Das Leben der Anderen in Bayern
V-Mann spionierte offenbar Jahrzehnte die linke Szene und auch Verfassungsrichter aus
Nein, er sah nicht aus wie Ulrich Mühe in dem Stasi-Drama "Das Leben der Anderen". Eher etwas vierschrötig, bieder, in der Art eines Versicherungsvertreters. Das war, so hieß es nach außen, auch sein Broterwerb. Doch der im Frühjahr im Alter von nur 64 Jahren verstorbene Günter K. lebte ein Leben im Dunkeln – jahrzehntelang. K. galt als eine Art Urgestein der linken Szene in München, immer dabei, nicht vorne, sondern als Kassierer oder Helfer im Hintergrund. Jetzt kam es an das Tageslicht: Allem Anschein nach hat der Versicherungsvertreter systematisch das Leben der Anderen ausspioniert – wohl für den bayerischen Verfassungsschutz.
Es waren kleine Tonbandkassetten für ein Diktiergerät, auf denen alles festgehalten war: Datum, die Versammlung, der Ort, die Anwesenden, die Namen. Darunter auch der von Angelika Lex, Rechtsanwältin in München und nichtberufsrichterliches Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. "Für mich ist das keine Frage mehr, der Mann war ein Spitzel", sagt sie. Die Diktion der Bänder sei eindeutig, er habe von sich selbst als "Quelle" gesprochen.
Die Rechtsanwältin hat Erfahrung mit Geheimdiensten und deren Sprache: Sie vertritt die antifaschistische Informationsstelle a.i.d.a und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes vor Gericht gegen die Neigung des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, diese Organisationen gerne als "extremistisch" im Verfassungsschutzbericht aufzulisten.
Ein Mandant hat nun der Rechtsanwältin die besagten Tonträger zur Kenntnis gebracht. Darauf finden sich Berichte über die vom Münchner "Bündnis gegen Krieg und Rassismus" organisierten Demonstrationen gegen die jährlichen "Wehrkundetagungen" in der weißblauen Landeshauptstadt. Oder vom einer Friedenskonferenz, die 2004 in der Schwabinger Kreuzkirche stattfand. Oder von einem Treffen im Münchner Gewerkschaftshaus, in dem es um das damals heftig umkämpfte neue Versammlungsgesetz ging. In K.s Berichten tauchten dann Namen wie die der heutigen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die des früheren Münchner Bürgermeisters und Verfassungsrichters Klaus Hahnzog (SPD) oder der grünen Fraktionsvorsitzenden im bayerischen Landtag, Margarete Bause, auf. Auch Rechtsanwältin Angelika Lex wird namentlich genannt. Sie kannte Herrn K. von diversen Veranstaltungen persönlich, "seit 20 Jahren". Schon "beeindruckend" findet sie die Erkenntnis, dass sie quasi jahrelang einem Spitzel gegenübersaß. "Das war niemand, der sich in eine Diskussion aktiv eingebracht hat, der war einfach immer da", erinnert sie sich.
Ihre Empörung richtet sich nun nicht gegen das Spitzeltum an sich, sondern dass offenbar der Verfassungsschutz auch unbescholtene Bürger und demokratische Organisation aushorchen ließ: "Das Sammeln derartiger Informationen ist verfassungs- und rechtswidrig", so die Verfassungsrichterin. Denn der Verfassungsschutz dürfe überhaupt erst tätig werden, wenn Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung bestehe. Und auch ein V-Mann müsse klare Anweisungen bekommen, was er dürfe oder nicht.
Das sieht der bayerische Verfassungsschutz offenbar anders. Als Reaktion auf Zeitungsberichte über die mutmaßliche Spitzeltätigkeit von Günter K. wurde eine Pressemitteilung veröffentlicht. Darin heißt es: "Der Verfassungsschutz beobachtet entsprechend seinem gesetzlichen Auftrag extremistische Bestrebungen, wozu auch extremistisch beeinflusste Gruppierungen zählen. Auch die Bündnispolitik entsprechender Gruppierungen wird dabei vom Beobachtungsauftrag erfasst."
Soweit dafür Informanten eingesetzt würden, würden deren Informationen einer "sorgfältigen Relevanzprüfung" unterzogen. Und nur solche Informationen, die vom gesetzlichen Auftrag erfasst seien, würden "Eingang in die weitere Bearbeitung" finden, die restlichen Informationen, wie etwa solche über die "Aktivitäten nicht-extremistischer Politiker" kämen in den Schredder.
Unglaubwürdig findet das die Verfassungsrichterin Lex, die das Landesamt für Verfassungsschutz als eine "Behörde im rechtsfreien Raum" kritisiert, es fehle an wirksamer parlamentarischer Kontrolle. Sie will jetzt aufgrund ihrer Namensnennung in den Berichten ein Auskunftsverlangen beim Verfassungsschutz beantragen, um so Kenntnis über mögliche Speicherungen zu erlangen.
Auch der bayerische Landtag wird sich mit der Affäre beschäftigen. So fordert der Rechtsexperte der SPD, Florian Ritter, schnelle Aufklärung der Vorwürfen gegenüber dem Verfassungsschutz, die SPD-Fraktion im Landtag will sich mit einem Berichtsantrag an die Staatsregierung wenden. Auch die Grünen wollen mit einer parlamentarischen Anfrage Licht in das Dunkle bringen, so Rechtsanwältin Lex. Ihr persönliche Fazit: "Mich erinnert das an die Stasi-Geschichten."