Das Lied vom Tod

Bild: © Sony Pictures

Die Wochen des Wahnsinns: Vor 50 Jahren ermordete die Manson-Bande in Hollywood die Schauspielerin Sharon Tate und fünf weitere Menschen

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One's file, you know, is never quite complete, a case is never really closed, even after a century, when all of the participants are dead.
Graham Greene, ''The Third Man''

Es geschah heute vor genau 50 Jahren: Am 9. August 1969 kam es in der Hollywood-Villa des Filmemachers Roman Polanski zum blutigsten Massaker in der Geschichte der Traumfabrik: Mitglieder der fanatischen "Manson Family", einer Art Hippie-Sekte, ermordeten sechs Menschen. Die Vorgeschichte dieser zum Mythos gewordenen Bluttat bildet einen Erzählstrang von Quentin Tarantinos neuem Film "Once Upon A Time in Hollywood", der bereits morgen auf dem Filmfestival von Locarno vor 8.000 Zuschauern gezeigt wird und dann kommende Woche in den Kinos startet.

Der Guru und die Frauen

Am 14. August 1969 kam der Sergio-Leone-Western "Spiel mir das Lied vom Tod" in die bundesdeutschen Kinos. Sein Originaltitel: "Once upon a time in the West". Am Tag darauf begann das Woodstock-Festival. Drei Wochen zuvor hatte der erste Mensch den Mond betreten. Im Mai gewann "Easy Rider" von Peter Fonda mit Dennis Hopper und dem unbekannten Jack Nicholson einen Preis bei den Filmfestspielen in Cannes. Rassistische weiße Fanatiker töten darin zwei Motorrad-Hippies.

Der Film leitete einen komplett neuen Kino-Kosmos ein: New Hollywood. Das alte Hollywood ging am 9. August 1969 zuende. Und mit ihm der Traum von Liebe und Flower Power, den die Hippies träumten.

Kurz nach Mitternacht gingen vier junge Menschen den schmalen, kurzvigen Cielo Drive in Hollywoods Prominentenviertel Beverly Hills hinauf: Ihr Auto hatten sie unten geparkt, sie trugen Bajonette, Pistolen und Messer. Drei junge Frauen, ein Mann, sämtlich das, was man schon damals "White Trash" nannte, "weißen Müll".

Sie kamen aus kaputten Verhältnissen, waren von zuhause ausgerissen, und hatten sich dem schrägen Guru Charles Manson angeschlossen, einem Ex-Häftling, der mit Drogen handelte, vermutlich als Informant für den CIA arbeitete und mit einer Kommune von etwa 30 zum Teil minderjährigen Jugendlichen und jungen Leuten auf einer Ranch, der ehemaligen Kulisse für eine Western-TV-Serie, am Rand von Los Angeles lebte.

Diese "Manson Family" wie sich selber nannte, finanzierte ihr Leben mit Reittouren für Touristen auf dem Ranch-Gelände und mit Drogenhandel - auch Hollywood-Prominenz zählte zu ihren Kunden.

Once Upon a Time... in Hollywood (12 Bilder)

Bild: © Sony Pictures

Was dann genau in den frühen Morgenstunden des 9.August geschah und warum, ist unklar. Fest steht: Die Vier drangen in die Villa des Hollywood-Regisseurs Roman Polanski ein, der zu der Zeit für Dreharbeiten in London war, und metzelten Polanskis hochschwangere Frau, die 26-jährige Schauspielerin Sharon Tate, sowie deren ungeborenes Kind, drei Freunde, die sich in der Villa aufhielten und einen zufälligen Nachbarsgast mit jeweils Dutzenden von Messerstichen nieder. Mit dem Blut der Opfer schrieben sie "Pig" (Schwein) an Wände und Türen. In der nächsten Nacht tötete die Gruppe ein Millionärsehepaar.

Warum all das geschah, darüber gibt es widersprüchliche Theorien. Vieles lag von Anfang an im Unklaren; gegensätzliche Zeugenaussagen oder Zeugnisverweigerung sowie Auffälligkeiten und Fehler bei der Ermittlung der Polizei taten ein Übriges, um Mythen und Verschwörungstheorien rund um das Geschehen zu nähren.

Die gängigste Theorie lautet: Manson, der bei den Bluttaten nicht dabei war, und sich als Satan oder Jesus verehren ließ, war ein menschliches Monster. Mit einer Mischung aus Drogen, okkulten Botschaften, Bibelstellen und popkulturellen Zitaten manipulierte er seine "Family" zu willenlosen Mördern. Mit ihnen wollte er einen "Rassenkrieg" entfesseln.

Erschüttert wird diese Version der Ereignisse dadurch, dass Manson bereits eine Woche nach den Morden verhaftet, dann aber nach drei Tagen aus unerfindlichen Gründen freigelassen und erst drei Monate später wieder festgenommen wurde. Ob Manson tatsächlich die Morde beauftragt oder überhaupt von ihnen gewusst hat, ist nicht wirklich bewiesen. 1971 wurde Manson mit vier Bandenmitgliedern wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Manson als "Manchurian Candidate"

Warum interessieren wir uns so sehr dafür, was in der Nacht des 9. August 1969 im Cielo Drive geschah? Weil wir es nicht wissen. Weil es viele offene Fragen gibt. Weil nach wie vor Bücher mit Theorien, auch Verschwörungstheorien, zu dem ganzen Geschehen erscheinen. So etwa Tom O'Neills ''Chaos: Charles Manson, the C.I.A., and the Secret History of the Sixties", in dem als Möglichkeit in den Raum gestellt wird, dass die CIA die Morde geschehen ließ, um die linke Bürgerrechtsbewegung und die Hippies gefährlich erscheinen zu lassen. Manson als "Manchurian Candidate".

Für die Hippie-Bewegung und die Gegenkultur in den USA waren die Morde der Wendepunkt. Die wahre Geschichte, die im Sommer 1969 in Hollywood geschah, hat viel zu tun mit dem Verdrängten der US-Gesellschaft wie der Traumfabrik, mit der Gewalt im Herzen Amerikas - den Manson-Morden waren die Morde an den Kennedys, an den Schwarzenführern Martin Luther King und Malcolm X vorausgegangen, sowie die gesellschaftlichen Verwerfungen über die Rassentrennung und acht Jahre Krieg in Vietnam -, aber auch der utopisch träumerisch aufgeladenen Welt der späten 60er Jahre.