Das Komplott
Ein Comic über die "Protokolle der Weisen von Zion"
In Deutschland gilt Comic immer noch als Kinderkram, als Unterhaltung ohne Tiefgang. In den USA war Will Eisner, der im Januar dieses Jahres verstarb, einer der Zeichner, der als Pionier der Comic-Kunst den Graphic Novels zum Durchbruch verhalf. Eisner war ein Großmeister des illustrierten Romans, der künstlerisch hochwertigen Verbindung von Grafik und Text.
Als eine Art aufklärerisches Vermächtnis kann sein letztes Werk gesehen werde, das jetzt auf Deutsch erschien. Jahrzehnte hatte sich der geniale Zeichner mit den "Protokollen der Weisen von Zion" beschäftigt – einer Fälschung, die bis heute kursiert, um eine angebliche jüdische Weltverschwörung zu beweisen. Der Comic „Das Komplott“ erzählt die wahre Geschichte dieses Standardwerkes des Antisemitismus.
Wann immer eine Gruppe von Menschen dazu gebracht werden soll, eine andere zu hassen, bedient man sich der Lüge, um den Hass zu entfachen und ein Komplott zu rechtfertigen. Das Ziel ist schnell gefunden, denn der Feind ist immer der andere.
So beginnt der Comic Das Komplott. Will Eisner schildert mit den für ihn typischen, sehr lebendigen und fast filmhaften Zeichnungen die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des antisemitischen Pamphlets, das einst gefälscht wurde, um Zar Nikolaus II. gegen die Modernisierer aufzubringen und seither seinen bislang ungebremsten Siegeszug durch die Welt antrat (The Protocols of the Elders of Zion).
Will Eisner wurde 1917 in Brooklyn als Kind österreichischer Einwanderer jüdischen Glaubens geboren. Sein Leben als Jude und die Erfahrung vielfältiger Diskriminierung prägten ihn. Er begann sich für die Wege zu interessieren, wie Antisemiten ihre Hassbotschaften verbreiteten und stieß dabei auf die Protokolle der Weisen von Zion. Diese bewusst zu Propaganda-Zwecken angefertigte Schrift stammt vom Ende des 19. Jahrhunderts, 1905 erschien die erste Buchausgabe. Obwohl immer wieder durch Journalisten und Gerichte bewiesen wurde, dass es sich um eine plumpe Fälschung und damit reine Fiktion handelt, werden die „Protokolle“ von Antisemiten bis heute als Beweis für die geheimen Pläne des Judentums herangezogen. In der Bundesrepublik Deutschland sind sie verboten.
Verschwörungstheorie
Verschwörungstheorien aller Art erfreuen sich – nicht nur im Internet – großer Beliebtheit (Alles unter Kontrolle?). Und der echte paranoide Anhänger ist absolut überzeugt, dass jede öffentliche Widerlegung im Grunde nur eine Bestätigung dafür ist, wie tief die Verschwörung reicht und wie gut sie sich tarnt und schützt. Das funktioniert besonders gut, wenn solche Theorien auf starke Vorurteile treffen und sich mit ihnen vereinen. Denn der Andere, der Jude, der Ausländer etc. ist schlecht – und die über ihn erzählte Geschichte beweist das (erneut), somit setzt eine wechselseitige Bestätigung ein, gegen die mit Vernunft offensichtlich kaum anzukommen ist.
Kein Wunder also, dass das Pamphlet, die Protokolle der Weisen von Zion, wie ein Vampir nach jedem Todesstoß, sprich Beweis seines fiktionalen Charakters, wieder auferstand. Ein Beispiel für die Wirkung von Gegenbeweisen auf ein durch Vorurteile besetztes Gehirn sind Hitlers Ausführungen zu diesem Thema in Mein Kampf:
Wie sehr das ganze Dasein dieses Volkes auf einer fortlaufenden Lüge beruht, wird in unvergleichlicher Art in den von den Juden so unendlich gehassten „Protokollen der Weisen von Zion“ gezeigt. Sie sollen auf einer Fälschung beruhen, stöhnt immer wieder die ‚Frankfurter Zeitung’ in die Welt hinaus: der beste Beweis dafür, dass sie echt sind.
Dennoch kann nicht oft genug wiederholt werden, wie und zu welchem Zweck diese Schrift bewusst gefälscht wurde. Will Eisner hoffte nun mit seinem letzten Werk in Form des populären grafischen Erzählens „einen weiteren Nagel in den Sarg dieses schrecklichen, vampirähnlichen Betrugs“ zu schlagen.
In seiner Einführung zum Komplott schreibt Umberto Eco, der sich in seinem Roman Das Foucaultsche Pendel und in Essays mit Verschwörungstheorien auseinander gesetzt hat:
Dieses Flickwerk aus überwiegend fiktionalen Texten macht die Protokolle zu einem unzusammenhängendem Text, dessen gefälschte Herkunft unschwer zu erkennen ist. Außerhalb eines Groschenromans oder einer Oper ist es auch kaum glaubhaft, dass die „Schurken“ ihre finsteren Pläne auf derart freimütige und schamlose Art und Weise darlegen, dass sie – wie die Weisen von Zion es tun – erklären, sie hätten einen „grenzlosen Ehrgeiz, eine verzehrende Habgier, einen erbarmungslosen Rachedurst und einen glühenden Hass.“ (...) Ich bin davon überzeugt, dass – trotz dieses mutigen Comics von Will Eisner – die Geschichte der Protokolle alles andere als vorüber ist. Dennoch ist es eine Geschichte, die es mehr als wert ist, erzählt zu werden, denn man muss die große Lüge und den Hass, den sie hervorbringt, bekämpfen.
Die erschreckende Aktualität des Comics zeigte sich auch wieder in diesem Jahr. Im Ramadan zeigte das jordanische Fernsehen eine Serie, deren Handlung maßgeblich auf den Protokollen beruht (Jordanischer Privatsender zeigt antisemitische Serie). Nach internationalen Protesten wurde die Ausstrahlung nach 22 (von 29) Folgen Ende Oktober eingestellt).
Und auf der Frankfurter Buchmesse präsentierte der deutsche Verlag stolz die Neuerscheinung „Das Komplott“, während in der Halle der internationalen Verleger der Iran (neben anderen antisemitischen Schriften) die berüchtigten „Protokolle“ auf Englisch feil bot, herausgegeben von der „Islamic Propagation Organization“ der „Islamic Republic of Iran“ (Die "Protokolle der Weisen von Zion" auf der Frankfurter Buchmesse). Nach Ende der Messe begann dann die Frankfurter Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung zu ermitteln – gegen Unbekannt.
Die wahre Geschichte
Eisner beginnt mit der Geschichte bei Maurice Joly, einem französischen Schriftsteller, der 1864 das Buch „Gespräche in der Unterwelt zwischen Macchiavelli und Montesquieu“ verfasste, um Kaiser Napoleon III als machthungrigen Despoten zu entlarven. Prompt wurde er wegen Verleumdung verurteilt und wanderte ins Gefängnis. Sein Buch fiel später russischen Konservativen in die Hände, die dem Zar beweisen wollen, dass die Modernisierer nichts anderes seien, als Teil einer jüdischen Verschwörung, die seinen Sturz beabsichtigen. Da es kein entsprechendes Dokument gab, wurde es in der Dependance des russischen Geheimdienstes in Paris fabriziert. Die Zeit drängte und so nahm der Verfasser das alte Buch von Joly zur Hilfe – viele Textteile übernahm er fast wörtlich (Im Komplott ist das mit ausführlichen Textvergleichen dokumentiert).
Die so entstandenen Protokolle der Weisen von Zion wurden dem Zaren als angebliche Geheimdokumente übergeben – mit dem erwünschten Erfolg, dass die Liberalen in Ungnade fielen. Die Schrift wurde 1905 in Russland zum ersten Mal in Buchform gedruckt, bis 1920 erschienen Ausgaben in vielen Sprachen. 1921 suchte ein russischer Migrant einen Korrespondenten der Londoner Times auf und lieferte die Beweise für die Fälschung, die Zeitung prüfte alles und veröffentlichte kurz darauf die Story. Das hielt den Siegeszug des Verschwörungsbestsellers aber nicht auf.
In Deutschland war die Fälschung bald eines der Lieblingswerke der Nationalsozialisten, die es eifrig in die Schweiz exportierten. Mitte der 30er Jahre wurde das Werk dort zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens, an dessen Ende der Richter verkündete, es sei im Grunde unverständlich, warum sich gescheite Leute über die Echtheit überhaupt Gedanken machten, denn sie seien „nichts anderes als ein lächerlicher Unsinn.“ Aber die klare Vernunft eines Berner Richters brachte genauso wenig wie ein Bericht des Senats der Vereinigten Staaten, der 1964 substanziell zu dem gleichen Urteil kam. Oder 1999 der Beweis eines bekannten russischen Historikers, welcher Angestellte des russischen Geheimdienstes die Protokolle seinerzeit in Paris fälschte.
Leider hat keine dieser veröffentlichten Beweisführungen dazu geführt, dass die Protokolle keine Leser mehr fanden, die an ihre Authentizität glauben. Bleibt zu hoffen, dass Eisners Comic-Band wenigstens als kleiner Nagel am „Sarg dieses schrecklichen, vampirähnlichen Betrugs“ dazu taugt, dass einige noch nicht völlig verblendete Geister daran hängen bleiben.