Das Medien-Imperium schlägt zurück

Seite 2: Ute Daniel unterliegt "Poppers Fluch"

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Die konservative Sichtweise von Ute Daniel basiert vermutlich auch auf einer tiefverwurzelten methodologischen Parteinahme, die von der Professorin für Neuere Geschichte aber nur ansatzweise reflektiert wird -obwohl die Methodologie der Geschichtswissenschaft zu ihren Forschungsgebieten gehören soll. Hätte sie nur gelesen, was der französische Soziologe Luc Boltanski in seinem inspirierenden Werk "Rätsel und Komplotte: Kriminalliteratur, Paranoia, moderne Gesellschaft" 2015 zu Popper geschrieben hat.

Boltanski schreibt dort einem Grundsatzvortrag, den Popper 1948 in Amsterdam hielt, eine verhängnisvolle Wirkung für die Entwicklung der Sozialwissenschaften zu. Popper habe dort in seinem Eifer, den Marxismus mit dem Faschismus in einen Topf zu werfen und beide als "Historizismus" zu verdammen, allen Sozialwissenschaften, insbesondere aber Ökonomie, Soziologie und Geschichtswissenschaft, Scheuklappen anlegen wollen: Sein individualistischer Ansatz, der soziologische Begriffe ablehnt, die Gruppen oder soziale Strukturen als eigenständige Entitäten, insbesondere den marxistischen Begriff "Klasse", überzieht zugleich zuwider handelnde Forscher mit dem Vorwurf der "Verschwörungstheorie":

"Der Verweis auf eine kollektive Entität und der Verweis auf eine Verschwörung werden wie zwei gleichwertige Vorgänge behandelt." (Boltanski 424) Popper kritisiere eine "Verschwörungstheorie der Gesellschaft", die eine Analogie von Marxismus und Nationalsozialismus impliziere und die "...von den 'Totalitarismus'-Theorien ausgenutzt worden ist." (Boltanski S.420) Boltanski seinerseits zeichnet nach, wie Anhänger dieser Spielarten des Antimarxismus ihren "Weg vom Liberalismus zum Rechtsextremismus" gingen und Poppers Ansatz habe "...eine neue Art von sozialwissenschaftlicher Praxis angestoßen, die von der neoklassischen Ökonomie inspiriert war". (Boltanski S.417)

Poppers Abwendung von sozialen Entitäten wie dem Klassenbegriff, aber selbst dem Begriff der "Gesellschaft", ende bei einer Fixierung auf das Individuum, dieser blieben "... nicht viele Möglichkeiten, den sozialen Wandel zu verstehen, zu erklären und u.U. zu antizipieren oder zu steuern". (Boltanski S.422) Als letzter Halt bliebe dem Sozialwissenschaftler am Ende von Poppers Ablehnung einer angeblichen "Verschwörungstheorie der Gesellschaft" nur noch ein einziges übergeordnetes gemeinsames Prinzip: der Markt. "Der Marktmechanismus wird dabei freilich so weit ausgedehnt, dass er alle sozialen Phänomene zu erklären vermag." (Boltanski S.422) Kein Wunder, so Boltanski, dass sich von allen Sozialwissenschaften zuerst die Managementlehre auf diese Methodologie stürzte, Soziologen folgten mit "Rational Choice"-Ansätzen. Die mit dieser Perspektive verbunden Sichtweise nennt Boltanski "Poppers Fluch".

Popper: keine Klassen, nur Individuen (und Märkte)

Wo unterliegt Ute Daniel in ihrer konservativen Sichtweise Poppers Fluch? Erstens lehnt sie in ihrer medienhistorischen Analyse der Beziehung von Politik und Medien zumindest punktuell kollektive Entitäten ab (wie Popper) und vertritt einen kulturgeschichtlichen sowie akteurszentrierten Ansatz, was bedeutet "...nicht daran zu glauben, dass es Entitäten wie 'die Medien' oder 'die Politik' gibt". (Ute Daniel S.39)

Zweitens richtet Ute Daniel ihr besonderes Auge auf nicht intendierte Wirkungen politischer Maßnahmen, siehe etwa die u.a. anhand ihres Goebbels-Kapitel aufgestellte These einer Selbstschwächung diktatorischer Regime durch das Ausschalten der öffentlichen Meinung. Laut Popper besteht eine Hauptaufgabe der Sozialwissenschaften "... in der Feststellung von unbeabsichtigten Rückwirkungen beabsichtigter menschlicher Handlungen." (Popper zit.n.Boltanski S.421f.)

Drittens impliziert ihre Umdeutung der von Uwe Krüger nachgewiesenen, für die Demokratie bedenklichen Symbiose von Alpha-Journalisten und Machteliten in ein angeblich nachvollziehbar übliches "Vertraulichkeitskartell" eine marktförmige Perspektive. Ute Daniel: "Der Begriff des Kartells findet dabei in verallgemeinerter Form Verwendung: als Bezeichnung für eine strategische Beziehung innerhalb eines ambivalenten Freund-Feind-Verhältnisses, die die Zusammenarbeit potenzieller Rivalen zum beiderseitigen Vorteil konfliktarm und exklusiv gestaltet." (Ute Daniel S.381) Gibt es in der Gesellschaft keine Entitäten, Klassen und Strukturen, sind alle Akteure irgendwie Rivalen; das gleicht dem Markt, wo wir alle Rivalen bzw. Konkurrenten sind und wo auch Kartelle gebildet werden (und wo dies, nebenbei bemerkt, als unfair und kriminell gewertet wird).

Maggy Thatcher, eiserne Vorkämpferin des Neoliberalismus in Europa sagte ganz in diesem Sinne einst: Es gibt keine Gesellschaft, nur Individuen. Und was außer britischem Thatcherism und Reagonomics in den USA hatte der Neoliberalismus noch zu bieten? Die berüchtigte Ökonomenschule der Chicago Boys, die der blutigen Diktatur von Pinochet nach dem von Henry Kissinger und der CIA inszenierten "Regime Change" half, einen auch wirtschaftlich gnadenlosen Faschismus zu installieren. Die von Boltanski dokumentierte Nähe der Neoliberalen zum Rechtsextremismus war offensichtlich nie auf Frankreich beschränkt geblieben.

Viertens schließlich folgt Ute Daniel dem Großideologen des Neoliberalismus, Sir Karl Popper, auch darin, die Abweichler von ihrer methodologischen - um nicht zu sagen ideologischen - Linie als "Verschwörungstheoretiker" abzuqualifizieren. Und sie glaubt scheinbar, dass diese Stigmatisierung von u.a. Uwe Krüger ausreicht, um diese in einer Fußnote verschwinden zu lassen (nicht einmal im Personenregister wird Krüger noch erwähnt). Warum nennt sie seinen Namen dann überhaupt noch, wenn sie sich nicht mit seinen Thesen befassen zu müssen glaubt? Vielleicht allein aus dem Grund, Plagiatsvorwürfen wegen Ideendiebstahl ohne Quellennachweis zu entgehen? Ihre Erkenntnisse jedenfalls gehen im innersten Kern ("Vertraulichkeitskartell") nicht wirklich über Krüger hinaus, sondern werten diese lediglich im Sinne einer Affirmation der Machteliten um. Und was, außer einer penetranten Neigung zu rhetorischen Fragen an sich selbst, bietet Ute Daniel sonst noch?