Das Leben ist ein Würfel
"Cube", das Fantasy-Computerspiel ohne Joy-Stick
Jetzt war so oft vom Menschenversuch die Rede, aber die Versuchsanordnung im Container brachte nur die Erkenntnis, dass sich Menschen überwiegend für Menschen interessieren. Die Dramatisierung könnten wir also in Zukunft wieder den Dichtern bzw. Filmemachern überlassen. Vinzenzo Natali hat sich seine eigene Versuchsanordnung zurechtgebastelt: Cube ist fiktiver, kürzer und stimmiger als "Big Brother".
"Es ist eine sinnlose Stümperei" heißt es einmal und gemeint ist das allumfassende Ganze. Ziemlich wagemutige These, wenn man bedenkt, dass sie von jemandem ausgesprochen wird, der sich grade in einer perfekten Maschine befindet, deren Herkunft er nicht wirklich begreift.
Eine Hand voll Menschenkinder kommt zu sich. "Ich bin hier grade aufgewacht.", "Ich wollte grade essen", "Ich hab mich eben ins Bett gelegt." Nun hocken sie in einem quadratischen Raum umgeben von weiteren quadratischen Räumen, ein Labyrinth, das hinter jeden weiteren Tür den Tod verbergen kann. Die Figuren sind so schlau wie wir, außer dass wir schon eingangs mit ansehen durften, wie einer der Kandidaten zerschnitzelt wird. Es geht um Flucht und Überleben, aber auch um Selbstreflexion und ein bisschen um Gott.
"Cube" ist von der Anlage her superminimalistisch, ein knapper, stilsicherer Fantasy-Film, der im Prinzip an einem einzigen Set gedreht werden konnte. Sechs, sieben Personen befinden sich in einem mathematisch errechenbaren Riesen-Survival-Spielplatz. Man geht von Raum zu Raum und überwindet gemeinsam diverse Hindernisse. Oder eben nicht. Doch kein leidiges "Game over" verdirbt dann das Spiel, sondern es wird ordentlich zu Ende erzählt. Somit zeigt "Cube" aufs Feinste, warum Kinofilme zufrieden machen können und Computerspiele nur süchtig.
Allerdings musste der Spielverlauf auch mit Leben gefüllt werden. Regisseur Natali wählte dafür ein paar Archetypen: Ein Mädchen, eine wohlmeinende Altlinke, ein Loser und ein bürgerlicher Choleriker dienen als Eckpfeiler eines Soziogramms. Ob Natali nun das Drama vernünftig gewichtet hat, darüber kann man streiten, etwa darüber, dass der Proll ausgerechnet ein Bulle ist, der seine Kinder schlägt, und die gutmenschliche Ärztin selbst in absurdester Umgebung noch von der Weltenverschwörung faselt. Da wuchert Natali seine ökonomische Erzählexposition etwas auseinander. Der Spielverlauf hätte zig andere, auch gehaltvollere Wendungen zugelassen. So bleibt "Cube", so wie beim Kinderzimmerexistenzialismus jedes Computerspieles, dann am Spannendsten, wenn ein neuer Raum betreten wird. "Es zählt allein das, was vor dir liegt."
Die kleine Philosophie-Debatte hilft nicht weiter. Ob der Würfel-Container, in dem die Kandidaten herumkraxeln, nun das Leben selbst ist oder nicht, hat sich ja Zlatko auch nie gefragt. "Entweder du benutzt es oder du gibst zu, dass es völliger Quatsch ist!" sagt der Resignierer in der Truppe - eine Formel, die er erst draußen wieder brauchen könnte. Denn draußen, wie er schon ahnt, wartet, verglichen mit dem Würfel, nur "grenzenloser, menschlicher Stumpfsinn". Aber da wären wir ja wieder bei "Big Brother".