times", deren "Metered Paywall" die Nutzer eine begrenzte Anzahl Artikel lesen lässt und erst dann zur Kasse bittet, was allenthalben als Vorbild gilt, hat 40 Millionen Dollar in die Programmierung und Erstellung dieser Paywall gesteckt. Doch ob und wann die je wieder reinkommen, steht in den Sternen. Wenn nun aber selbst eine global aufgestellte Tageszeitung wie die NYT sich nicht mehr finanzieren kann, weil die Erlöse durch Werbung sich in den Weiten des World Wide Web verteilen statt bei den Verlegern der großen Zeitungen zu landen, wenn auch das Paywall-Modell nicht wirklich funktioniert, und wenn gleichzeitig klar ist, dass Journalismus Geld kostet und guter, unabhängiger, investigativer Journalismus mehr Geld - ist das nicht das Ende, der Tod der freien Presse, den Einsturz der "vierten Säule" der Demokratie ?
Nein. Denn Tageszeitungen werden auch in Zukunft gebraucht, auch wenn sie nicht mehr auf Papier gedruckt werden. Ebenso und dringender denn je gebraucht wird eine tatsächlich unabhängige Presse, die nicht mehr - wie in dem alten Geschäftsmodell - von Anzeigenkunden abhängig ist und Shareholder-Value für Medienkonzerne generieren muss. Gebraucht wird eine Pressefreiheit, die nicht mehr der entspricht, die der FAZ-Mitgründer Paul Sethe schon 1965 kritisierte: "Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten." Es wird vielmehr gebraucht, was ein Journalist namens Karl Marx schon 100 Jahre zuvor feststellte: "Die erste Freiheit der Presse ist es, kein Gewerbe zu sein."
Hier liegt der Hase im Pfeffer - und hier zeigt sich, warum die große Katastrophe der "Zeitungskrise" durchaus eine Chance darstellt. Denn nicht das Zeitalter digitaler Kopier- und Reproduzierbarkeit, nicht der Wechsel des Anzeigemediums von Holz auf Silizium, von Papier auf LED, sind für die Krise verantwortlich, sondern vielmehr der Niedergang des echten Journalismus, die zunehmend kommerzielle, gewerbliche, gleichtönende Verbreitung derselben Nachrichten auf allen Kanälen, die Tatsache, dass Journalisten nicht mehr aufklärende, suchende Agenten der Wahrheit und Klarheit , sondern zunehmend zu Lautsprechern und Stenographen der Mächtigen und Reichen verkommen sind. Für diese Art von Un-Journalismus sind immer weniger Menschen bereit zu bezahlen, weder auf Papier noch im Netz - und das ist gut so!
Wirklicher Journalismus findet nur noch in Ausnahmefällen statt
Denn wie kommt es, dass in einem angeblichen "heißen" Wahlkampfsommer keine wirklichen Alternativen sichtbar werden und in dieser bleiernen Dumpfheit die Nichtwähler fast zur größten Partei werden? Warum können nach den gigantischen Finanzskandalen in den letzten Jahren Schattenbanken, Steueroasen und Hedgefonds fröhlich und ungehindert weiter zocken? Warum musste erst ein Julian Assange kommen, bis mit "Collateral Damage" Kriegsverbrechen im Irak zum Thema wurden? Warum musste ein Edward Snowden dafür sorgen, dass die flächendeckende Ausspähung durch Geheimdienste in den Zeitungen vorkommt?
Die Fragen ließen sich fortsetzen und laufen alle auf dieselbe Antwort heraus: weil wirklicher Journalismus nicht mehr oder nur noch in Ausnahmefällen stattfindet. Weil eine Handvoll Medienkonzerne und Nachrichtenagenturen die Agenda und die Schlagzeilen sämtlicher Zeitungen vorgeben und noch das kleinste Regionalblatt sich nur durch ein bisschen Lokalkolorit von allen anderen Blättern und den Newsseiten im Netz unterscheidet. Das - und nicht der Wechsel vom Druck auf Papier zur Darstellung auf dem iPad-Schirm - ist der eigentliche Kern der "Zeitungskrise" und die Ursache dafür, dass Bezahlschranken nicht oder nur da funktionieren, wo dem Leser jenseits dieses medialen Einheitsbreis noch Journalismus geboten wird.
Das ist zum Beispiel auch der Grund, warum eine Tageszeitung wie die "taz" in Zeiten des grassierenden Zeitungssterbens eine Auflagensteigerung melden kann, warum die dort vor zwei Jahren gestartete Kampagne zum freiwilligen Bezahlen von taz.de das Onlineangebot zwar nicht finanzieren kann, aber zu einer festen Säule der Erlöse geworden ist und warum die taz-Genossenschaft als Besitzerin der Zeitung zunehmend neue Mitbesitzer und Genossenschaftskapital anzieht. Nicht Shareholder-Value, möglichst zweistellige Renditen und finanzieller Gewinn sind der Grund für diesen Trend, sondern der unabhängige Journalismus, den die taz in bescheidenem Rahmen zu pflegen und zu erhalten versucht. Dafür sind Leser auch in Zukunft bereit zu bezahlen - und dies auch nicht nur auf Papier, sondern auch für digitale Produkte. Fast ein Viertel der gedruckten taz-Auflage von 50.000 erreicht die Leser mittlerweile als e-Paper in digitaler Form - deutlich mehr als bei anderen Tageszeitungen Auch dieser Trend zeigt, dass Zeitungen durchaus eine Perspektive haben und dies nicht nur gedruckt, sondern auch digital - sofern sie sich daran erinnern, zu was sie eigentlich da sind...
Eine solche Rückbesinnung scheint überfällig. Das allfällige Gejammer über das "Zeitungssterben" ist kaum mehr als die Klagen der Steinmetzinnung nach der Erfindung des Papiers. Womit wir es zu tun haben, ist eine Krise des Journalismus. Nach einer Erhebung von Transparency International halten mittlerweile 54 % der Deutschen die Medien für "korrupt oder sehr korrupt", in den USA ermittelte das Project for Excellence in Journalism (PEJ), dass 75% der Amerikaner meinen, Journalisten seien "nicht in der Lage, faktentreu zu berichten".
Angesichts dieses Tiefststandes der Glaubwürdigkeit wundert es dann nicht, dass zum einen immer weniger Leser bereit sind, für derart korrupten und faktenfreien Pseudo-Journalismus zu bezahlen - und dass zum anderen führende Vertreter der Zunft Whistleblower wie Edward Snowden als "Verräter" bezeichnen, oder, wie der "Zeit"-Herausgeber Josef Joffe, die "Collateral Damage"-Enthüllungen von WikiLeaks als "Hochverrat" denunzieren. Dies zeigt, wie wenig von dem realen Glaubwürdigkeitsverlust ihrer Branche im Selbstverständnis von Journalisten angerkommen ist - und zu welchen Verdrängungsleistungen die kognitive Dissonanz führt, dass nicht die Journalisten, die eigentlich dafür bezahlt werden, glaubwürdige und relevante Informationen und Aufklärung liefern, sondern Leute wie Julian Assange, Edward Snowden und Bradley Manning, die dafür denunziert, verfolgt und eingesperrt werden. Und das nicht, weil ihre Informationen irrelevant und unglaubwürdig wären, sondern im Gegenteil, weil sie den wichtig und zu aufklärend sind und den in belanglose PR und gesteuerte Propaganda eingebetteten Un-Journalismus entlarven und untergraben. In einer derart verkehrten Medienwelt kann man das Zeitungssterben nur begrüßen - und hoffen, dass aus seiner Asche wieder etwas wächst, das den Namen Journalismus verdient....
(Disclaimer: Mathias Bröckers berät den taz-Verlag bei der Online-Entwicklung)